Wenn Sterbebegleitung an ihre Grenzen kommt

Wenn Sterbebegleitung an ihre Grenzen kommt

von: Hubert Böke, Georg Schwikart, Michael Spohr (Hrsg.)

Gütersloher Verlagshaus GmbH, 2002

ISBN: 9783579032870

Sprache: Deutsch

157 Seiten, Download: 2177 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Wenn Sterbebegleitung an ihre Grenzen kommt



Wenn Sterbende aufhören zu sprechen (S. 95-96)
Angela Babanek

Kleine Gesten am Sterbebett

Vielfach erleben Sterbebegleiter, dass Menschen in ihrer letzten Lebensphase während einer kürzeren oder längeren Zeitspanne die Sprache nicht mehr zur Verfügung steht. Dabei ist aber das Bedürfnis nach persönlichen Kontakten zu einer nahen Person meist ungebrochen, vielleicht sogar stärker als jemals zuvor, mit Ausnahme der Kindheit. Das Miteinander- Sprechen ist jedoch oft schwer. Dieser Zustand verunsichert alle Beteiligten. Die Angehörigen fühlen sich hilflos. Die Atmosphäre droht noch depressiver und resignativer zu werden. Der Raum für Hoffnung und Erleichterung wird immer enger.

Andererseits sind Menschen, die eine nahe stehende Person bis in den Tod begleitet haben, häufig sehr bewegt von dem, was sie erlebten. Sie berichten von intensiven Beziehungen gerade auch dann, wenn Sprechen nicht mehr möglich war und der Kontakt zum Sterbenden »nur« noch über kleine Gesten erfahren wurde. Diese kleinen Gesten sind anscheinend wesentlich, um die psychische Arbeit des Sterbens zu bewältigen. Der nicht-sprachliche Kontakt kann nur schwer in Worte gefasst, vielleicht nur indirekt wiedergegeben werden.

Die oft kleinen Gesten und Riten werden leicht als banal empfunden. Sie erscheinen zu »klein«, um darüber zu berichten, sie wollen gelebt statt erzählt werden, oder sie sind dem Sterbebegleiter gar nicht erst bewusst. Ich möchte diese unscheinbaren Anteile einer Sterbebegleitung in ein neues Licht stellen: Die nicht-sprachliche Kommunikation ist eine einfache, direkte Basiskommunikation, die dem Menschen prinzipiell jederzeit zur Verfügung steht. Sie ist die Sprache der Beziehung, der Beziehung zu sich selbst, zum Mitmenschen und zur Welt. Es gibt Phasen des Lebens, in denen diese Kommunikation existenziell ist – und zwar beim Säugling und Kleinkind und – wie spiegelbildlich – in der Phase des Sterbens.

Sie beruht häufig auf einfachsten Mitteln und wird daher leicht von erwachsenen Begleitern unterschätzt. Die Bewusstmachung und Aufmerksamkeit für diese Anteile des Dialogs in der Sterbebegleitung tragen dazu bei, den Kontakt zum Sterbenden angemessen zu gestalten.

Der Mensch lebt in Beziehungen, am Leben sanfang wie am Lebensende

Der Mensch ist ohne Beziehung zu anderen Menschen nicht lebensfähig, er ist an ein Gegenüber gebunden, ohne Gegenüber ist er nicht denkbar. Er lebt von Anfang an in sozialen Beziehungen zu Eltern, Geschwistern, Freunden und vielen andern. Er erfährt sich selbst als Person am deutlichsten im Spiegel zu einem anderen Menschen, im Austausch zwischen dem Ich und Du. Schon ganz zu Beginn des Lebens ist die Mutter-Kind-Beziehung wesentlich für die Entwicklung des Säuglings zu einem Menschen mit einem Bewusstsein für sich selbst und mit einer Auffassung von Beziehung zu andern.

Wie die neuere Säuglingsforschung zeigt 1,2, gehen die Beziehung stiftenden Aktionen vielfach vom Kind aus. Es ist von Anfang an kommunikativ und interaktiv und gestaltet auch in der ganz frühen Phase, bevor es Sprache erlernt, aus eigener Initiative die Beziehung zur Mutter oder einer anderen Bezugsperson. Die Körpersprache in dieser Mutter-Kind-Beziehung ist ein eindrückliches Beispiel für eine sprach-lose Kommunikation. Das Lächelspiel zwischen Mutter und Kind zeigt deutlich, wie beide – Mutter und Kind – über Lächeln, Mimik, Plappern, rhythmische Bewegungen und Körperkontakt in einen Dialog treten, der häufig vom Kind ausgeht und der wechselseitig aufeinander abgestimmt ist. In diesem über einen durchaus längeren Zeitraum anhaltenden Kontakt werden nicht nur die Gesten, sondern auch die Gefühle beider aufeinander abgestimmt. Aus diesen Beziehungserfahrungen bauen sich das Selbst des Kindes und seine Beziehungsmuster kontinuierlich auf. Diese Körpersprache in der Mutter-Kind-Beziehung lässt die grundlegende Bedeutung der Körpersprache in den Beziehungen auch zwischen erwachsenen Menschen und auch im Sterben erahnen.

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