Der Tote im Bunker - Bericht über meinen Vater

Der Tote im Bunker - Bericht über meinen Vater

von: Martin Pollack

Paul Zsolnay Verlag, 2019

ISBN: 9783552059566

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 1796 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Tote im Bunker - Bericht über meinen Vater



1.


Im Frühsommer 2003 fuhr ich mit meiner Frau nach Südtirol, zum Brenner, um den Bunker zu suchen, in dem vor 56 Jahren mein Vater tot aufgefunden worden war. Er war erschossen worden. Ich wollte mehr über die Umstände seines Todes und die Beweggründe in Erfahrung bringen, die ihn nach Südtirol geführt hatten. Die Nachforschungen hatte ich jahrelang hinausgezögert, vielleicht aus einem unbewußten Gefühl der Angst, ich könnte bei der Spurensuche auf Dinge stoßen, die meine ohnehin schlimmen Erwartungen noch übertreffen würden. Eines glaubte ich von Anfang an zu wissen: Sein gewaltsamer Tod war der Abschluß eines Lebens, in dem Gewalt eine wichtige Rolle gespielt hatte.

Wir waren in Gossensass in einem Café am Marktplatz mit einem Mann verabredet, der versprochen hatte, uns bei der Suche nach dem Bunker zu helfen. Peter Kaser ist Künstler und beschäftigt sich nebenbei mit der Erforschung der italienischen Befestigungsanlagen entlang der Grenze am Brenner, er verwaltet selbst einen dieser ausgedienten Bunker, aus dem er einen Kunstort für Performances und Installationen gemacht hat. Von ihm erfuhren wir, daß es auf der italienischen Seite vom Brenner über 50 Bunker und Kasematten gibt, die Mussolini zwischen 1936 und 1942 als Sbarramento di Brennero, Sperre am Brenner, erbauen ließ, gerichtet gegen Österreich und Deutschland; militärisch spielten die Anlagen freilich nie eine Rolle. Die Einheimischen, die wir befragten, kannten die Geschichte von der Leiche im Bunker, man hatte seinerzeit viel darüber geredet, doch wo das gewesen war, wußte keiner zu sagen. Es gebe viele Bunker in der Gegend, sagten sie, und die Geschichte liege lange zurück. Schließlich gerieten wir durch Zufall an einen älteren Mann mit dem runden, rosigen Gesicht eines Kindes, der uns den richtigen Hinweis liefern konnte. Er wohne, sagte er, nicht weit vom besagten Bunker, sein Vater habe oftmals vom Auffinden der Leiche erzählt. Das Ereignis habe seinerzeit die ganze Talschaft in Aufregung versetzt, obwohl die Menschen so kurz nach dem Krieg ziemlich abgestumpft waren. Anfangs wollte er die Örtlichkeit des Bunkers nicht preisgeben, sein Vater, so erklärte er, habe ihm verboten, über jene Ereignisse zu sprechen, damit könne er sich bloß die Zunge verbrennen. Bei diesen Worten setzte er ein boshaftes Lächeln auf, wie ein Kind, das seinen Spaß daran findet, andere hinzuhalten und zappeln zu lassen, doch Peter Kaser ließ nicht locker, bis er endlich mit der Information herausrückte.

Wir erreichten die angewiesene Stelle auf einer schmalen, parallel zur Autobahn führenden Straße, sie liegt in Sichtweite der Bahnstation am Brennerpaß. Von der Autobahn tönte ein an- und abschwellendes Dröhnen herüber, verstärkt durch die wie ein Schalltrichter wirkenden Talwände. Neben der Straße war ein ebener Streifen, eine Sumpfwiese, dahinter stieg der Wald steil den Hang hinauf, Fichten und Lärchen, dazwischen einzelne Erlen und Birken. Nach wenigen Schritten stolperten wir über rostigen, zwischen den dicken Blättern von Bärenklau und Kohldisteln versteckten Stacheldraht, der aussah wie ein Teil der üppigen Vegetation. Hier sind wir richtig, sagte Peter Kaser, wo Stacheldraht ist, da ist ein Bunker nicht weit. Wir machten einen Bogen um hohe Brennesseln, dunkle Inseln im hellgrünen Krautwerk, mit jedem Schritt scheuchten wir Wolken winziger Mücken aus dem Dickicht. Auf dem gegenüberliegenden Berghang mähte ein hagerer Mann mit weit ausholenden Bewegungen eine abschüssige Wiese, sein braungebrannter Oberkörper glänzte vom Schweiß. Er hatte sein weißes Hemd ausgezogen und am Rand der Wiese abgelegt, von weitem sah es aus wie ein Hund. Unter den Fichten am Waldrand stand eine schwarze Blechtafel mit verblaßter zweisprachiger Aufschrift: »Proprietà Militare Accesso vietato. Militäreigentum Zutritt verboten.« Wir kamen zu einer niedrigen, überwachsenen Steinmauer, dahinter war eine Felsnische, in der ein senkrechter Riß klaffte: ein spaltbreit offen stehendes Tor, kunstvoll gefertigt aus graugrünen Glasfibermatten, mit Buckeln und Falten, so daß man es bei flüchtigem Hinsehen für gewachsenen Fels halten konnte. Das Tor ließ sich erstaunlich leicht öffnen. Das Ganze hatte etwas von einem Eingang zu einer altmodischen Geisterbahn an sich, nur daß wir hier mitten in der freien Natur standen, am Fuß eines dicht bewaldeten Steilhangs. Das Tor führte in einen kleinen Raum, zwei mal zwei Meter, moosbewachsene, feuchte Betonwände, die Decke wieder aus Glasfibermatten. In der Stirnwand war eine Tür aus grün gestrichenem Eisen, verstärkt mit dicken Gitterstäben, in Augenhöhe ein mit einer Eisenplatte vermachtes Guckloch. Die Tür war verschlossen, mit dem Rahmen verschweißt. Wir standen vor dem Bunker, in dem am 6. April 1947 die Leiche meines Vaters gefunden worden war.

Wir streiften suchend durch den Wald, um vielleicht einen zweiten Einlaß zu finden. Die meisten Militärbunker, erklärte Peter Kaser, besaßen aus Sicherheitsgründen zwei Eingänge. Der abschüssige, dick mit Nadeln bedeckte Boden war rutschig, wir mußten nach tiefhängenden Zweigen greifen, um nicht den Halt zu verlieren. Eine dunkle Erhebung im Wald, zehn Meter über dem Eingang, erwies sich als Teil der unterirdischen Bunkeranlage. Ein etwa drei Handbreit aus dem Boden ragender Betonring, darauf ein rostiger Buckel mit vergitterten Sehschlitzen, aus denen uns modriger Geruch entgegenschlug. Ein Ausguck. Von dieser Stelle aus hatte man früher über das ganze Tal bis auf die österreichische Seite schauen können, nun verstellten hohe Fichten die Sicht. In einiger Entfernung entdeckten wir einen zweiten Ausguck. Später fanden wir in einem Buch über die Befestigungsanlagen am Brenner einen Plan des Bunkers, der als Opera 2, Werk Nr. 2, geführt wurde, ein Bunker mittlerer Größe, ausgestattet mit zwei Maschinengewehren und einem Panzerabwehrgeschütz. Einen zweiten Eingang fanden wir nicht, nur einen alten, verfallenen Weg, überwuchert von Stauden und Bäumen. Vom Weg zum Eingang des Bunkers waren es vielleicht dreißig, vierzig Meter, steil bergab durch den Wald, es konnte nicht schwierig gewesen sein, einen leblosen Körper ungesehen hinunterzuschaffen. Vermutlich wurde mein Vater oben auf dem Weg erschossen.

Die Leiche wurde an einem Sonntag entdeckt, von der Frau eines am Brenner stationierten italienischen Eisenbahners, die mit Mann und Sohn einen Spaziergang in Richtung Albergo Al Lupo, Gasthof zum Brenner Wolf, unternahm. Der Bub hatte unter den Bäumen etwas Ungewöhnliches erspäht, vielleicht war das künstliche Felsentor auch damals offen gestanden. Er war durch den tiefen Schnee gestapft, um der Sache auf den Grund zu gehen, und die Mutter war ihm gefolgt. Warum sie in den zu jener Zeit noch offenen Bunker hineinging, ob aus Neugierde oder weil, trotz winterlicher Kälte, ein Geruch von Verwesung in der Luft lag, wissen wir nicht. Gleich hinter dem Eingang stieß sie auf die Leiche. Die zum Fundort gerufenen Carabinieri stellten auf Anhieb fest, daß Mord vorlag, der Tote wies zwei Kopfschüsse und einen Schuß in die Brust auf, er war offenbar längere Zeit im Bunker gelegen. Vor dem Eingang fanden sich einige Habseligkeiten und Papiere, die vermutlich dem Toten gehört hatten, darunter ein Ausweis für Volksdeutsche, ausgestellt auf den Namen Franz Geyer, Arbeiter aus dem slowenischen Ort Krško, zu deutsch Gurkfeld; Geld oder Wertsachen hatte er keine bei sich. Schon bei der ersten Untersuchung tauchten Zweifel an der Identität des Toten auf. Er hatte eine kleine Tätowierung an der Innenseite des linken Oberarmes und im Gesicht Narben — Schmisse, wie man sie von schlagenden Burschenschaftern kennt. Das paßte nicht zu einem Arbeiter. Nachfragen bei den österreichischen Polizeibehörden in Innsbruck ergaben, daß der Identitätsausweis gefälscht war, der Tote war kein Volksdeutscher aus Gurkfeld, sondern der Österreicher Dr. Gerhard Bast, SS-Sturmbannführer, geboren am 12. Jänner 1911 in Gottschee, Jugoslawien, zuständig nach Amstetten in Niederösterreich. Er wurde von der Bundespolizeidirektion Linz als Kriegsverbrecher gesucht, weil er durch längere Zeit die Linzer Gestapo geleitet hatte. Mein Vater.

Wochen nach Auffinden der Leiche kam ein Kriminalbeamter zu meiner Großmutter nach Oftering, ein kleiner Ort in der Nähe von Linz, wohin sie mit ihrem Mann aus Amstetten geflüchtet war, aus Angst vor den Russen. Oftering lag in der amerikanischen Besatzungszone. Der Beamte fragte, ob Großmutter ein Bild ihres Sohnes Gerhard besitze, dieses werde benötigt, um die Identität eines Mordopfers zu klären. So erfuhr sie, daß ihr Sohn am Brenner einem Raubmord zum Opfer gefallen war. Großmutter hatte kein Bild ihres Sohnes, worauf sie der Polizist aufforderte, in Begleitung eines Beamten nach Südtirol zu fahren, um den Toten zu...

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