Der Preis des Ruhms - Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges
von: Marian Füssel
Verlag C.H.Beck, 2019
ISBN: 9783406740060
Sprache: Deutsch
657 Seiten, Download: 28356 KB
Format: EPUB, PDF, auch als Online-Lesen
II
Geopolitik zwischen Reich und Empire
Krieg und Globalisierung
Was bedeutet es nun konkret für die Anlage einer Darstellung, den Siebenjährigen Krieg als einen global ausgetragenen Konflikt zu begreifen?[1] Die Globalität des Krieges ist letztlich ein Effekt sich überlappender regionaler Konflikte. Man muss nur entscheiden, welche Kriege man unter einer einzigen Linse betrachten will, damit nicht irgendwann «jeder Schuss», der in den 1750er und 1760er Jahren des 18. Jahrhunderts «irgendwo auf der Welt» fiel, zu einem Teil des Siebenjährigen Krieges wird.[2] Bei näherer Betrachtung ist weder die zeitliche noch die räumliche Dimension dieses Konfliktes unumstritten.[3] Die erste augenfällige globale Dimension liegt in der Konfrontation des britischen und französischen Kolonialreiches und deren Koppelung an den Dritten Schlesischen Krieg. Eine in diesem Sinn primär geopolitische Perspektive nehmen Autoren wie Daniel Baugh ein, und mit ihr gewinnen Akteure wie Thomas Pelham-Holles, Duke of Newcastle (1693–1768), William Pitt (1708–1778), Friedrich II. oder der Duc de Choiseul (1719–1785) an Bedeutung.[4]
In Großbritannien diskutierte man die geopolitische Alternative von «blue water policy» oder «continental commitment».[5] Denn seit 1714 stand England ja mit dem Kurfürstentum Hannover in Personalunion, die Bindung an den Kontinent musste daher im strategischen Kalkül immer mit berechnet werden und sollte sich gerade für den Siebenjährigen Krieg als extrem folgenreich erweisen.[6] In die imperiale Konfrontation wurde durch den «pacte de famille» 1762 auch noch das spanische Kolonialreich miteinbezogen. Eine der einflussreichsten militärischen Akteure an der Grenze des christlichen Europas, das Osmanische Reich, blieb dem Konflikt konsequent fern, obwohl sowohl der preußische König als auch Frankreich immer wieder versuchten, die Sultane Osman III. (1699–1757) und Mustafa III. (1717–1774) zu einem Bündnis zu bewegen.[7] Allein von der räumlichen Ausdehnung ist die Rede vom Weltkrieg also zunächst evident.
Zeitlich verschiebt sich mit dem globalen Fokus der Kriegsausbruch von dem in Deutschland gängigen Ausbruchsjahr 1756 mehr und mehr in die Phase der Jahre 1751 bis 1754 und erlaubt, Konflikte in Indien (Arcot) und dem Ohio-Tal als den eigentlichen Beginn auszumachen. Letztlich, so die radikalste Position, gehe der Konflikt bis auf den Frieden von Aachen 1748 zurück, der viele unzufriedene Akteure und ungeklärte Ansprüche hinterlassen hatte.[8] Schon 1899 schrieb Georg Küntzel, dass für «die Austragung der colonialen und schlesischen Frage» der Aachener Friede «nur den Werth eines kurzen Waffenstillstandes» gehabt habe.[9] Auch das Ende franst in der jüngeren Historiographie weiter aus. Nicht mehr die Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg 1763, sondern auch der Pontiac-Krieg (1763–1765) oder die Kämpfe der East India Company gegen den Nawab von Oudh (1764–1765) werden als mögliche Endpunkte gehandelt.[10] Weitet man die Kontexte der Vor- und Nachgeschichte noch deutlicher aus, kann der Siebenjährige Krieg mit Arthur Buffinton auch als Teil eines «Zweiten Hundertjährigen Krieges» zwischen Frankreich und Großbritannien im Zeitraum von 1689 bis 1815 interpretiert werden.[11] Ein Label, das jedoch sowohl eine Homogenität und Zusammengehörigkeit diverser Konflikte suggeriert, die keineswegs alle unmittelbar miteinander verkettet waren, als auch eine erhebliche Einschränkung der wirkmächtigen Akteure bedeuten würde.[12] Die wichtigste Lektion, die von der postkolonialen Forschung von Indien bis nach Nordamerika in diesem Zusammenhang zu lernen ist, ist wahrscheinlich die symmetrische und nichtteleologische Betrachtungsweise imperialer Konflikte.[13] Das heißt erstens ganz konkret: Wir sollten die Ereignisse nicht immer so erzählen, dass der Triumph des britischen Empire ihren logischen Fluchtpunkt bildet. Zweitens heißt es, die lokalen Akteure nicht als Beiwerk zu den Verstrickungen europäischer Mächte zu begreifen, sondern als potentiell handlungsmächtige Akteure. So haben jüngere Arbeiten zur Geschichte der ‹Indianer› Nordamerikas die gängige Perspektive umgekehrt und die Geschichte aus der Perspektive der Native Americans erzählt, eine Geschichte, in der die permanente Bedrohung nun aus dem Osten kommt.[14] Von der Quellenlage ist diese Symmetrie allerdings nicht ohne Weiteres herzustellen, da nicht überall die gleiche Dichte schriftlicher Quellen herrscht. Ein materielles Quellenzeugnis der indianischen Kommunikationskultur sind die sogenannten Wampum-Gürtel aus Perlen von Muscheln und Schneckengehäusen, die zur Bestätigung von Verträgen oder als Zahlungsmittel genutzt wurden.[15] Das Quellenproblem liegt für die Überlieferung zu den einfachen Soldaten des Ancien Régime jedoch in ähnlicher Weise vor, hat aber nicht dazu geführt, die Perspektive einer Militärgeschichte ‹von unten› aufzugeben.[16]
Entscheidender noch als die schiere zeitliche und räumliche Ausdehnung des Konflikts ist die Frage nach den Interdependenzen und lokalen Machtgefügen. Der Krieg begann in Nordamerika und Indien, und erst ein Jahr später führte man in Europa Krieg; andere Regionen wie Afrika oder die Karibik wurden wiederum erst durch europäische Initiative zu Kriegsschauplätzen. Die Verkettung unterschiedlicher Kriegstheater wirft die Frage nach der globalisierenden Wirkung des Krieges auf. Globale Verflechtung findet auf mehreren Ebenen statt, die den Kreis um die geopolitischen Entscheidungsträger noch einmal signifikant erweitern. Globale Interaktion vollzieht sich unter anderem in wirtschaftlichen, religiösen, politischen, militärischen, kommunikativen und kulturellen Bereichen. Global operierende Handelsgesellschaften wie die britische East India Company (EIC) oder die französische Compagnie des Indes (CdI) hatten enormen Einfluss auf den Konflikt.[17] Während die französische Indienkompanie allerdings recht eng an die Krone gebunden war, konnte die britische wesentlich autonomer handeln, wenngleich sie auf militärische Unterstützung angewiesen war und die Krone mit der immer wieder anstehenden Verlängerung ihrer Privilegien ein gewisses Druckmittel in der Hand hielt. Stockfisch von der Küste Neufundlands, Pelze aus Kanada, Zucker und Rum aus der Karibik, Gummi arabicum aus Afrika oder Salpeter aus Indien bildeten nur einige der global zirkulierenden Handelsgüter, die im Siebenjährigen Krieg eine Rolle spielten.[18] Die Handelsgesellschaften agierten als militärische Akteure, wurden zu Territorialherren und bildeten kommunikative Netzwerke aus. Aus Sicht der Herrscher der ehemaligen Provinzen des indischen Mogulreiches bildeten die Kompanien Bündnispartner in Prozessen der Staatsbildung. Nach dem Tod des Großmoguls Aurangzeb (1618–1707) wirkten in Indien Prozesse, die denen im Alten Reich nicht unähnlich waren – freilich mit dem Unterschied, dass sie von der kolonialen Geschichtsschreibung meist als Zerfallsprozess gedeutet wurden.[19] Die einzelnen Provinzen versuchten, ihre «fiskalischen und ökonomischen Ressourcen zur Schaffung eines eigenen Staates zu mobilisieren».[20] Ein Prozess, den Michael Mann auch als «segmentäre Staatsbildung» bezeichnet hat.[21] Für Mann ist es mit Blick auf Südasien die Parallelität von Staatsbildungsprozessen, die den Siebenjährigen Krieg «tatsächlich zu einem ersten Weltkrieg» werden lassen. So wäre es ein «Trugschluss», die globalgeschichtliche Dimension allein in der «interkontinentalen Vernetzung von Ressourcen, Informationen und Menschen» zu sehen.[22] Vielmehr gelte es, die «Bruchzonen» der Globalisierung aufzuzeigen. So stehen am Ende Asymmetrie und Herrschaft und nicht grenzenlose Zirkulation. Die Aufgabe, der Vernetzung von Ressourcen, Informationen und Menschen nachzuspüren, wird damit jedoch nicht obsolet.
Für die kommunikativen Kanäle ebenso wie die öffentlich wirksamen Faktoren hatten auch religiöse Akteure eine enorme Bedeutung, sei es in der Korrespondenz von Missionaren oder konfessioneller und interreligiöser Propaganda. Für Nordamerika und Indien sind etwa die Relationen der Jesuiten aufschlussreich, für Südindien die der Dänisch-Halleschen Mission in Tranquebar.[23] Selbst der Vatikan wurde zum Akteur im Zeichen eines Abschieds vom Religionskrieg.[24] Neben den offiziellen Kirchen...