Nicht wie ihr - Roman

Nicht wie ihr - Roman

von: Tonio Schachinger

Verlag Kremayr & Scheriau, 2019

ISBN: 9783218011907

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 397 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Nicht wie ihr - Roman



10


Seit Ivo am rechten Flügel spielt, muss er keine Tore schießen. Es ist gut, wenn er welche schießt, aber sie sind nicht mehr Teil seiner Identität wie früher. Er muss sich vorbeidribbeln, key passes spielen, Flanken schlagen. Sein Spiel ist nicht »Ich gegen den Torhüter« oder »Ich gegen die Welt«, sondern »Ich gegen dich«, 1 gegen 1, immer wieder, bis niemand mehr übrig ist und der Ball im Netz liegt. Und gerade, weil er nicht muss, weder Tore schießen noch das Gerede anhören von wegen »Er hat den Torriecher nicht« und »Er ist kein Knipser«, dieses dumme Gerede, das sich selbst erfüllt, indem es auf den Charakter des Spielers übergeht statt ihn zu beschreiben, gerade dashalb hat er in der letzten Saison so viele Tore geschossen wie schon lange nicht mehr. So wollen das die Leute halt. Sie wollen, dass der Mensch und der Fußballspieler zusammenpassen, obwohl das fast immer erfundener Scheißdreck ist. Sie wollen Freaks, wie Lewandowski, Müller, Higuaín und Ibrahimović, um sich Erklärungen zurechtzulegen, warum die immer treffen. Bei Müller ist es so eine Art Bauerndummheit, ein Nicht-darüber-Nachdenken, bei Lewandowski eine glatte, emotionslose Professionalität, bei Higuaín ist es dieses Latino-Klischee eines Typen, der sich gehen lässt, dauernd ur viel fickt und nur an den Tagen vor den Matches damit aufhört, damit sich seine Energie so aufstaut, dass er praktisch treffen muss, um sich zu entladen, was natürlich beides nicht stimmt. Ibrahimović chillt inzwischen mit seiner zehn Jahre älteren Frau, spielt mit seinen Töchtern Verstecken oder macht Taekwondo und ist bei allem der Beste.

Und wenn die sogenannten Stürmer nicht treffen, nennt man es Ladehemmung und bezieht es auf beides, auf das Toreschießen und auf sie als Menschen. Er hat die Nerven nicht. Er ist nicht abgebrüht genug. Ivo denkt über den Tag verteilt mehrmals darüber nach, wie schwachsinnig das ist, bevor er sich nach dem Match selber dabei erwischt, es zu wiederholen.

Er hat ein sehr gutes Spiel gemacht, eines seiner besten im Nationalteam, ein Tor geschossen und zwei aufgelegt. Der Tag und Ivo sind gelaufen wie auf Auto-play, unhinterfragt, und jetzt sitzt er im Whirlpool mit dem Satz im Kopf »Ich habe meine Ladehemmung abgelegt« und dem Gefühl im Körper, dass er für alles bereit ist, was gemacht werden muss.

David und Marko spielen Musik auf den kleinen Boxen und Ivo geht dem Brennen in seinen Beinen nach, während ein paar von den anderen, die morgen auch frei haben, Pläne für den Abend machen. Auch sie können nicht wirklich raus, weil sie in Wien jeder erkennt, aber sie wollen zumindest im Hotel Red Bull trinken und Fifa spielen. Sausageparty. »Bist du dabei, Ivo?«

»Na. Ich mag nix machen.«

»Wieso, was machst?«

»Nix, oida, hab ich eh gesagt. Was soll ich machen? Mit euch Fifa spielen? Deine Mama ins Hotel bestellen? Geht’s mir nicht am Oasch!«

Im Hotelzimmer legt Ivo sich so, wie er ist, im Bademantel und nach Schwimmbad riechend, auf das Bett und wartet mit immer kribbelnderem Gefühl. The time has come to PUSH THE BUTTON. Eine halbe Stunde noch, bis er dieses endlose Denken und Wünschen, das er seit zehn Jahren oder zwei Monaten mitschleppt, auslöschen kann. Ivos Herz klopft und er beginnt, mit sich selber zu reden, wie es die Menschen in Pornos machen, mit Ankündigungen davon, was sie gerade tun. Ich fick dich jetzt so richtig, du Fotze. Du Fut. Ich fick jetzt deine Fut. Ich fick dich, wie dus brauchst. Ist es nicht eigentlich beruhigend, dass unabhängig von allem anderen, Geld, Schönheit, Bildung, der Sex zwischen einem Mann und einer Frau immer aufs Gleiche hinausläuft?

Als er um 2 nach halb 10 das Klopfen an der Tür hört, regt sich Ivos Körper kein bisschen. Er hat auf den Moment gewartet und fühlt sich eiskalt, lauernd wie ein Torjäger, der die Flanke schon antizipiert hat, abgebrüht wie ein Pornostar. Mirna sieht vollkommen anders aus. Sie küsst ihn mit gesenkten Augen auf eine Wange, legt ihre Tasche mit einem Klimpern auf das Bett und schaut ihm ganz offen in die Augen. »Darf ich bei dir duschen? Ich bin schon ewig unterwegs.«

Während sie im Bad ist und Ivo, mit der Hand im Bademantel, das Wasser hört, das an ihrem nackten Körper entlangrinnt, verändert sich die Pornostimme in ihm ein bisschen und er denkt an Colin Farrell und wie der in dem geleakten Amateurporno die ganze Zeit »You’re so focking beautiful« sagt. Du geile Drecksau, du bist so schön, ich fick dich. Er hat das Bild von Mirnas Jeans im Kopf, die sie an den Schenkeln und beim Arsch so ausfüllt, wie Jessy es nie könnte. Jetzt nicht an Jessy denken. Du geile Sau, jetzt fick ich dich. Und trotzdem ist es eigentlich komisch, dass Mirna schon durch das Duschen Ivos Pläne durchkreuzt und ihm den Abend irgendwie aus der Kontrolle nimmt, weil er nicht darauf vorbereitet war, und jetzt, wo er darüber nachdenkt, ist er verstört, dass Mirna von seinem Bademantel nicht verstört war und verwirrend an- und abgetörnt davon, dass sie einfach so nebenan nackt duscht, als wär das normal.

Das Wasser hört auf zu tropfen und es ist zu hören, wie Mirna aus der Dusche kommt und ein Handtuch mit einem Scheppern von der Halterung nimmt. Dann öffnet sich die Tür, die Lichter gehen aus und Mirna steigt barfuß und lächelnd im weißen Frotteebademantel aus dem Bad, das nasse, fast schwarze Haar eingedreht und glänzend wie ein Otter, der Rest weiß und weich, setzt die Füße mit der Ferse zuerst auf den Teppichboden. Sie geht zielstrebig auf Ivo zu und plötzlich ist alles normal, Ivo und Mirna, die Körper, das Hotelzimmer als einziger Ort und Ivo verlässt das Bewusstsein der Pornos und Tore und betritt ein anderes, ein logisches.

Sie reiben sich aneinander, sie fallen rauf und klettern runter, sie sind wie geriffelte Chips, überall Oberfläche, Rillen, Poren. Mirnas Hände fahren wie tiefergelegt Ivos Körper entlang, die Tattoos, die nur noch Formen sind, und Ivos Hände können nicht aufhören zu schauen, wie weit Mirna sich erstreckt. Sie drehen sich um etwas und reden kein Wort, während alles sich auflöst, und auch keines, als sie nebeneinander liegen, Mirna an Ivos Schulter gelehnt und beide jenseits der Gedanken. Dann, nach einer langen und sehr klaren Pause, sagt Mirna: »OK, also das ist erledigt.«

Eine Minute vergeht und Ivo lacht auf, so, dass er sich gar nicht wiedererkennt in dem Lachen, und Mirna küsst ihn auf den Mund. Dann springt sie auf, holt ihre mitgebrachte Tasche, nimmt eine DVD und eine Flasche Wein raus, legt die DVD ein und setzt sich mit dem Wein zu Ivo aufs Bett, während er, gleich nach dem Lachen, zum ersten Mal im Leben das Gefühl hat, dass ihm das Wegswitchen vom Sex zu schnell geht.

Sie sitzen nebeneinander und sehen, wie Al Pacino auf einem Wagen durchs Spital rollt und über sein Leben nachdenkt, aber Ivo hört nur halb hin, denkt nur halb mit und könnte eigentlich gar nicht genau sagen, was in ihm vorgeht, in diesem langgedehnten Zeitraum, bis Mirna etwas sagt.

»Gefällt dir der Film?«

Er fühlt sich, als ob er viele Fragen hätte und gleichzeitig gar keine.

»Ivo?«

Jetzt dreht sich Mirna zu ihm um und Ivo zuckt kurz zusammen, als sein Blick ihre Augen trifft. Er erklärt ihr, dass es für ihn komisch ist, den Film zu sehen, weil für ihn Al Pacinos Geschichte um sich ballernd in einer Koksvilla endet und nicht alt, arm und traurig, und dann reden Mirna und er über Gangster und solche, die keine Gangster mehr sein wollen, über die Idole ihrer Jugend, die entweder tot sind oder fett, und darüber, wie ein Happy End für sie aussehen könnte, während der Film vor sich hinläuft. Erst als Pacino auf dem Dach sitzend seine Ex beim Ballett beobachtet, beginnt der Film, Ivo zu interessieren und er spürt eine aufkommende Geilheit in sich.

»Eigentlich«, sagt er, »gefällt mir die Frau aus dem Club viel besser als die Ex« und Mirna sagt, es geht ihr genauso. Aber später, bei der wichtigsten Szene des Films, als Pacino die Ballerina zu Hause besucht, halten sie trotzdem beide den Atem an und hören auf zu reden. Pacino kommt zur Tür seiner Ex, sie öffnet nur einen Spalt und weigert sich, ihn reinzulassen. »The only way you will enter this door is if you kick it in«, sagt sie und Pacino antwortet nur: »I’m too old for that.« Die Ballerina macht ein spöttisches Gesicht, geht nach hinten in ihr Schlafzimmer, aber so, dass er sie durch den Türspalt sehen kann und beginnt sich auszuziehen. Pacino seufzt und geht weg von der Tür, und Ivo ist sich für einen Moment sicher, dass Pacino jetzt aufgibt, dass er wirklich zu alt ist, als er mit Anlauf die Tür eintritt und zur Ballerina läuft, um mit ihr zu ficken. Ivo und Mirna beugen sich zueinander, küssen sich und haben noch einmal Sex, ganz schnell und schön. Im Einschlafen sagt Ivo: »Jetzt werden wir nie erfahren, wie der Film ausgeht«,...

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