Eine Rache und andere Geschichten

Eine Rache und andere Geschichten

von: Isabel Allende

Insel Verlag, 2019

ISBN: 9783458752424

Sprache: Deutsch

136 Seiten, Download: 1279 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Eine Rache und andere Geschichten



Ein diskretes Wunder


Die Familie Boulton stammte von einem Liverpooler Kaufmann ab, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auswanderte, mit seinem ungeheuren Ehrgeiz als einzigem Vermögen, und der mit einer kleinen Flotte von Frachtschiffen im südlichsten Teil des amerikanischen Kontinents zu Reichtum gelangte. Die Boultons waren prominente Mitglieder der britischen Kolonie, und wie so viele Engländer, die fern von ihrer Insel leben, hielten sie mit absurder Hartnäckigkeit an ihren Traditionen und ihrer Sprache fest, bis die Vermischung mit kreolischem Blut ihren Dünkel untergrub und ihre angelsächsischen Vornamen gegen andere, landesüblichere vertauschte.

Gilberto, Filomena und Miguel wurden auf dem Gipfel des Boulton-Wohlstands geboren, doch im Laufe ihres Lebens sahen sie den Seeverkehr niedergehen und den Hauptteil ihrer Einkünfte dahinschwinden. Aber wenn sie auch nicht länger reich waren, konnten sie ihren Lebensstil doch aufrechterhalten. Es wäre nicht einfach, drei in Aussehen und Charakter so gegensätzliche Geschwister zu treffen wie diese drei. Im Alter verstärkten sich ihre Wesenszüge noch, aber trotz ihrer offenkundigen Verschiedenheiten stimmten ihre Seelen im Kern überein.

Gilberto war ein Dichter von einigen siebzig Jahren, ein Mann mit feinem Gesicht und dem Habitus eines Tänzers, dessen Leben fern von materiellen Zwängen zwischen Kunstbüchern und Antiquitäten verlaufen war. Als einziges der Geschwister war er in England erzogen worden, eine Erfahrung, die ihn tief geprägt hatte. So war ihm für immer das Laster des Teetrinkens verblieben. Er hatte nie geheiratet, vermutlich, weil er nicht zur rechten Zeit die bleiche Maid getroffen hatte, die so oft in seinen Jugendversen auftauchte, und als er dieser Illusion entsagte, war es zu spät, seine Junggesellengewohnheiten waren bereits zu gründlich eingewurzelt. Er spöttelte über seine blauen Augen, sein gelbblondes Haar und seine Vorfahren und sagte, fast alle Boultons seien gewöhnliche Kaufleute gewesen, die so lange die Aristokraten gespielt hätten, bis sie schließlich überzeugt waren, es tatsächlich zu sein. Doch er trug Tweedjacketts mit Lederflecken auf den Ellbogen, spielte Bridge, las die drei Wochen überfällige Times und pflegte die Ironie und das Phlegma, die den britischen Intellektuellen zugeschrieben werden.

Filomena, rund und schlicht wie eine Bäuerin, war Witwe und Großmutter mehrerer Enkel. Sie war mit großer Duldsamkeit ausgestattet, die ihr erlaubte, Gilbertos anglophile Grillen ebenso hinzunehmen wie die Tatsache, daß Miguel mit löchrigen Schuhen und zerfransten Hemdkragen umherging. Nie ließ sie es an Bereitwilligkeit fehlen, Gilberto zu betreuen, wenn er kränkelte, ihm zuzuhören, wenn er seine merkwürdigen Gedichte vortrug, oder bei Miguels zahllosen Unternehmungen mitzuwirken. Sie strickte unermüdlich Westen für ihren jüngeren Bruder, der sie ein paarmal anzog und dann einem Bedürftigeren schenkte. Die Stricknadeln waren eine Verlängerung ihrer Hände, sie bewegten sich in munterem Takt, einem ständigen Ticktack, das ihre Gegenwart meldete und sie immer begleitete wie der Jasminduft ihres Toilettenwassers.

Miguel Boulton war Priester. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war er brünett, kleingewachsen und fast gänzlich von schwarzem Flaum bedeckt, wodurch er ein wenig wie ein Affe hätte aussehen können, wenn sein Gesicht nicht so gütig gewesen wäre. Mit siebzehn Jahren hatte er die Vorteile des Familienwohnsitzes aufgegeben und kehrte dorthin nur zurück, um mit seinen Verwandten am sonntäglichen Frühstück teilzunehmen oder damit Filomena ihn pflegte, wenn er, was selten geschah, ernstlich krank wurde. Er spürte nicht die mindeste Sehnsucht nach den Bequemlichkeiten, die er in seiner Jugend genossen hatte, und trotz seiner gelegentlichen Anwandlungen von schlechter Laune betrachtete er sich als einen glücklichen Menschen und war mit seinem Leben zufrieden.

Er wohnte nahe der städtischen Müllhalde in einer elenden Ansiedlung vor den Toren der Hauptstadt, wo die Straßen weder Pflaster noch Bürgersteige, noch Bäume aufzuweisen hatten. Seine Hütte war aus Brettern und Zinkblechplatten gebaut. Im Sommer stiegen aus dem Boden übelriechende Dünste von den Gasen auf, die sich durch den einsickernden Unrat unter der Erde bildeten. Sein Mobiliar bestand aus einer Pritsche, einem Tisch, zwei Stühlen und einigen Bücherborden, und an den Wänden prangten revolutionäre Plakate, Blechkreuze, von den politischen Gefangenen angefertigt, bescheidene Behänge, von den Müttern der Verschwundenen bestickt, und Fähnchen von seinem Lieblingsfußballklub. Neben dem Kruzifix, vor dem er jeden Morgen allein die Heilige Kommunion nahm und jeden Abend Gott für das Glück dankte, noch am Leben zu sein, hing eine rote Fahne. Pater Miguel war eines jener Geschöpfe, die von der schrecklichen Leidenschaft für die Gerechtigkeit besessen sind. In seinem langen Leben hatte er so viel fremdes Leid in sich angehäuft, daß er unfähig war, an den eigenen Schmerz zu denken, und das, im Verein mit der Gewißheit, im Namen Gottes zu handeln, machte ihn furchtlos und kühn. Jedesmal, wenn die Soldaten in sein Haus eindrangen, ihn der Unruhestiftung beschuldigten und mit fortschleppten, mußten sie ihn knebeln, denn sie konnten ihn auch mit Knüppelhieben nicht daran hindern, daß er sie mit Beschimpfungen überhäufte, vermischt mit Sprüchen aus den Evangelien. Er war so oft verhaftet worden, hatte aus Solidarität mit den Gefangenen so viele Hungerstreiks durchgestanden und so viele Verfolgte unter seinen Schutz genommen, daß er nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit schon mehrmals hätte tot sein müssen. Sein Foto, auf dem er vor einem Haus der Politischen Polizei saß mit einem Schild zwischen den Händen, das verkündete, hier würden Menschen gefoltert, ging um die ganze Welt. Es gab keine Strafe, die imstande war, ihn einzuschüchtern, aber sie wagten nicht, ihn verschwinden zu lassen, dazu war er bereits zu bekannt. An den Abenden, wenn er vor seinem kleinen Hausaltar niederkniete, um mit Gott zu sprechen, plagten ihn ängstliche Zweifel, ob die Liebe zum Nächsten und das Verlangen nach Gerechtigkeit seine einzigen Triebfedern seien oder ob in seinen Handlungen nicht auch ein satanischer Hochmut verborgen sein könnte. Dieser Mann, der es fertigbrachte, ein Kind mit Boleros in den Schlaf zu singen und nächtelang zu wachen und Kranke zu warten, traute dem Adel seines eigenen Herzens nicht. Sein Leben lang hatte er gegen den Zorn gekämpft, der ihm das Blut verdickte und ihn zu unbeherrschbaren Ausbrüchen verleitete. Insgeheim fragte er sich, was aus ihm geworden wäre, wenn die Umstände ihm nicht so gute Vorwände böten, sich immer wieder kräftig abzureagieren. Filomena ging ganz auf ihn ein, aber Gilberto meinte, wenn ihm in fast siebzig Jahren Balanceakt auf dem Schlappseil nichts Schlimmes geschehen sei, dann gebe es keinen Grund, sich zu beunruhigen, denn der Schutzengel seines Bruders habe ja wohl bewiesen, wie tatkräftig er war.

»Engel gibt es nicht. Das sind semantische Irrtümer«, sagte Miguel.

»Red nicht so ketzerisch, Mensch.«

»Das waren einfache Boten, bis der heilige Thomas von Aquino diesen ganzen Schwindel erfand.«

»Willst du mir erzählen, daß die Feder des Erzengels Gabriel, die in Rom verehrt wird, aus dem Schwanz eines Geiers stammt?« fragte Gilberto lachend.

»Wenn du nicht an die Engel glaubst, glaubst du an gar nichts. Du solltest den Beruf wechseln«, warf Filomena ein.

»Man hat einige Jahrhunderte damit vergeudet, zu erörtern, wie viele von diesen Kreaturen auf einer Nadelspitze Platz haben. Wozu das? Die sollen ihre Energien nicht auf Engel verschwenden, sondern darauf, den Menschen zu helfen!«

Miguel hatte trotz mehrerer Operationen allmählich seine Sehkraft eingebüßt und war schon fast blind. Mit dem rechten Auge sah er gar nichts und mit dem linken nur wenig, er konnte damit nicht lesen, und es war sehr schwierig für ihn, seine nähere Umgebung zu verlassen, weil er sich in den Straßen verirrte. Er wurde immer stärker von Filomena abhängig, wenn er beweglich bleiben wollte. Sie begleitete ihn oder schickte ihm das Auto mit dem Chauffeur, Sebastian Canuto alias »El Cuchillo«, einem ehemaligen Sträfling, den Miguel aus dem Gefängnis geholt und auf den rechten Weg geführt hatte und der seit zwanzig Jahren für die Familie arbeitete. Während der politischen Wirren der ...

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