Der Kameramörder - Roman

Der Kameramörder - Roman

von: Thomas Glavinic

dtv, 2011

ISBN: 9783423411073

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 444 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Der Kameramörder - Roman



Ich wurde gebeten, alles aufzuschreiben. Meine Lebensgefährtin Wagner Sonja und ich nutzten die Osterfeiertage zu einem Ausflug in die westliche Steiermark. Wir leben in Oberösterreich, in der Nähe von Linz. Da meine Lebensgefährtin aus Graz-Umgebung stammt, haben wir in der Steiermark einige Bekannte. Am Gründonnerstag fuhren wir zu Hause ab. Nachmittags waren wir in der Nähe von Graz in einem Lokal mit verschiedenen Freunden verabredet. Anläßlich dieses Treffens sprach meine Lebensgefährtin in einem übertriebenen und schadhaften Ausmaß alkoholischen Getränken zu (ca. 1 l Weißwein, 6 x 2 cl Tequila,? Bier). Spätnachts, um etwa 5 Uhr früh, hatte ich mich um die Unterkunft zu kümmern u. mußte meine Lebensgefährtin zu Bett geleiten. Der Tag darauf war Karfreitag. Nachdem meine Lebensgefährtin aus ihrem Alkoholschlaf erwacht war, fuhren wir das nicht mehr weite Stück zu unseren Freunden Heinrich und Eva Stubenrauch, wohnhaft Kaibing 6, 8537 Kaibing. Es war ca. 15.00 Uhr, als wir dort eintrafen.

Man begrüßte uns herzlich. Eine Jause wurde uns gerichtet und, weil schönes Wetter herrschte, auf einem großen Holztisch im Freien serviert. Wir brachten unser Erstaunen zum Ausdruck, daß der Hof mit mind. 25–30 Katzen übersät war. Heinrich erklärte uns, die Tiere seien unfreiwilliger Besitz des benachbarten Bauern. Dessen Haus war ca. 20 m entfernt. Er habe an die Stubenrauchs vermietet. Meine Lebensgefährtin sagte, die Luft und die Landschaft seien herrlich und die Jause tue ihrem beeinträchtigten Kopf gut. Ich mußte 8 x Wespen von meiner Limonade verscheuchen. Nach der Jause war es ca. 16.00 Uhr und fast so heiß wie im Sommer. Meine Lebensgefährtin äußerte den Wunsch spazierenzugehen, da dies ihrem Zustand Vorteile verschaffen könne. Weil in der näheren Umgebung von Heinrichs und Evas Haus keine optimalen Wanderbedingungen bestehen, fuhren wir ca. 5 km mit dem Auto der Stubenrauchs zu einem Parkplatz an der Landstraße. Dahinter erstreckt sich ein weites Feld mit Getreide und Mais. Heinrich scherzte, dies sei die größte von Hügeln nicht unterbrochene Fläche der Region. Wir wanderten auf den Wegen zwischen den Feldern. Dabei unterhielten wir uns über allgemeine Dinge (Befinden, Neuigkeiten u. dgl.). Insekten schwirrten durch die Luft. Grillen zirpten. Die Sonne brannte derart vom Himmel, daß ich eine rosarote Baseballkappe mit der Aufschrift Chicago aufsetzen mußte, um mich eines evtl. Sonnenbrandes oder gar -stiches zu erwehren. Von den Geräuschen der Insekten abgesehen, war es ganz still. Wir ließen den bebauten Grund hinter uns und gingen durch hohes Gras. Weit und breit war eigentlich nichts zu sehen, nur ein vereinsamter Baum, einige Sträucher und etwas, das wie ein Gebäude aussah. Als wir näher kamen, stellten wir fest, daß es sich um eine kleine Ruine handelte. Heinrich hatte diesen Ort einmal besucht. Er wußte darüber Bescheid. Es waren die Reste eines vor 2 Jahrzehnten abgebrannten Bauernhauses. Gerüchte besagten, es habe sich um Brandstiftung gehandelt. Der Bauer und seine Frau seien in den Flammen umgekommen. Abergläubische Bewohner des nahe gelegenen Ortes schworen, daß es hier spuke, und hielten sich von der Ruine fern. Meine Lebensgefährtin bat uns, den Ort sofort zu verlassen. Heinrich machte sich über sie lustig. Ob sie an Geister glaube. Sie antwortete, sie habe schon beim Näherkommen ein schreckliches Gefühl gehabt. Vielleicht liege es auch an ihrem schweren Kopf. Aber etwas Unheimliches gehe von dem Ort aus. Sie könne es nicht erklären, doch sie habe Angst. Sie wolle nach Hause zu den Stubenrauchs. Heinrich machte einen Scherz. Da begann meine Lebensgefährtin am ganzen Leib zu zittern und lief davon. Wir mußten ihr folgen. Es wurde nichts gesprochen.

Wir fuhren zum Haus der Stubenrauchs zurück. Am Abend kochten die Frauen Spaghetti Bolognese. Während sie in der Küche arbeiteten, unterhielt sich Heinrich mit mir über Angeln. Ab und zu verschaffte sich eine Katze Zutritt zum Haus. Dies veranlaßte Heinrich, aufzustehen und das Tier hinauszujagen. Dazu äußerte er sich dahingehend, daß die Katzen eine echte Plage seien und man sie nicht ins Haus lassen dürfe, weil sie hier alles verschmutzen und Unhygiene hereinbringen würden. Nach dem Essen spielten wir Rommé. In einer durch Eva Stubenrauchs Harndrang bedingten Pause holte meine Lebensgefährtin zwei Päckchen Kelly’s-Chips. Heinrich schaltete den Fernseher und Teletext ein. Die erste Nachricht behandelte einen ausländischen Staatsbesuch. Die zweite berichtete von einem Mord an zwei Kindern, der in der Weststeiermark verübt worden war. Man schrieb von einem grauenhaften Verbrechen. Groß angelegte Fahndung >> Es wird gegen einen etwa 30jährigen, mittelgroßen Mann ermittelt, der 2 7 u. 8 Jahre alte Kinder gezwungen hat, sich durch einen Sprung von einem hohen Baum zu töten, und diese Taten mit einer Videokamera aufgenommen hat. Ein dritter Bub, der 9jährige Bruder der beiden ums Leben gekommenen Kinder, hat entfliehen können. Es gibt fieberhafte Ermittlungen. Heinrich forderte die wieder eingetretenen Frauen auf, die Nachricht zu lesen. Eva schlug die Hände vors Gesicht. Meine Lebensgefährtin: So etwas Gräßliches habe sie noch nie gehört. Heinrich machte uns darauf aufmerksam, daß der im Bericht genannte Ort ganz in der Nähe liege. Er behauptete, von der betroffenen Familie, deren Oberhaupt Kommandant der freiwilligen Feuerwehr sei, schon gehört, evtl. in einer Gemeindezeitung das Foto des Vaters gesehen zu haben. Es wurde allgemein Überraschung darüber laut, daß jemand einen anderen Menschen zwingen könne, sich zu töten, und wie so etwas vor sich gehen könne. So dauerte es eine Weile, bis wir uns wieder unseren Karten zuwenden konnten. Dabei gewann ich ein wenig Geld, meine Lebensgefährtin verlor etwas, Eva gewann viel, und Heinrich verlor viel. Wir aßen Chips und tranken Rotwein. Diesen holte Heinrich in Abständen aus dem Keller. Da der Keller nur von außerhalb des Hauses zu erreichen ist und es am Abend heftig zu regnen begonnen hatte, kehrte er jedesmal naß zurück. Dies gab zu Heiterkeit Anlaß. Nachdem wir einige Stunden gespielt hatten, räumte Eva um ca. 1.30 Uhr früh die Spielkarten zurück in die Schachtel. Bevor wir einer nach dem anderen ins Badezimmer gingen, um uns die Zähne zu putzen und das Gesicht zu waschen, schaltete Heinrich noch einmal Teletext ein, um etwaige neue Nachrichten über den Kindermord zu lesen. Es gab jedoch nichts Neues. Ich stieg hinter meiner Lebensgefährtin die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo die Schlafräume liegen. Dabei gab ich acht, mit dem jeweils anderen Fuß als sie die hölzernen Stufen zu betreten. Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne. Wir frühstückten am Holztisch. Zu ihm wurde ein Sonnenschirm gestellt. Die Stubenrauchs hatten ein üppiges Frühstück mit Salami, vielen Käsesorten, Eiern, Toast, Butter, Marmelade, Gebäck und Fruchtsäften zubereitet. Dafür zeigten wir uns durch Danksagungen und Lob erkenntlich. Hin und wieder trat der mit einem zu kleinen Hut und in einer blauen, schmutzigen Arbeitshose umherschlendernde Bauer vom Nachbarhaus zu uns. Er sprach über den in so großer Nähe geschehenen Mord an den Kindern. Er sagte, er kenne die Eltern der Kinder und wer so etwas tue, gehöre weg. Dabei machte er die Gebärde des Aufhängens. Im übrigen sprach er viel zu laut, als sei einer der Anwesenden oder er selbst schwerhörig. Auch die Frau des Bauern kam herbei. Neben Heinrich setzte sie sich auf die Bank. Sie legte die Hände auf ihren mit einer gefleckten Schürze bedeckten Schoß und machte durch Kopfschütteln und Mimik deutlich, wie erschüttert sie war. Meine Lebensgefährtin, die das Frühstück schneller beendet hatte als ich, stand dabei ca. 2 m vom Tisch entfernt und schaute wortlos vor sich hin. Eva nickte der Bäuerin zu, um ihr zu verstehen zu geben, daß sie ihre Meinung teile.

Es wurde geseufzt. Heinrich rollte einen Apfel über den tuchlosen Tisch und fragte, ob man schon mehr über den Täter wisse. Meine Lebensgefährtin sagte, ihr sei gar nicht wohl und sie könne diese Nachrichten nicht ertragen. Heinrich riet ihr, die Ohren zu verstopfen, das sei alles Unsinn u. sie solle sich über den schönen Tag freuen. Die Bäuerin fragte Eva, ob sie mit ihr später gemeinsam zur Fleischweihe gehen wolle. Die Angesprochene entgegnete, sie könne noch nicht sagen, wann sie gehen werde u. die Bäuerin solle besser nicht auf sie warten. Nach dem Frühstück verfielen Eva und meine Lebensgefährtin auf den Gedanken, Federball zu spielen. Heinrich und ich waren bereit, diesem Wunsch zu entsprechen. Wir wußten jedoch nicht, wo wir das von Eva herbeigebrachte Netz aufspannen sollten. Denn in unmittelbarer Nähe des Hauses würden die ca. 25–30 umherstreunenden Katzen das Spiel mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Springen, Jagen, Ballnachlaufen u.ä. Aktivitäten stören. Und in weiterer Entfernung war keine geeignete Fläche zu finden, da Bäume bzw. Gestrüpp die Bildung eines ausreichend großen Spielfeldes verhinderten. Heinrich regte an, zu dem Ort, den wir am Vortag bei unserem Spaziergang besucht hatten, zu fahren. Meine Lebensgefährtin weigerte sich lautstark unter Verweis auf die unheimliche Stimmung dieser Gegend. Heinrich und Eva wohnten noch nicht lange genug hier, um die Umgebung genau zu kennen. So standen wir vor einem Rätsel. Eva kam auf die Idee, den Bauern zu befragen. Dieser verwies uns auf eine hinter einem nahe gelegenen Hügel befindliche Stelle. Sie sollte für unseren Zweck wohl geeignet sein. Dorthin begaben wir uns, nachdem wir passendes Schuhwerk und...

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