Pflegebezogene Assessmentinstrumente - Internationales Handbuch für Pflegeforschung und -praxis

Pflegebezogene Assessmentinstrumente - Internationales Handbuch für Pflegeforschung und -praxis

von: Bernd Reuschenbach, Cornelia Mahler

Hogrefe AG, 2011

ISBN: 9783456944982

Sprache: Deutsch

633 Seiten, Download: 11071 KB

 
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Pflegebezogene Assessmentinstrumente - Internationales Handbuch für Pflegeforschung und -praxis



2. Relevanz von Pflegeassessmentinstrumenten

Bernd Reuschenbach

2.1 Vorbemerkung

Bis zum Ende der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz strukturierte Assessmentinstrumente nur sehr selten oder gar nicht genutzt. Gleichzeitig fehlte bis dato eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Will man die Relevanz der Pflegeassessmentinstrumente verstehen, dann lohnt ein Blick auf die Entwicklung, die zum aktuellen Assessment-Boom geführt hat (s. Kap. 2.2). Dabei wird deutlich, dass es je nach Einsatzort unterschiedliche Gründe für die Nutzung gibt und folglich unterschiedliche Maßstäbe an die Qualität von Assessmentverfahren anzulegen sind (s. Kap. 2.3). Für die Praxis ist vor allem die Rolle in der Qualitätssicherung (s. Kap. 2.4) und die Einbindung in den Pflegeprozess (s. Kap. 2.5) bedeutsam.

2.2 Verbreitung von Assessmentverfahren in der Pflege

Während die Medizin mit ihrem biologisch orientierten Menschenbild und der Fokussierung auf objektivierbare klinische Outcomes schon immer Diagnostik betrieben hat und dazu entsprechende Assessmentinstrumente nutzte, ist in der Pflege(wissenschaft) erst seit Mitte der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts eine Beschäftigung mit dem Thema festzustellen.

In der Schnittfläche zwischen den Begriffen «assessment», «scale» oder «measur*» und «nurs*» taucht in den gängigen Datenbanken (CINAHL, MEDLINE, PSYNDEX) das erste strukturierte Assessmentverfahren im Jahre 1956 auf. Baker und Thorpe (1956) stellen eine Assessmentmethode zur Erfassung psychotischer Symptome vor, auf deren Grundlage pflegerische Interventionen entwickelt werden sollen. Die Durchführungsverantwortung für das Assessment sehen die Autoren bei den Pflegenden. Auch in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts finden sich gehäuft pflegerische Skalen zur Einschätzung psychiatrischer Symptome (Honigfeld, Klett & Honigfeld, 1965; Sherman, Eldred, Bell & Longabaugh, 1966; Pile, Clark & Elder, 1968).

Ein weiterer bevorzugter Einsatzbereich in den 60er-Jahren ist die Einschätzung des funktionellen Status und der Pflegeabhängigkeit (Gaitz, 1969; Dinnerstein, Lowenstein & Dexter, 1965).

Eine Analyse der Zeitschrift Pflege (Verlag Hans Huber, Bern) zeigt, dass das Thema «Pflegeassessment» im deutschsprachigen Raum erst in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt beforscht wurde und vermutlich in dessen Folge auch in der Praxis vermehrt entsprechende Instrumente zum Einsatz kamen. Ein erster Fachartikel mit der expliziten Nutzung des Begriffs «Pflegeassessment» innerhalb der Zeitschrift Pflege stammt von Abu-Saad (1991) und thematisiert die Schmerzmessung in der Pädiatrie. Eine systematische Auswertung der Jahrgänge 2002 bis 2007 der Zeitschrift Pflege zeigt, dass in diesem Zeitraum insgesamt 23 verschiedene Assessmentverfahren genutzt oder vorgestellt wurden. Am häufigsten kamen dabei Schmerzassessments und Verfahren zur Messung der Pflegeabhängigkeit zum Einsatz. In zwölf Beiträgen wurden die testtheoretische Gütekriterien explizit überprüft. Dabei dominiert die Prüfungder prädiktiven Validität und der internen Konsistenz, während nur selten eine Kosten-Nutzen- Analyse oder eine Bewertung der Praktikabilität vorgenommen wird (s. Kap. 3).

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Assessmentmethoden wurde insbesondere durch die Expertenstandards des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) vorangetrieben. Auffällig ist, dass nach der Publikation eines Expertenstandards in der zeitlichen Folge die dazu passenden Assessmentinstrumente gehäuft genutzt und beforscht wurden.

So erleben beispielsweise derzeit Sturzrisikoassessments einen Boom (Dassen, 2008), obwohl der Nachweis der klinischen Relevanz (s. Kap. 4) noch nicht erbracht wurde. In studentischen Abschlussarbeiten wurden, vermutlich auch durch die Expertenstandards bedingt, häufig das Dekubitusrisikoassessment, das Sturzrisikoassessment, das Schmerzassessment und die Assessmentmethoden im Kontext der Kontinenzförderung thematisiert.

Die Anzahl der international verfügbaren pflegebezogenen Assessmentinstrumente ist schwer zu schätzen. Für den deutschsprachigen Raum können die regelmäßig aktualisierten Übersichten des Leibniz-Zentrums für Psychologische Information und Dokumentation einen ersten Anhalt bieten. Mit Stand Januar 2010 (http://www.zpid.de/pub/tests/verz_teil1.pdf) sind dort 6220 Testnachweise auf 834 Seiten aufgelistet. Die klinischen Verfahren, viele davon mit expliziter Nennung der Pflege im Testnamen, nehmen 66 Seiten ein. Vorsichtig geschätzt wird die Anzahl an pflegebezogenen Assessmentinstrumenten im deutschsprachigen Raum bei etwa 200 Verfahren liegen.

Es fehlt nicht nur an genauen Zahlen zur Menge pflegebezogener Assessmentinstrumente, sondern auch zur aktuellen Nutzung. Lediglich für die Dekubitusrisikoassessments konnte mittels Online-Befragung von knapp 1000 beruflich Pflegenden eine Nutzungshäufigkeit von 85,1 % über alle pflegerischen Bereiche hinweg ermittelt werden (Reuschenbach & Mahler, 2009). Dabei dominiert die Anwendung der Bradenskala deutlich vor der Norton- oder Waterlow-Skala.

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