Autismus - 15 Dinge, die dir niemand gesagt hat - Mein Leben mit zwei autistischen Kindern

Autismus - 15 Dinge, die dir niemand gesagt hat - Mein Leben mit zwei autistischen Kindern

von: Debby Elley

Trias, 2019

ISBN: 9783432109411

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 3454 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Autismus - 15 Dinge, die dir niemand gesagt hat - Mein Leben mit zwei autistischen Kindern



1 Autismus ist eine bunte Mischung


Machen Sie Ihre eigene Lernerfahrung

Mit sieben Jahren fasste Bobby sein erstes Schuljahr so zusammen: »In diesem Jahr bin ich der ultimative Champion in allem geworden.«

Als ich begann, über dieses Buch nachzudenken, war Bobby gerade 11 Jahre alt, genau wie Alec. Ich habe Zwillinge. Zwillinge im Autismus-Spektrum.

Einer hat es wohl leichter als der andere. Bobby ist, in Ermangelung eines besseren Begriffes, hochfunktional (diesen Begriff will ich später genauer erklären), Alec entwickelte sich sehr anders, er hat Lernschwierigkeiten und spricht nicht. Er nimmt quasi die malerische Route zur Unabhängigkeit.

1.1 Ein bisschen Kontext


Alecs Lernschwierigkeiten kommen von einer beinahe tödlichen Verletzung seines Gehirns, die er mit etwa zwei Jahren erlitt. Es war ein Morgen im September. Ich putzte mir gerade die Zähne. Währenddessen muss er auf das Fensterbrett in seinem Zimmer geklettert sein und sich, mit ziemlichen Schwierigkeiten, durch das Gitter vor seinem Fenster gequält haben.

Er fiel viereinhalb Meter in die Tiefe und landete auf dem Asphalt. Ich erzähle es nur in aller Kürze, weil alle, die diese Geschichte hören, immer schockiert sind.

Mir wurde später gesagt, dass ein Kind ohne Autismus dieses vergitterte Fenster wohl nicht als Herausforderung angenommen hätte. Ein Kind ohne Autismus hätte Angst verspürt. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er Autismus hat, und wir wussten definitiv nicht, mit welcher Entschlossenheit er unsere Sicherheitsmaßnahmen umgehen würde. Diese Entschlossenheit half ihm jedoch, zu überleben.

Alec war für 72 Stunden in ein künstliches Koma versetzt worden und als er erwachte, war nichts mehr da. Er konnte seinen Kopf nicht mehr allein heben, geschweige denn sich aufsetzen. Die paar Worte, die er bis dahin gelernt hatte, waren weg und sind bis heute nicht mehr wiedergekommen.

Er hatte eine Verletzung am Gehirn, die sein Leben veränderte. Es brauchte über ein Jahr, um ihm wieder das Gehen beizubringen. Aber er ging wieder, obwohl die Ärzte das Gegenteil vorhergesagt hatten. Und dann lief er und dann lernte er schwimmen (auf seltsam rudernde Art und Weise) und er kann auf einem Dreirad fahren.

Von diesem Tag an waren wir einfach dankbar dafür, dass Alec überlebt hatte. Wenn man weiß, dass jemand hätte sterben können, ist jeder Moment des Lebens ein Geschenk.

Ich habe dieses Ereignis so erschreckend kurz und nüchtern zusammengefasst, um den Kontext herzustellen. Vielleicht hilft es Ihnen, zu verstehen, warum alles andere für uns nebensächlich geworden ist. Warum es für uns keine große Sache ist.

Das war die große Sache, die alle anderen getoppt hat.

Die Diagnose, die unsere Zwillinge im nächsten Jahr bekamen – Autismus –, war sicher eine Sache. Waren wir besorgt? Natürlich. War es eine große Sache? Nicht wirklich.

Vielleicht hatten wir auch einfach keine Energie mehr, um Dingen so viel Bedeutung zu schenken.

Unsere Kinder wurden mit Autismus geboren. Als dies etwa ein Jahr nach Alecs Unfall diagnostiziert wurde, konnten wir das vermutlich leichter und früher akzeptieren als andere.

Die beiden sind einfach so. Das ist ganz anders als ein Unfall.

Deshalb konnten wir Autismus von Anfang an akzeptieren. Andere Eltern erwarten vielleicht ein »perfektes« Kind und haben das Gefühl, ihr Kind sei in irgendeiner Weise »unzulänglich«.

Da wir erfahren hatten, wie es sich anfühlt, vielleicht ohne Kind nach Hause zu kommen, nahmen wir unser Kind mit Autismus dankbar mit. Wir haben Alec beinahe verloren. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr dies unsere Sicht auf seinen Autismus beeinflusst hat.

Nicht, dass wir Ahnung gehabt hätten, was Autismus ist.

Ich dachte, ich wüsste, was Autismus ist. Autismus bedeutet »schlecht mit Menschen«, richtig?

Wir Eltern neigen sehr zu vorschnellen Urteilen, wenn wir auf Ignoranz stoßen (und ich bin da sehr schlimm). Aber blättern Sie in Ihrer eigenen Geschichte zurück und Sie werden wie ich merken, dass Ihr Wissen über Autismus aus dem Film Rain Man mit Dustin Hoffman stammt.

Aus heutiger Sicht zeigten unsere Zwillinge schon als Babys klare Anzeichen für Autismus. Wir wussten nur nicht genug darüber, um das zu bemerken.

Wann immer Alec etwas mit Rädern in die Hände bekam, drehte er an diesen Rädern. Tatsächlich dreht er so ziemlich an allem, auch wenn es keine Räder hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie beeindruckt ich war, als er einmal einen Würfel an einer Ecke drehte.

Bobby kniete oft so, dass seine Beine W-Form annahmen. Das allein war noch kein wirkliches Anzeichen, aber gemeinsam mit seinem unruhigen Herumwackeln und Summen war es ein Alarmsignal.

Ich dachte nicht daran, dass sie Autismus haben könnten, denn sie lachten und kicherten ständig. Raymond in Rain Man tat nichts davon.

Als man uns im November 2006 sagte, dass unsere Kinder Autismus hätten, fühlte ich ein Loch in meinem Gehirn, das ich mit Informationen füllen musste. Dieses furchtbare Gefühl von Machtlosigkeit steigerte meinen Ehrgeiz, so viel wie möglich über dieses Thema zu lernen, ins Unermessliche. Und damit bin ich nicht allein.

Meiner Erfahrung nach stecken Eltern den Kopf entweder sofort in den Sand (Vogel-Strauß-Taktik) oder in Bücher (Eulentaktik). Und in diesem Moment fällt mir auf, wie praktisch dieses Eulendasein – ein rotierender Kopf, Nachtaktivität und all diese Dinge – gewesen wäre, als meine Kinder noch jünger waren.

Die Tatsache, dass ich mich durch so viel Unsinn arbeiten musste, um an brauchbare Informationen zu kommen, ist einer der Gründe dafür, dass ich mit meiner Freundin Tori Houghton zwei Jahre später ein Magazin gründete. Im Grunde ging es uns darum, uns durch den ganzen Unsinn zu wühlen und ihn zusammenzufassen, damit es andere Eltern nicht tun mussten. Seltsamerweise war »Wir wühlen uns durch den Unsinn, damit Sie es nicht tun müssen« nie unser Verkaufsargument. Verpasste Chance.

Jedenfalls war Autismus da und war gekommen, um zu bleiben.

Die Art und Weise, wie man mit diesem »anders« umgeht, hängt oft stark damit zusammen, was die ersten Informationen sind, die man über Autismus bekommt. Wenn sie im Stil von Katastrophenmeldungen präsentiert werden, dann wirken sie umso bedrohlicher und verhängnisvoller.

Wenn Ihnen der Arzt allerdings vermittelt, dass Autismus gar kein Problem ist, quasi ein Lüftchen auf ansonsten ruhiger See, dann ist das offensichtlich eine Riesenlüge und Sie sollten sich auf eine Enttäuschung gefasst machen.

Die meisten Ärzte wählen daher die goldene Mitte, scheitern aber leider oft an unseligen Traditionen und an den Fachbegriffen.

Zuerst das Problem der Tradition. Weil die Diagnose meistens in einem Krankenhaus oder einer Spezialklinik gestellt wird, wird Autismus Eltern genauso präsentiert wie eine medizinische Diagnose.

Wir Eltern gehen in dieser Situation daher von der schlechten Nachricht aus, dass mit unseren Kindern etwas fürchterlich falsch ist, und das Wort »Diagnose« besiegelt diese Schlussfolgerung. Der Autismus-Forscher Dr. Luke Beardon argumentiert übrigens genau deshalb gegen die Verwendung des Wortes »Diagnose«.

Das zweite Problem ist die Fachsprache, die üblicherweise verwendet wird, um Autismus zu erklären. Autismus ist im Prinzip eine Ansammlung neurologischer Merkmale. Manche von ihnen sind hilfreicher als andere.

Um diese Merkmale zu bündeln, wurde schon vor Jahren der Begriff »Triad of Impairments« geprägt, der sich mit »Triade von Beeinträchtigungen« wiedergeben lässt. Und obwohl sich unser Verständnis von Autismus verändert, spricht man noch immer häufig von Beeinträchtigungen.

Als meine Zwillinge 2006 die Diagnose erhielten, war diese »Triade von Beeinträchtigungen« die erste Beschreibung, die ich von Autismus bekam.

Ich: »Hallo Autismus, wer bist du?«

Autismus (in bedrohlicher Stimme): »Ich bin die Triade der Beeinträchtigungen.«

Ich: (Will davonlaufen.)

Sie werden sich wohl fragen, was diese Triade der Beeinträchtigungen bedeutet, also hier die Erklärung: Ihr Kind ist in Kommunikation, sozialer Interaktion und Fantasie »beeinträchtigt«. Probleme mit der Sinneswahrnehmung sind mittlerweile noch dazugekommen. Da haben Sie es. Das ist Autismus. Bis bald und auf Wiedersehen, Eltern!

Sie denken vielleicht: »Ach! Sie übertreibt! Es gibt sicherlich noch weitere Erklärungen.«

Wenn Sie Mutter oder Vater eines autistischen Kindes sind, dann wissen Sie, dass ich nicht übertreibe.

Die Definition war zu der Zeit, als die Autismus-Forschung in den Kinderschuhen steckte, eine bahnbrechende Möglichkeit, die Symptomatik von Autismus zusammenzufassen. Heutzutage ist es genau diese Vereinfachung, die Eltern Probleme bereitet, denn das, was hinter diesen drei Dingen steckt, wird meistens nicht besonders gut erklärt.

Wie viel Information Sie bekommen, hängt stark davon ab, in welchem Land Sie leben. Aber ich fürchte, die meisten von uns sind den Weiten des Internets überlassen – einem furchtbaren Ort, wo Fakten und Fiktion oft nicht leicht zu unterscheiden sind.

Auch wenn diese Triade von Beeinträchtigungen bis heute nachwirkt, gibt es seit 2013 eine neue Beschreibung von Autismus. Obwohl sie detailliertere Informationen bietet, besteht das Problem...

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