Kleine Feuer überall - Das Buch zur erfolgreichen TV-Serie mit Reese Witherspoon

Kleine Feuer überall - Das Buch zur erfolgreichen TV-Serie mit Reese Witherspoon

von: Celeste Ng

dtv, 2018

ISBN: 9783423433808

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 847 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Kleine Feuer überall - Das Buch zur erfolgreichen TV-Serie mit Reese Witherspoon



1


In jenem Sommer redeten alle in Shaker Heights darüber, wie Isabelle, das jüngste Kind der Richardsons, endgültig durchdrehte und das Haus abfackelte. Während das ganze Frühjahr über die kleine Mirabelle McCullough Gesprächsthema gewesen war – beziehungsweise, je nachdem, auf welcher Seite man stand, May Ling Chow –, gab es endlich neuen aufregenden Gesprächsstoff. Kurz nach zwölf Uhr mittags an jenem Samstag im Mai hörten die Käufer, die bei Heinen’s ihre Einkaufswagen vor sich herschoben, plötzlich Sirenen aufheulen und die Feuerwehrwagen in Richtung Ententeich rasen. Um Viertel nach zwölf standen vier von ihnen in einer roten Linie am Parkland Drive, wo alle sechs Schlafzimmer der Richardsons in Flammen standen, und den Rauch konnte jeder im Umkreis von achthundert Metern wie eine dichte schwarze Gewitterwolke über den Bäumen aufsteigen sehen. Später sagten die Leute, das habe sie nicht überrascht. Izzy sei leicht gestört, und überhaupt seien die Richardsons schon immer etwas daneben gewesen, und sobald sie an jenem Morgen die Sirenen gehört hätten, sei klar gewesen, dass etwas Furchtbares passiert war. Da war Izzy aber natürlich schon lange verschwunden, und es gab niemanden, der sie verteidigt hätte. Die Leute konnten also sagen, was sie wollten – und taten es auch. Beim Eintreffen der Feuerwehr jedoch, und auch noch eine ganze Weile danach, wusste erstmal niemand etwas Genaues. Die Nachbarn drängten sich so nahe wie möglich an die provisorische Absperrung – hundert Meter vom Feuer entfernt stand quer geparkt ein Streifenwagen – und beobachteten, wie die Feuerwehrleute angesichts des hoffnungslosen Unterfangens ihre Schläuche entrollten. Auf der anderen Straßenseite tauchten die Gänse im Wasser nach Gräsern, der Tumult ließ sie völlig kalt.

Mrs Richardson stand auf dem Grünstreifen und hielt oben am Hals ihren hellblauen Bademantel fest zu. Obwohl es schon mitten am Tag war, hatte sie beim Alarm der Rauchmelder noch geschlafen. Sie war spät ins Bett gegangen und wollte ausschlafen, was sie, wie sie fand, nach einem ziemlich schweren Tag auch verdient hatte. Am Abend zuvor hatte sie von einem Fenster im oberen Stock aus beobachtet, wie ein Auto vor dem Haus vorgefahren war. Die lange Auffahrt erstreckte sich in einem hufeisenförmigen Bogen vom Gehsteig zur Eingangstür und wieder zurück – die Straße war also gut dreißig Meter entfernt, sie hatte nicht viel sehen können, zumal es selbst im Mai schon um acht Uhr dunkel wurde. Doch hatte sie den kleinen hellbraunen VW Golf ihrer Mieterin Mia Warren erkannt. Die Beifahrertür wurde geöffnet, eine schlanke Gestalt stieg aus und ließ die Tür angelehnt: Mias Teenager-Tochter Pearl. Die Beleuchtung erhellte das Wageninnere wie einen Schaukasten, doch das Auto war fast bis oben hin mit Taschen bepackt, und Mrs Richardson erkannte gerade so eben die Silhouette von Mias Kopf mit dem unordentlichen Haarknoten. Pearl beugte sich über den Briefkasten, und Mrs Richardson stellte sich das schwache Quietschen beim Öffnen und Schließen vor. Dann hüpfte Pearl wieder ins Auto und schloss die Tür. Die Bremslichter leuchteten rot auf, erloschen wieder, und das Auto fuhr in die dunkle Nacht davon. Erleichtert war Mrs Richardson nach unten zum Briefkasten gegangen und hatte einen Schlüsselbund an einem schlichten Ring herausgeholt, ohne irgendeine Nachricht. Sie nahm sich vor, am Morgen zum Haus an der Winslow Road zu fahren und nachzusehen, auch wenn sie bereits wusste, dass Mia und Pearl nicht mehr dort sein würden.

Wegen dieses Zwischenfalls hatte sie ausschlafen wollen, und jetzt war es halb eins, sie stand im Bademantel und einem Paar Tennisschuhen ihres Sohnes Trip auf dem Grünstreifen und musste mitansehen, wie ihr Haus abbrannte. Nachdem das Schrillen der Rauchmelder sie geweckt hatte, war sie von Zimmer zu Zimmer gerannt, um nach Trip, nach Lexie, nach Moody zu sehen. Izzy hatte sie ganz vergessen, fiel ihr plötzlich auf, als hätte sie schon geahnt, dass Izzy schuld war. In den Schlafzimmern war niemand, es hing nur Benzingeruch in der Luft und auf jedem Bett knisterte in der Mitte ein kleines Feuer, als hätte eine verrückte Pfadfinderin dort gezeltet. Als sie im Wohnzimmer, im Wintergarten, im Freizeitraum und in der Küche nachsah, hatte sich der Rauch bereits ausgebreitet, und sie rannte schließlich nach draußen, wo sie die durch das Haussicherheitssystem alarmierte Feuerwehr anrücken hörte. In der Einfahrt sah sie weder Trips Jeep noch Lexies Explorer noch Moodys Fahrrad, und natürlich auch nicht die Limousine ihres Mannes. Gewöhnlich ging er am Samstagmorgen ins Büro, um Liegengebliebenes zu erledigen. Jemand würde ihn dort anrufen müssen. Dann fiel ihr ein, dass Lexie zum Glück bei Serena Wong übernachtet hatte. Sie fragte sich, wo Izzy wohl steckte. Und wo ihre Söhne waren, die sie finden und über das Geschehene informieren musste.

Nachdem die Löscharbeiten abgeschlossen waren, konnte man sehen, dass das Haus nicht, wie Mrs Richardson befürchtet hatte, bis auf das Fundament abgebrannt war. Die Fenster waren alle zerborsten, aber das Mauerwerk stand noch, feucht und rußig und dampfend, ebenso wie das Dach, dessen dunkle Schieferschindeln vom Löschwasser schimmerten wie Fischschuppen. Die Richardsons durften erst wieder hinein, wenn die Ingenieure der Feuerwehr die Statik geprüft hatten, doch selbst vom Grünstreifen aus – näher kam sie wegen des gelben Absperrbands nicht ran – war offensichtlich, dass im Inneren nicht viel zu retten war.

»Ich fasse es nicht«, sagte Lexie. Sie hockte auf der Motorhaube ihres Autos, das auf der anderen Straßenseite im Gras am Ententeich geparkt war. Sie und Serena hatten Rücken an Rücken in Serenas Doppelbett geschlafen, als Dr. Wong sie kurz nach eins an der Schulter geschüttelt und geflüstert hatte: »Lexie. Lexie, Liebes. Wach auf. Deine Mutter hat eben angerufen.« Sie waren bis nach zwei aufgeblieben und hatten – wie schon seit Monaten – über die kleine Mirabelle McCullough geredet und ob die Entscheidung des Richters richtig gewesen war, ihren neuen Eltern das Sorgerecht zu übertragen, oder ob man sie ihrer Mutter hätte zurückgeben sollen. »Eigentlich heißt sie doch nicht einmal Mirabelle McCullough«, hatte Serena schließlich gesagt, und sie waren in düsteres, verstörtes Schweigen verfallen und dann eingeschlafen.

Lexie sah den Rauch aus dem Zimmerfenster qualmen, das noch vorne zum Vorgarten rausging, und dachte an alles, was jetzt verbrannt war. Jedes T-Shirt in ihrer Kommode, jede Jeans in ihrem Schrank. Die vielen Briefchen, die Serena ihr seit der sechsten Klasse geschrieben hatte und die sie immer noch zu kleinen Dreiecken gefaltet in einem Schuhkarton unter ihrem Bett aufbewahrte – dem Bett, das jetzt samt Laken und Tagesdecke verbrannt war. Das Anstecksträußchen aus Rosen, das ihr Freund Brian ihr an Homecoming geschenkt hatte und das zum Trocknen an ihrem Toilettentisch hing, die Blütenblätter mittlerweile von Rubinrot zu dunklem Braun verfärbt. All das war jetzt nur noch Asche. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie wegen der Wechselwäsche, die sie zu Serena mitgenommen hatte, besser dran war als der Rest ihrer Familie: Auf dem Rücksitz lag eine Reisetasche mit Jeans, Zahnbürste und Schlafanzug. Sie schaute zu ihren Brüdern, ihrer Mutter, die immer noch im Bademantel auf dem Grünstreifen stand, und dachte: Sie haben buchstäblich nur noch ihre Kleider am Leib. Buchstäblich war eins von Lexies Lieblingswörtern, das sie selbst dann benutzte, wenn es überhaupt nicht passte. In diesem Fall war es ausnahmsweise angebracht.

Trip, der neben ihr saß, fuhr sich gedankenverloren durchs Haar. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, und seine verschwitzten Locken standen ihm verwegen zu Berge. Er hatte im Gemeindezentrum Basketball gespielt, als er das Heulen der Feuerwehrwagen hörte, sich aber nichts dabei gedacht. Um eins, als alle hungrig waren und Schluss machen wollten, war er nach Hause gefahren. Trotz der offenen Wagenfenster hatte er die riesige, ihm entgegenwehende Rauchwolke nicht bemerkt. Erst als er die abgesperrte Straße sah, ahnte er, dass etwas nicht stimmte. Nach minutenlanger Erklärung durfte er schließlich seinen Jeep gegenüber dem Haus parken, wo Lexie und Moody bereits warteten. Zu dritt saßen sie auf der Motorhaube, nach Alter geordnet wie auf sämtlichen Familienfotos, die im Treppenhaus gehangen hatten und jetzt zu Asche verbrannt waren. Lexie, Trip, Moody: Zwölftklässler, Elftklässer, Zehntklässler. Sie spürten die Lücke, in die Izzy, die Neuntklässlerin, das schwarze Schaf, der Joker, gehörte – doch im Augenblick gingen sie alle drei davon aus, dass diese Lücke nicht für immer war.

»Was hat sie sich bloß dabei gedacht?«, murmelte Moody, und Lexie sagte: »Selbst ihr dürfte klar sein, dass sie diesmal zu weit gegangen ist, deshalb ist sie weggelaufen. Wenn sie zurückkommt, bringt Mom sie um.«

»Wo sollen wir jetzt hin?«, fragte Trip. Es folgte ein längeres Schweigen, in dem sie ihre Lage überdachten.

»Wir nehmen uns ein Hotelzimmer oder so«, sagte Lexie schließlich. »Ich glaube, das hat Josh Trammells Familie auch gemacht.« Jeder kannte die Geschichte: Ein paar Jahre zuvor war Josh Trammell bei brennender Kerze eingeschlafen, und das Haus seiner Eltern war abgebrannt. An der Highschool ging jahrelang das Gerücht, dass es gar keine Kerze gewesen war, sondern ein Joint, aber das Haus war so gründlich ausgebrannt, dass man es einfach nicht herausfand, und Josh war bei seiner Geschichte mit der Kerze geblieben. Für alle war er immer noch der Vollidiot, der das Haus abgefackelt hat, auch wenn es schon lange her war und...

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