Zukunft - Die Biografie

Zukunft - Die Biografie

von: Jan Martin Ogiermann

Christian Brandstätter Verlag, 2019

ISBN: 9783710603648

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 6692 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Zukunft - Die Biografie



Wissen, das ist für diesen Herrscher des siebten Jahrhunderts vor Christus zunächst die Kenntnis von den „Vorzeichen am Himmel und auf der Erde“, dann erst folgen Mathematik und alte Sprachen. Die Zeichen sind überall: im alltäglichen Lebensumfeld, in Krankheitssymptomen, in Träumen, vor allem aber in den Gestirnen und in den Organen von Opfertieren. Der König zieht sie für seine Entscheidungen beinahe täglich zu Rate.

Im Jahr 652 v. Chr. fällt sein Bruder und Vasall Schamasch-schumaukin, König von Babylon, von ihm ab, ein Bürgerkrieg ist die Folge. Mindestens dreizehn Mal – so viele Tontafeln zu dieser Sache erhielten sich im assyrischen Staatsarchiv – wendet sich Assurbanipal in dieser Sache an die Götter und bittet sie, mittels der Leber von Opfertieren zu signalisieren, ob seine Vorhaben erfolgreich sein werden. Soll die Armee zu Felde ziehen? Habe ich den richtigen Kriegsplan? Wird der Rebell meinen Truppen in die Hände fallen? Werden sich andere Herrscher in der Region am Krieg beteiligen? Werden die Streitkräfte Assyriens den Gegner überwinden?

Wichtigster Adressat der Fragen ist der Sonnengott Schamasch, der mit stets derselben Formel angerufen wird: „Schamasch, großer Herr, antworte mir mit einem klaren Ja auf das, was ich Dich frage.“ Die Zeremonie findet mit den ersten morgendlichen Sonnenstrahlen statt, oft nach einer mit Beschwörungen verbrachten Nacht. Der Rauch von Zedernholz verlockt Schamasch dazu, sich mit sechs Götterkollegen den Angelegenheiten eines Sterblichen zu widmen und über dessen Anliegen einen Rechtsentscheid zu fällen. Die Frage flüstert der „Seher“ (Opferschauer) – besser gesagt nuschelt er, denn er trägt Zedernholzspäne im Mund – einem idealerweise makellosen, leuchtend weißen, männlichen Lamm ins linke Ohr, bevor er es mit einem Schnitt durch die Kehle schlachtet. Im Moment der Opferung schreiben die Götter dem Körper des Lammes ihre Botschaft ein. Der Wettergott Adad überbringt sie mit dem Wind und beschriftet die Leber. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Das Organ heißt auch „Tontafel der Götter“ und tatsächlich ähnelt sie dem mesopotamischen Beschreibstoff in Form, Farbe und Größe. Die Kerben, welche der Seher in Augenschein nimmt, erinnern an die Kerben, die er selbst oder sein Assistent mit ihren keilförmigen Griffeln in den Ton des Opferprotokolls drücken.

Tonmodell einer Orakelleber

Der Seher löst Fleisch aus der Schulter, grillt es und legt es zusammen mit dem Bauchfett auf einen Opfertisch. Dann zieht er die Leber des rücklings auf einem Tisch liegenden Schafs mit der rechten Hand aus dessen Bauch und inspiziert nacheinander zwölf Leberregionen, die im Kreis gegen den Uhrzeigersinn angeordnet sind – sie entsprechen dem Himmelsrund mit den Tierkreiszeichen. Die Regionen des Organs heißen unter anderem der „Blick“, der „Pfad“, das „Palasttor“ oder, im Falle der Gallenblase, die „Bittere“. Der Lesende achtet auf Knoten, Kerben, Blasen, Löcher oder die Spuren von Parasiten, und darauf, ob sie sich im jeweiligen Bereich auf der rechten oder linken Seite befinden. Am Ende des Rituals verkündet der Lesekundige dem König, wahrscheinlich von einem Richterstuhl herab, das Ergebnis. Dazu wägt er die zwölf Befunde gegeneinander ab, um zu einem „Günstig“ oder einem „Ungünstig“ zu gelangen. Aber auch ein „Unentschieden“ ist möglich.

Als der mächtige Assurbanipal Schafslebern nach einem göttlichen Fingerzeig begutachten ließ, hatte die mesopotamische Kultur schon etliche bewegte Jahrhunderte hinter sich. Es herrschte der Glaube an menschen- und zugleich sternengestaltige Götter, die ihren Verehrern Unterstützung gewährten, indem sie ihnen Zeichen schickten. Diese Hilfe entsprang dem wechselseitigen Verhältnis zwischen Göttern und Menschen. Die Menschen waren zu dem Zweck geschaffen worden, den Göttern die mühselige Feldarbeit abzunehmen und sie mit den in den Tempeln dargebrachten Gaben zu ernähren. Die Himmlischen wiederum schickten den Irdischen Sonne, Regen und Fluten und ließen die Früchte der Erde gedeihen – und sie sandten ihnen Fingerzeige für die Zukunft.

Die Zeichendeutung gehörte zu den Königshöfen und Tempeln wie auch zum Alltag der Menschen. Professionelle Opferschauer verkauften zulässige Opfertiere an ratsuchende Privatleute, wobei sich manche verschuldeten und die Wahrsager vermögend machten. Für weniger solvente Mandanten waren Begutachtungen von geopferten Vögeln oder von dargebrachtem Mehl, Räucherwerk oder Speiseöl im Angebot.

Am Anfang der Zeremonie stand ein gründliches Gespräch zwischen dem Lesekundigen und seinem „Mandanten“, denn die Antwort der Götter lief auf eine günstige oder eine ungünstige Antwort hinaus und verlangte also eine präzise gestellte Frage. Man konnte dazu auf Musterbücher zurückgreifen, die Fragen wie diese enthielten: Werde ich im kommenden Jahr von Mord, Verleumdung, Hexerei, Sonnenstich, Überschwemmung, Alpträumen, Unfällen, Schlangenbissen, Löwenangriffen und so weiter verschont bleiben? Wird mein kranker Vater gesund werden? Wird meine Frau einen Sohn gebären, und falls nicht, soll ich eine zweite Frau nehmen? Wird mein angehender Schwiegervater den von mir vorgeschlagenen Brautpreis akzeptieren? Soll ich eine Reise antreten? Soll ich ein Feld mit Sesam oder Gerste bepflanzen? Werden Heuschrecken meine Ernte vernichten?

Die Zeichen am Himmel – die Gestirne waren Götter – ergänzten die Zeichen in der Leber. Die enge Verwandtschaft von Leber und Sternenhimmel im Denken der Babylonier und Assyrer gründete auf Schöpfungsgeschichten, wonach Himmel und Erde ursprünglich eins gewesen, dann aber, „wie zwei Hälften eines Stockfischs“, getrennt worden seien und sich jetzt als zusammengehörige Hälften desselben Kosmos gegenüberlägen. Der babylonische Schöpfungsmythos Enuma elisch erzählt, dass der Gott Marduk aus dem Leichnam der von ihm getöteten Urgöttin Tiamat Himmel und Erde geformt und in ihrem Bauch den Himmel gewölbt habe. Somit lag nahe, dass die Organe im Bauchraum und die Sterne nach denselben Grundsätzen gestaltet waren. Das Große und das Kleine, der Himmel und die Lebewesen, die Planeten und die inneren Organe, Makro- und Mikrokosmos, waren miteinander verbunden und spiegelten sich ineinander. Die kosmischen Gesetze schlossen auch die menschlichen Angelegenheiten mit ein, die somit unverrückbar feststanden.

Für den Blick in die bereits feststehende Zukunft bot die Astrologie allerlei Vorzüge. So mussten die Zeichen nicht eigens in einer Opferhandlung erbeten werden, sondern standen in jeder klaren Nacht – und solche gab es viele im Nahen Osten – zur Verfügung. Haarklein einzuhaltende Rituale fielen weg, so dass man gar nicht Gefahr lief, die um Auskunft ersuchten Götter zu verärgern. Da die Planeten als die Götter in ihrer Sternengestalt galten, erlaubte ihre Beobachtung Schlüsse zu ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen. Helle oder dunkle Erscheinungen rechts oder links eines Gestirns waren gute oder schlechte Omen. Zunehmend kam es darauf an, wie Gestirne zueinander standen. Die Konstellationen beantworteten nicht nur Ja-Nein-Fragen, sondern verrieten allgemeine Entwicklungen, nach denen man sich nicht erst zu erkundigen brauchte: „Wenn Stern Salbatanu (= Mars) den Planeten (= Saturn) immer wieder umrundet: Das Getreide wird teurer werden.“ Und noch besser: Während die Leber sich nur auf einen einzelnen Fragesteller bezog, bildete der Himmel die Erde als sein Gegenüber vollständig ab. Ein Sternbild stand für ein bestimmtes Gebiet, so dass es dem Kundigen zum Beispiel Entwicklungen im Feindesland offenbarte.

Wegen ihrer Spezialisierung auf politische Fragen dienten die Astrologen ausschließlich Königen und Tempeln. Nach anfänglicher Konkurrenz arbeiteten sie zur Zeit Assurbanipals schon längst eng zusammen. Die Eingeweideschauer schenkten mittlerweile auch dem Zeitpunkt Beachtung, in welchem ein bestimmtes Zeichen auftrat. Die zuvor eher vage Gleichsetzung der zwölf begutachteten Leberregionen mit dem Tierkreis wurde nun perfektioniert: Jede Region entsprach einem Gott und einem Monat. Experten beider Richtungen wühlten in ihren Archiven, verglichen ihre Ergebnisprotokolle und harmonisierten die verschiedenen Anzeichen; es entstanden umfangreiche Wenn-dann-Listen, insbesondere zu Himmelszeichen, Planetenständen, der Wetterlage und der Preisentwicklung, die eng mit den Ernteergebnissen zusammenhing. In den langen, genau protokollierten Beobachtungen entdeckten die Astrologen langfristige astronomische Zyklen und konnten Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagen. Die Astronomie begann ihre Karriere als Magd der Astrologie – mit Folgen bis heute. Die Einteilung des (Himmels-)Kreises in 360 Grad und die Sieben-Tage-Woche gehen auf babylonische Politik- und Lebensberater zurück.

Der Alte Orient fuhr offensichtlich gut mit seiner Prognostik. Die blühenden Länder beherbergten die Metropolen ihrer Zeit, die Völker im...

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