Pixeltänzer - Roman

Pixeltänzer - Roman

von: Berit Glanz

Schöffling & Co., 2019

ISBN: 9783731761679

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 3246 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Pixeltänzer - Roman



NOP (5) – No Operation

<script>

if (isOrnithologischeÜberzeugungen) {

greeting = „Der Vogel ist ein Schmetterlingsfink.\

Er lebt in Ostafrika.“;

} else if (isOrnithologischeVerwandlungen) {

greeting = „Der Vogel ist ein Kosmopolit.\

Er lebt in der Voliere.“;

} else {

greeting = „Der Vogel ist ein Ziervogel.“;

}

</script>

Johannes sitzt neben mir auf einem Stein und wedelt mit seinem Smartphone vor meiner Nase herum. Er hat einen Filter eingestellt, der unsere Gesichter in Katzenköpfe verwandeln soll. Unsere Augen sind auf dem Bildschirm schwarz umrandet und leicht schräg, während die Nasen von einem weißen Fellfleck und einer niedlichen rosa Kätzchennase überdeckt sind, Schnurrbarthaare breiten sich von der Nasenspitze über die Wangen aus. Zwischen meinen Locken schauen spitze hellbraune Katzenohren hervor, als ob sie ganz selbstverständlich zu meinem Körper gehörten, während sie auf Johannes kurz rasierten Stoppeln etwas aufgesetzt wirken. Wir sind keine Katzen, aber auch keine Menschen mehr. Neben mir startet Johannes die Aufnahme und versucht zu schnurren, dabei formt er mit seiner Hand eine alberne Klaue. Lachend sehe ich noch weniger katzenhaft aus. Er hält sein Smartphone in die große Pflanze neben ihm und spielt den Clip ab, zwischen den dunkelgrünen Blättern klingt mein Lachen und sein Schnurren. Der türkisblaue Vogel, der auf einem großen Stein hinter uns sitzt, schaut das Smartphone desinteressiert an.

»Es funktioniert nicht. Der Vogel glaubt nicht, dass wir Katzen sind.« Johannes zieht die Augenbrauen zusammen.

»Vielleicht ist der Vogel an Besucher gewöhnt? Oder wahrscheinlich ist er einfach zu schlau, um auf den Katzenfilter hereinzufallen«, sage ich. Der Vogel hüpft ein wenig hin und her, als ich mich bewege.

»Probieren wir was anderes.« Johannes öffnet YouTube und beginnt das etwas wacklige Video einer jagenden Löwin abzuspielen. Der Fink würdigt die Smartphone-Löwin keines Blickes.

»Woher weißt du überhaupt, dass der Vogel Löwen kennt? Vielleicht kommt er gar nicht aus Afrika.«

»Gibt es Löwen nur in Afrika?«

»Keine Ahnung, aber in Afrika gibt es definitiv welche.«

»Ich dachte, wir sind hier im Haus mit den Afrika-Vögeln?«

»In dieser Halle sind die Vögel aus Afrika und Australien gemeinsam untergebracht.« Es wundert mich nicht, dass Johannes keine Ahnung hat, wo er sich befindet. Ich vermute sowieso, dass er den Tieren kein großes Interesse entgegenbringt.

»Das heißt, in dieser Halle werden zwei Kontinente vermischt?«

»Ja, hier sind Vögel von beiden Kontinenten. Schaust du nie auf die Tafeln, wenn wir uns etwas angucken?«

»Kein Wunder, dass der Vogel nicht auf mein Smartphone reagiert. Der ist ein Kosmopolit, den lassen Video-Löwinnen kalt.«

Ich zucke mit den Schultern. Wir starren beide den blauen Vogel an.

»Was ist das überhaupt für ein Vogel?«, fragt Johannes mit übertriebenem Eifer.

Wir treffen uns oft sonntags und machen Ausflüge. Ich schaue mir gerne Tiere an, egal ob lebendige im Zoo oder ausgestopfte und präparierte in Museen und Sammlungen. Meist mache ich Fotos von den Tieren, die mich interessieren, und baue später an meinem Computer anhand der Bilder 3D-Modelle. Die Tiere druckt mein 3D-Drucker aus, während ich bei der Arbeit bin. Meist fotografiere ich Vögel, aber auch Echsen und Insekten. Säugetiere interessieren mich kaum. Wenn ich nach Hause komme und die Haustür aufmache, warten die Tiere auf mich. Jedes Mal freue ich mich, in meinem Wohnzimmer die schwarze Box des 3D-Druckers zu sehen, in dem während meiner Abwesenheit eine neue Figur entstanden ist. Ich drucke nur in weißem Plastik, schleife kleine Fehler mit der Hand ab, glätte die Figuren, aber anmalen will ich die Tiere nicht. Sie stehen nebeneinander in dichten Rudeln in meiner Wohnung und warten darauf, dass etwas mit ihnen passiert.

Johannes hat für Tiere nichts übrig, er kommt mit, weil seine Eltern früher immer Wochenendausflüge gemacht haben und er sich leer fühlt ohne ein sonntägliches Ziel. Er schaut sich am liebsten die Stadt von oben an. Wir besteigen gemeinsam Kirchtürme, Aussichtspunkte und Gebäude mit Panoramafenstern. Wenn er mich in den Zoo oder ins Museum begleitet, liest er nie die Schautafeln vor den Gehegen. Trotzdem finde ich es schön, dass er mitkommt.

Außerhalb der Voliere sind Schautafeln mit den verschiedenen Profilen der Bewohner. Ich vertiefe mich in die enorme Vielfalt an Vögeln, die in der Freiflughalle gemeinsam leben, bis ich den kleinen blauen Finken mit den roten Wangenflecken finde.

Johannes sitzt immer noch auf dem Stein und zeigt dem Vogel Tiervideos, als ich mich neben ihm in eine Kuhle fallen lasse. Der Vogel hüpft ein wenig zur Seite und legt wieder den Kopf schief. Seine schwarzen Vogelaugen starren uns unergründlich an.

»Das ist ein Schmetterlingsfink.«

Es scheint Johannes nicht mehr wirklich zu interessieren, weil er jetzt damit beschäftigt ist, zu schauen, ob der Katzenfilter der App den Vogelkopf als Gesicht erkennt. Es funktioniert, auf seinem Bildschirm trägt der blaue Fink nun Katzenohren.

Nachdem wir die Affen und Eisbären besucht und ich einen leuchtend blauen Pfeilgiftfrosch ausführlich fotografiert habe, verlassen wir den Zoo. Ich gebe den Nummerncode ins Zahlenschloss meines Fahrrads ein. Johannes steht neben mir, er kann wegen seiner Rippe noch nicht wieder Fahrrad fahren, weil jeder kleinste Buckel auf der Straße ihm Schmerzen verursacht. »Ich will noch hier um die Ecke gehen, bevor ich nach Hause fahre«, sage ich.

»Warum?«

»Da ist eine Eisdiele, die ich noch nicht hatte.«

Johannes verdreht genervt die Augen und setzt sich kopfschüttelnd in Bewegung. »Hast du nicht langsam alle Eisdielen abgeklappert? Warum suchst du dir nicht lieber einen Stammladen?«

»Ich mag die Mission.«

Mein erklärtes Ziel für diesen Sommer ist es, in allen Eisdielen innerhalb des Berliner Rings eine Kugel Erdbeereis zu essen. Als ich Johannes vor zwei Monaten während unserer Mittagspause davon erzählt habe, hat er sofort gegoogelt, wie viele Eisdielen es in Berlin gibt. Es sind wohl mehr als 500. Wir gehen aber davon aus, dass von diesen 500 Geschäften nur ein kleinerer Teil im Zentrum der Stadt liegt. Die Eisdielenmission hat die anderen Entwickler an unserem Tisch sofort angefixt, weil es keinen Algorithmus gibt, der den kürzesten Weg für den aufeinanderfolgenden Besuch mehrerer Orte berechnen kann, die Variationen sind zu komplex. Das Ganze nennt sich das Problem des Handlungsreisenden. Enthusiastisch diskutierten sie dieses unlösbare Problem, das nur pragmatisch angegangen werden kann. Als ich meinen Teller leer gegessen hatte und aufstand, bemerkte ich erst im Gehen, dass ich die Eiskugeln ja nicht alle hintereinander essen wolle. Ich bin keine Erdbeereis-Rundreisende, sondern kehre zwischendurch immer wieder an meinen Ausgangspunkt zurück, womit es ein Leichtes wäre, den optimalen Weg zwischen den Eisdielen zu bestimmen.

Ursprünglich wollte ich in jeder Eisdiele ein Spaghetti-Eis essen, weil es mich an früher erinnert und daran, wie außerirdisch toll ich es als Kind fand, Spaghetti aus Eis herzustellen, und wie mir immer schlecht wurde von den Klümpchen gefrorener Sahne unter dem Vanilleeis. Spaghetti-Eis wurde in den Sechzigerjahren in Mannheim erfunden, und ich kann mir nichts Provinzromantischeres vorstellen, als den Traum von Italien in Form eines durch die Spätzlepresse gedrückten Vanilleeises. Tatsächlich bieten einige Eisdielen diese Art gefrorenen Fernwehs gar nicht mehr an, sondern stattdessen Rosmarin-Pfirsich oder Kirsch-Balsamico. Erdbeereis gibt es aber noch fast überall. Seitdem ich vor acht Wochen damit begann, habe ich 31 Kugeln Erdbeereis gegessen. Also habe ich öfter als jeden zweiten Tag eine neue Eisdiele gefunden. Johannes hat inzwischen nicht mehr besonders viel Lust, mit mir Eisdielen zu jagen, und meckert, während er neben mir hergeht, pausenlos über bekloppte Suchspiele und sinnfreie Abenteuer gelangweilter Großstädter.

Dawntastic: Toboggan

Abends stelle ich wieder einen Dawntastic-Weckruf ein. Als am nächsten Morgen das Telefon klingelt, bin ich gleich wach und sehe einen Anrufer aus den USA. Sein Profilbild lässt mich stutzen. Ein anthropomorphes Wesen in einem körperbetonten Anzug, der mit rostroter und blasslila Farbe bemalt ist, dazu eine Maske mit übergroßen Augen und lange Drähte, die aus der Taille und dem Kopf des Wesens ragen. Ich bin mir auf den ersten Blick nicht sicher, ob es sich bei der Figur, die eine geballte Faust in die Luft reckt, um ein Tier- oder ein Roboterwesen handelt.

»Hallo.«

»Guten Morgen. Bist du wach?«

»Jetzt schon.«

»Dann habe ich ja meine Aufgabe erfüllt.« Der Anrufer hat eine warme, etwas heisere Stimme.

Im Hintergrund höre ich Straßenlärm, lautes Hupen.

»Fährst du gerade Auto?«

»Nein, ich stehe an einer Kreuzung.«

»Bist du auf dem Heimweg?«

»Nein, ich will zu einer Bar hier in der Nähe, dort warten Freunde auf mich.«

»Wieso sprichst du Deutsch?«

»Weil ich aus Hamburg komme.«

»Die App zeigt aber, dass du aus Amerika anrufst?«

»Ich bin in Kalifornien. Und du?«

»In Berlin. Nach Kalifornien wollte ich schon immer mal, ins Silicon...

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