Die Macht der Dinge. Symbolische Kommunikation und kulturelles Handeln

Die Macht der Dinge. Symbolische Kommunikation und kulturelles Handeln

von: Andreas Hartmann (Hrsg.), Peter Höher (Hrsg.), Christiane Cantauw (Hrsg.), Uwe Meiners (Hrsg.), Silk

Waxmann Verlag GmbH, 2011

ISBN: 9783830974703

Sprache: Deutsch

574 Seiten, Download: 6723 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Die Macht der Dinge. Symbolische Kommunikation und kulturelles Handeln



Be-wohnte Dinge (S. 309-310)

Wolfgang Kaschuba


„Wohnst du noch, oder lebst du schon?“ Diesen Werbespruch des schwedischen Einrichtungshauses IKEA kennen wir alle. Denn er ist im deutschsprachigen Werbemarkt omnipräsent und in den letzten Jahren fast schon sprichwörtlich geworden. So machte Spiegel Online daran den spezifi schen IKEA-Stil fest und fragte weiter: „Siezt du noch, oder duzt du schon?“ Andere gingen eher in sich: „Würde Jesus bei IKEA einkaufen?“ – am Ende leider ohne päpstlichen Bescheid aus Rom. Oder sie verbanden mit der Gewissensfrage nach dem Wohnen oder Leben das eher pragmatische Angebot:

„Komm in unsere WG!“ Und Elke aus Göttingen bloggte einfach ihr neues Lebensglück ins Netz: „Mit Moses, Billy und Vikka ist es doch viel weniger einsam!“ Nun sind Ethnologen ja stets auf der Suche nach kulturell Rätselhaftem. Und je länger ich über diesen IKEA-Leitsatz nachgedacht habe, desto rätselhafter und unverständlicher erschien er mir! Jedenfalls hat ihn mir bisher noch niemand richtig erklären können. Nicht einmal Anna, die auf der IKEA-Startseite dafür empfohlen wird: „Brauchst du Hilfe, frag einfach Anna!“ Anna konnte auch nur darauf verweisen, dass IKEA auf jeden Fall „multikulti“ sei, dass es „vielen Menschen einen besseren Alltag schaffen“ wolle und dass das Möbelhaus kürzlich ehrenvoll ausgezeichnet worden sei für seine Kampagne „Together in Hessen“.

Am logischsten wäre eigentlich noch die Lesart des Satzes als Werbung für Obdachlosigkeit: „Wohnst du noch, oder lebst du schon?“ als Aufforderung zur fi nalen Selbstverwirklichung, outdoor, außerhalb unserer beengenden Wohn- Container. Oder notfalls auch die leichte, selbst-ironische Variante, dass man mit IKEA-Möbeln nicht eigentlich „wohnt“, sondern eben tatsächlich viel „er-lebt“: Vor allem beim Auspacken und Zusammenbauen haben angeblich alle immer viel Spaß …

So locker meint es IKEA aber wohl auch wieder nicht. Also soll der rätselhafte Satz wohl etwas ganz anderes bedeuten. Er will offenbar an jene postmoderne Lebensstil-Debatte anknüpfen, in der die Dinge, die uns umgeben, „uns“ selbst repräsentieren sollen und in der ihr Raumarrangement zur Bühne wird, zum Laufsteg unserer Selbstverwirklichung, zum performativen catwalk. Wohnen mit IKEA ist dann nicht mehr routinierter Alltagsvollzug zwischen Bad und Bett. Vielmehr meint es Inszenierung und Stilisierung des Lebens selbst, dramatisiert oder traumatisiert letztlich in der bangen Frage des Kreativen:

„Wie fände ich meine Wohnung, wenn ich mich gerade selbst besuchen würde?“ Diese Suche nach Selbstverwirklichung also zeigt uns unmissverständlich die uns kulturell längst tief eingeschriebene „Macht der Dinge“ – unsere Macht durch sie wie ihre Macht über uns. Und sie verlängert damit unsere Wohn- und Dingwelt zugleich weit über die Wohnungsschwelle hinaus in die Stadt. Auch dort beansprucht sie längst ihre Räume als eine immer weiter ins Öffentliche auswuchernde „private“ Lebenswelt: das Straßencafé als Frühstückszimmer, der städtische Strand als Gartenidylle, die szenige location als Salon, kurz: die Innenstadt als öffentliches Wohnzimmer – keineswegs nur mehr für Mitglieder und Sympathisanten der „digitalen Bohème“.

„Wohnen“ verliert damit einerseits seine alte Trennschärfe zwischen privatem und öffentlichem Raum. Zugleich gewinnt es dadurch andererseits eine erweiterte, gleichsam „angelsächsische“ Bedeutungsdimension hinzu. Denn dort wird bekanntlich auch sprachlich zwischen „Wohnen“ und „Leben“ nicht unterschieden; „to live“ meint eben beides. Nun sprechen ja auch die Kulturwissenschaften ganz gerne Englisch. Und so reden sie gegenwärtig viel vom spatial turn, von einer Wendung hin zu einer neuen Räumlichkeit der Lebensformen und ihrer Betrachtungsweisen, von einem sich neu ausgestaltenden Bedürfnis auch der Menschen nach „Örtlichkeit“ und „Zugehörigkeit“, das im Gegenlicht globaler Horizonte wachse.

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