Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA

Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA

von: Nikolaus Buschmann, Dieter Langewiesche (Hrsg.)

Campus Verlag, 2004

ISBN: 9783593373683

Sprache: Deutsch

421 Seiten, Download: 3547 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA



Kriegerische Gründungsmythen im republikanischen Selbstbild Frankreichs (1871–1914) (S. 268-269)

Heinz-Gerhard Haupt

Die Gründungsmythen des republikanischen Frankreich scheinen auf den ersten Blick ebenso gewalttätig und mit Kriegen verbunden zu sein wie die anderer europäischer Länder. Die Niederlage von Vercingétorix in seinem Kampf gegen die römischen Besatzer, der Sieg Philippe Auguste in der Schlacht von Bouvines, der Widerstand von Jeanne d’Arc gegen die Engländer, der Sieg in Valmy über die Truppen der europäischen Konterrevolution, all diese historischen Ereignisse gehörten in unterschiedlichem Ausmaß zu den Themen der Geschichtsschreibung und Erinnerungspolitik, mit denen die Republikaner seit 1877 die Gegenwart in der historischen Kontinuität verorteten und aus den vergangenen Ereignissen entweder Stolz und Selbständigkeit oder aber Tröstungen für Rückschläge oder Niederlagen empfingen.

Diese doppelte Funktion hat die historische und sozialwissenschaftliche Mythenforschung in den Mittelpunkt ihres Interesses gerückt. Mythen haben die Funktion, »gegen das Dunkel der Vergangenheit [abzugrenzen] und einen mythisch-historischen Anfang … [zu] markieren«.

Damit greifen sie auf ein ursprüngliches Ereignis zurück, aus dem dann die Gegenwart und Zukunft der eigenen Gesellschaft abgeleitet wird. Jan Assmann hat diese Funktion des Mythos »fundierend« genannt, denn: »sie stellt Gegenwärtiges in das Licht einer Geschichte, die es sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen läßt«. Aber diese Rechtfertigung der Gegenwart ist nicht nur das Ergebnis einer teleologischen Geschichtserzählung, sondern kann auch – wie Assmann formuliert – »kontrapräsentistisch« angelegt sein: »Sie geht von einer Defizienz-Erfahrung der Gegenwart aus und beschwört in der Erinnerung eine Vergangenheit, die meist Züge eines Heroischen Zeitalters annimmt.

Von diesen Erzählungen her fällt ein ganz anderes Licht auf die Gegenwart: Es hebt das Fehlende, Verschwundene, Verlorene, an den Rand Gedrängte hervor und macht den Bruch bewußt zwischen ›einst‹ und ›jetzt‹«. Aber Mythen können auch kritisch benutzt werden. Andreas Dörner hat unterstrichen, daß »Sinn …gegenüber der gegebenen auch eine potentielle Welt als höherwertig auszeichnen (kann). Mythen sind dann als Medien der Delegitimation, der Abwertung und symbolischen Zerstörung von politischen Strukturen einsetzbar.«

1. »roman de la nation« (J. Revel):
historiographische Kontinuitätskonstruktionen


Im folgenden soll an einigen Beispielen gezeigt werden, wie kriegerische Gründungsmythen in unterschiedlichen Konstellationen verschiedenartig definiert und formuliert wurden und ob und wie sie sich mit dem republikanischen Selbstverständnis vereinbaren ließen. In der Forschung hat dieser Zusammenhang vor allem durch Pierre Noras monumentales Werk der »lieux de mémoire« eine besondere Beleuchtung erhalten. Bekanntlich hat Nora mit der Republik als Akteur und Ort der Gedächtnispolitik begonnen, bevor dann andere Bände der Nation und den verschiedenen Versionen Frankreichs gewidmet waren. Die Bedeutung der Republik hat Nora folgendermaßen definiert: »La République opère un redoublement de mémoire, dans la mesure où, régime politique devenu notre seconde nature, elle n’est pas un simple fragment de notre mémoire nationale, mais sa redéfinition synthétique et son aboutissement «. Unter den Gegenstandsbereichen, in denen diese Umformulierung stattgefunden hatte, privilegiert Nora neben Symbolen, Denkmälern und Erinnerungsfeiern besonders die Pädagogik, denn »la République tout entière est un apprentissage etson histoire est celle d’une acculturation.«

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