Die Brandstifter - Roman

Die Brandstifter - Roman

von: R.O. Kwon

Verlagsbuchhandlung Liebeskind, 2019

ISBN: 9783954381128

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 1036 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Brandstifter - Roman



4.


WILL


Phoebe lernte ich auf einer Party in einem Haus voller Fremder kennen, fünf Wochen nach Beginn des Herbstsemesters. Ich war neu am Edwards College in Noxhurst, aber erst im dritten Semester, später als die anderen, dazugestoßen. Vorher hatte ich ein Bibelkolleg besucht, das ich verlassen musste, und war jetzt viel allein. Eines Abends machte ich einen einsamen Spaziergang und sah ein lautstark krakeelendes Studentengrüppchen bei einem Tor einbiegen. Die Tür blieb angelehnt, und ich folgte ihnen hinein. Hip-Hop dröhnte, alles pulsierte, bleiche Gliedmaßen glänzten. Ich hatte herausgefunden, dass der Tisch mit den Getränken der einzige Ort war, an dem ich herumstehen konnte, ohne völlig isoliert zu wirken. Ich hing an meiner bewährten Stelle ab und trank den dritten Punsch, als vor mir ein Mädchen im gestreiften Kleid stolperte. Sie goss mir kühle Flüssigkeit aufs Bein.

Sie schrie eine Entschuldigung, dann einen Namen: Phoebe Lin. Will Kendall, brüllte ich zurück. Wir versuchten uns zu unterhalten, aber ich missverstand ständig, was sie sagte. Phoebe fing an, das Becken hin und her zu wiegen. Als ehemaliger wiedergeborener Christ hatte ich noch nicht auf vielen Tanzflächen gestanden; unsicher versuchte ich, das Mädchen nachzuahmen. Die bloßen Schultern glitten geschmeidig nach links, nach rechts. Andere zuckten zum schnellen Beat, aber Phoebes Hüften bewegten sich in einem anderen, langsameren Rhythmus. Punschverklebte rote Plastikbecher zerbarsten unter tanzenden Füßen und breiteten sich zu splittrigen Blütenblättern aus. Mit den Handflächen nach oben, hob Phoebe beide Arme. Stockend setzte sich der Raum in Bewegung und drehte sich allmählich auch für mich. Sie neigte sich, schwebte in der Schräge des Raumes, blieb aber die ganze Zeit bei dem ruhigen Rhythmus, den sie gefunden hatte, wurde noch langsamer, bis mein Puls im gleichen Takt schlug wie ihrer.

Sie tanzte immer weiter, also tat ich das auch. Als sie schließlich aufhörte, wirkte sie erhitzt und atemlos. Sie nahm ihre langen, schwarzen Haare zu einem improvisierten Pferdeschwanz hoch. Wir schrien uns wieder etwas zu, und ich beobachtete einen Schweißtropfen, der vom Haaransatz auf die Kuhle zwischen ihren Schlüsselbeinen zurollte, wo er sicher eine kleine Pfütze bilden würde, dachte ich, die man weglecken könnte. Der dichte, an den Spitzen nass geschwitzte Pony teilte sich und offenbarte ihre Stirn. Diese Stelle, diese plötzliche Offenheit wollte ich küssen: Ich beugte mich herunter. Sie schmiegte sich an mich.

Seitdem, drei Wochen war das jetzt her, unterhielten wir uns; wir küssten uns, aber dabei war es bisher geblieben. Ich wusste nicht, wie viel ich verlangen durfte. Ich wartete ab, während der Rest von Edwards Bäumchen-wechsel-dich spielte. Wenn ich nachts auf die Toilette ging, kamen mir auf dem Gang angetrunkene Mädchen in geborgten, übergroßen Polohemden entgegen. Sie warfen mir ein strahlendes Lächeln zu, dann schlingerten sie zurück in die Zimmer meiner Wohnheimgenossen. Ich verschwand hinter meiner Tür, hörte aber trotzdem das Stöhnen, die hohen Schreie. Auch in meinem Bett könnte jederzeit ein hübsches Mädchen auf seinem Zickzackpfad landen; und wenn es bisher noch nicht dazu gekommen war, lag es doch aufregend im Bereich des Möglichen – ich bräuchte nur die richtigen Worte zu sagen, nach der richtigen Frau zu greifen …

Stattdessen malte ich mir in den Nächten, in denen ich schlaflos im Bett lag, Phoebes geschmeidige Hüften und faustgroßen Brüste aus. Sie wand sich, schlug um sich. Mit durchgedrücktem Rücken reckte sie die rosa Rosette ihres Hinterteils in die Luft; sie war der Star meiner Solofantasien. Die Tatsache, dass ich noch nicht mit Phoebe oder einer anderen Frau geschlafen hatte, war kein Hindernis für diese Träume; im Gegenteil, das half mir sogar. Mein Zorn befreite mich von den Gewissensbissen, die ich ansonsten vielleicht verspürt hätte, bei dem, was ich mit Phoebes Mund und Busen in meinem Kopf anstellte. Sobald mir diese Phantom-Phoebe auf den Schoß sprang, biss ich ihr in die Lippen, leckte ihre Finger, griff mir ganze Hände voll ausgedachter Haut. Manchmal ging es soweit, dass das echte Mädchen, sah ich es in Fleisch und Blut vor mir, so irreal wirkte wie die Phoebes aus meinen Träumen.

Ich schob mich durch eine Drehtür ins Colonial, einen lose mit dem College verbundenen Privatklub. Sie hatte mich eingeladen, mit ihr einen trinken zu gehen. Ein letztes Mal, hatte ich mir vorgenommen. Mit Phoebe verbrachte ich zu viel Zeit, die ich gar nicht hatte. Ich hastete aus meinen Seminaren zum Michelangelo’s, einem fast fünfundzwanzig Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen, italienischen Restaurant – weit genug weg, dass hoffentlich keiner meiner Kommilitonen dort aufkreuzte. Ich fuhr mit dem Bus. Ich arbeitete als Kellner und verließ mich auf das kostenlose Essen für die Restaurantmitarbeiter. In der Edwards-Cafeteria ließ ich Äpfel mitgehen. Ich bezog ein Stipendium, aber es reichte nicht zum Leben. Niemand wusste davon.

Phoebe saß allein an der Bar, mit dem Rücken zum Raum. Ich berührte sie an der Taille, und sie ließ sich vom Barhocker gleiten. Ihr Lächeln schwebte mir von schräg unten entgegen. Sie bat Bix, den Mann mit der Fliege hinter der Bar, mir einen Gimlet zu machen.

Du wirst ihn mögen, Will, sagte sie. Bix macht die besten Gimlets der Welt, ehrlich. Er tut irgendeine geheime Zutat rein, ich habe ihn gefragt, aber er will sie mir nicht verraten.

Wenn es mein Rezept wäre, meine Liebe, würde ich es dir auf der Stelle verraten, erwiderte er.

Das nahm ich ihm sofort ab. Es war offensichtlich, dass Phoebe ihm gefiel. Sie fragte, wie es mir gehe, und ich antwortete, dass ich auf dem Weg hierher an einem Geigenspieler vorbeigekommen sei. Ich war stehen geblieben, hatte zugehört. Kleine Scheine hatte ich nicht, also warf ich ein paar Quarter in seinen umgedrehten Hut. Oho, sagte der Musiker. Da klingelt aber mal richtig die Kasse. Das ist ja süßer die Glocken nie klingen heute Abend.

Er hat die Münzen weggeschmissen, sagte ich zu Phoebe. Ich zwang mich zu einem Lächeln, aber ich hatte die Geschichte nicht gut erzählt. Ich hatte ihm helfen wollen. Sechs Quarter, die er auf den Boden geworfen hatte, als wären sie nichts wert. Wenn ich es als guten Witz erzählen könnte, würde mir seine Verhöhnung nicht mehr so wehtun. Doch als hätte Phoebe die von mir gewollte Version gehört, tat sie mir den Gefallen und lachte. Sie fragte, was ich daraufhin gesagt hätte. Ich erzählte weiter; ich war zufrieden, aber auch etwas verunsichert. Es war fast unheimlich, wie gut sie zuhörte. Ich bekam Angst, dass ich mehr offenbaren könnte, als mir eigentlich lieb war. Sobald sich die Gelegenheit ergab, drehte ich die Fragen herum: der alte Prediger-Trick. Die meisten Menschen reden ausgesprochen gern über sich selbst. Spürte ich bei Phoebe einen gewissen Widerstand, bohrte ich trotzdem weiter.

Ich bin zum ersten Mal im Colonial, sagte ich. Ich fragte, ob sie öfter herkomme. Sie erklärte mir die Rituale und Traditionen des Klubs, die komplizierten Trinkspielregeln. Ein gespensterweißer Kerzenstummel flackerte zwischen uns. Ich stellte immer weiter Fragen. Ich sah Phoebe gern beim Reden zu. Langsam kreiste sie das ein, was sie sagen wollte. Entflammt von ihren eigenen Geschichten, brach sie in Gelächterböen aus, von denen die Kerze zwischen uns erlosch. Bix zündete sie wieder an, kurz darauf brachte Phoebe sie wieder zum Erlöschen.

Man gibt das Glas herum, bis es leer ist. Der Letzte, der daraus trinkt, muss es sich verkehrt herum auf den Kopf stellen. Dort dreht er es im Kreis, während die anderen singen …

Den Blick auf etwas links von mir gerichtet, verstummte sie. Ich drehte mich um, bemerkte aber nichts Außergewöhnliches. Auf dem Fensterbrett spreizten Lilien ihre Blütenblätter wie vergehende Sterne. An der Ampel wartete ein großer Mann.

Ich dachte nur, ich hätte ihn schon wieder gesehen, sagte sie.

Wen?

John Leal heißt er – kennst du ihn?

Ich glaube nicht.

Ach, vergiss es, sagte sie. Ich denke nur dauernd, ich würde ihn sehen, aber …

Und wer ist das?

Ein wenig konfus versuchte sie es zu erklären. Bix zündete die Kerze wieder an, und sie dankte ihm. Mehrere Anläufe waren notwendig, aber schließlich konnte ich mir zusammenreimen, dass sie vor ein paar Tagen Downtown in einem Club gewesen war. Sie war mit dem Telefon in der Hand auf die Straße getreten, um sich ein Taxi zu rufen. Draußen lehnte jemand an der Wand. Als Phoebe das Telefonat beendete, rief er sie beim Namen. Sie erkannte den Mann nicht, vermutete aber, dass es ihre Schuld war. Wahrscheinlich hatte sie ihn kennengelernt und es wieder vergessen. Aus Höflichkeit tat sie so, als kenne sie ihn, aber er stieg nicht auf ihre Show ein. Ich heiße John Leal, sagte er. Und du bist Phoebe. Ich habe gehofft, dass wir uns irgendwo über den Weg laufen....

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