Mein Lebensabend

Mein Lebensabend

von: Peter Altenberg

Jazzybee Verlag, 2019

ISBN: 9783849654696

Sprache: Deutsch

673 Seiten, Download: 377 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Mehr zum Inhalt

Mein Lebensabend



Meine Films


 


Ich habe Erna Morena gesehen in »Die weiße Rose« und jetzt kürzlich in »Höhenrausch«, Tuchlauben-Kino. Sie ist die beste, modernste, diskreteste, zarteste, rührendste von Allen, Allen! Sie allein hat dieses seit der »Marlitt« viel mißbrauchte Epitheton ornans: »Sprechende Augen«! Sie allein ersetzt durch milde sanfte edle Geste das schnöde Wort! Sie spielt »zerstörte Frauenseelen«, nein, sie ist es! Wie sie in ein Zimmer tritt, aus einem Zimmer wegwankt, wie sie eine Türe zum letztenmal leise schließt, wie sie zitternd zusammenfällt, das ganze »Verhängnis« der überzarten Frauenseele, das erlebt, erleidet sie. Wie wenn sie ihr eigenes adeliges Innenleben da photographieren ließe! Ihre Augen, ihre Hände, ihre Finger sind das Vollkommenste, was es überhaupt hienieden gibt! Nur solche Frauen können, dürfen, sollen besondere Schicksale des Lebens der Seele darstellen, denn den Anderen glaubt man es ja doch beim besten Willen nicht! Ihre Gestalt ist mimosenhaft, elfenhaft, biegsam-kränklich, zwischen Lebendsein und Baldverlöschen schwankend! Wenn sie abends sich im Soiree-Gewande aus dem Berg-Hotel schleicht auf die Holzbrücke, die den Bergbach überspannt, um den Berg zu sehen, wo sie »etwas Anderes« findet wie in ihrem Salon-Leben, wenn sie ihre allerzartesten Hände auf das Geländer aufstützt, so voll, so voll von weinender Sehnsucht – – – Schluß des zweiten Aktes!

 

Modernes Liebesgedicht


 


Ich liebe Dich, Paulina,

 

weil Du bei Nacht bei weitgeöffneten Fenstern

 

schläfst und die Luft Deines frischen Gartens einatmest –

 

ich liebe Dich, weil Du Halbschuhe trägst zu jeder Jahreszeit, bei Regen und bei Schnee!

 

Ich liebe Dich, weil Du »Zugluft« verträgst, ja, eben nur darin gedeihst!

 

Ich liebe Dich, weil dein Apfelblütenteint nur behandelt wird mit lauem Wasser und billiger milder Mandelseife, das Stück zu 50 Heller!

 

Ich liebe Dich, weil in einem einfachen schmalen Holz-Kästchen über deinem Bette sämtliche Werke von Knut Hamsun gereiht stehen, in blauem Lederband!

 

Ich liebe Dich, weil Du mich verstehst, und Dich selbst, und alle Bäume, alle Blumen verstehst,

 

und Franz Schubert verstehst, Hugo Wolf, Johannes Brahms, und alle schönen Katzen, Pferde, Vögel, Fische, und auch die heilige Bürde der Einsamkeit verstehst, noch zu dem allem dazu!

 

Anständigkeit


 


Die wirklich anständigen Menschen müssen zugrunde gehen,

 

weil es um soviel mehr wirklich unanständige gibt.

 

Ist das ein Grund?! Ja. Denn die Unanständigen arbeiten leider mit unanständigen Mitteln.

 

Was sind denn unanständige Mittel?!

 

Diejenigen, gegen die die anständigen Mittel unbedingt leider nicht aufkommen!

 

Weshalb kommen die anständigen Mittel nicht auf gegen die unanständigen?!

 

Weil sie eben anständig sind.

 

Der anständige Mensch verkauft ein Taschentuch um 3 Kronen, das ihn 2 Kronen 50 Heller gekostet hat.

 

Der unanständige Mensch verkauft ein Taschentuch, das ihn 3 Kronen gekostet hat, um 1 Krone.

 

Wie macht er das?!

 

Hat es ihn denn nicht 3 Kronen gekostet?!

 

Es hat ihn 50 Heller gekostet.

 

Wie macht er das?!

 

Durch Unanständigkeit!

 

»Peter, Sie sprechen da nur von der Kaufmanns-Welt!?«

 

Ein Dichter, spricht nie von einer einzigen Welt, sondern zugleich von allen Welten zugleich!

 

Wichtige Nebensachen


 


Subjektivität

 

Sie sagte: »Seitdem man mir meinen alten ›Bösendorfer-Saal‹ (Konzertsaal in Wien) demoliert hat, bin ich ein unglücklicher Mensch geworden. Ich gebe es zu, daß es ›im Weltkriege‹ tiefere Probleme und Tragödien gibt, aber für mich Armseligste dieses Lebens gibt es leider – oder Gott sei Dank – keine anderen. So viele Helden gehen dahin, und ich trauere um meinen ›Bösendorfer-Saal‹. Deshalb soll ich mich schämen, es zu bekennen?! Er war mein Alles. Wenn ich dort saß, vergaß ich der Welt. Ich vergaß der Gegenwart, der Zukunft. Später, beim Nachtmahle, wußte ich nicht, was ich aß. Das wird nie mehr wiederkommen. Ich kenne die anderen Konzertsäle. Aber ich vergesse darin nicht der Gegenwart, der Zukunft. Ob ich ›musikalisch‹ bin!? Wer weiß es?! Im Bösendorfersaale war ich es. Muß man es, kann man es denn überall sein?! Das sind ja schon ›Genies‹, die Das überall können. Unsereins ist irgendwo schrecklich angebunden. Dort lebt er auf, dort gedeiht er, dort wird er er selbst! Nein, mehr als er selbst. Wegen mir allein konnte man das Gebäude nicht stehen lassen, das ist doch selbstverständlich. Nur einmal kam ich aus der Fassung. Da sagte mir Jemand: ›Er war doch nicht einmal besonders »akustisch«!‹ Ich habe gedacht: ›Wenn ich eine Tigerin wäre, mit meinen Pranken im Sprung ihm seinen Hals aufzureißen!‹

 

Aber ich bin leider keine Tigerin.«

 

Die freie Künstlerschaft

 

Als ein berühmter Künstler des Burgtheaters in der »Pilsenetzer Bierhalle«, an meinem Stammtische, meine heilige blonde Freundin kennenlernte, und bemerkte, daß sie Zigaretten rauchte und ohne Hut dasaß, mit einem blaubraunen P.A.-Kollier, offenem Halse, und überhaupt schrecklich apart und außergewöhnlich aussah, konnte er nicht umhin, als sie aus einem gewichtigen unaufschiebbaren Grunde für einige Minuten sich von meinem Tische entfernte, an mich sogleich die wichtigste Frage seines geängstigten, gequälten, in Unruhe versetzten, bürgerlich-gutmütigen Herzens zu stellen: »Wovon lebt diese merkwürdige, interessante und wahrscheinlich überaus wertvolle junge Dame?! Ist sie ›von Haus aus‹ so unabhängig gestellt, daß sie tun und lassen kann, was sie will?! Ist sie eine ›Waise‹?! Oder eine Millionärin?!«

 

»Nein, sie ist ganz arm und hängt sehr an mir!«

 

Siehe, die bürgerlich funktionierenden Menschen, wenn sie auch »beruflich« zufällig Künstler sind, verzeihen Einem Alles, Alles, Alles, wenn man das Einzige, was auch sie nur unter einer anderen Maske erstreben, Geld, besitzen. Ich hätte nur sagen müssen: Meine heilige Freundin hat von ihrer Großmutter aus 150000 Kronen zu erwarten, und das erregte Bedenken des Künstlers wäre sogleich geschwunden, und vielleicht hätte er mir sogar herzlich gratuliert!

 

Tuberkulose


 


»Herr Peter, was also würden Sie einem Menschen, dessen ›loca minorum resistentium‹, die Orte geminderter Widerstandskraft im Organismus, die Lunge ist, besonders empfehlen?!« sagte eine wundervolle wunderbar zarte 20jährige zu mir.

 

»Vor allem nie, nie, nie stehen, sondern liegen, sitzen, gehen bis zur ersten leichten Ermüdung, aber nie nie stehen, nicht einmal bei Begrüßungen fremder Menschen, immer sogleich den leichten Klapp-Sessel. Ferner: Rohe Eidotter, gesprudelt, 3–5, in Fleischbrühe, am besten in ›Knorr-Soß‹, 3 Kaffeelöffel voll in einer großen Tasse heißen Wassers. Zweimal des Tages. Spinat, Spinat! Saures Oberes. Junger Käse. Friede des Herzens!«

 

»Sagen Sie, Sie sollen ja auch außer Ihrem, diätetischen Buche einige ganz nette literarische Bücher geschrieben haben. Können Sie mir Eines für meine Kur empfehlen?!«

 

»Keines. Sie bedürfen der ergebenen Ruhe. In meinen Büchern ist, soweit man ›zwischen den Zeilen‹ zu lesen versteht, der ewige schreckliche Kampf geschildert zwischen Allem, was ist und wie es eigentlich sein sollte!  Also nichts für Sie, Sie Ruhebedürftige, Sie leider Ergebene!«

 

Vorlieb


 


Alle Menschen nehmen »vorlieb«. Das ist ihr Unglück, obzwar es scheinbar ihre »Rettung« ist. Nicht »vorlieb« nehmen, macht Dich sogleich vor Dir selbst zum »gekrönten Märtyrer dieses armseligen Daseins!« Weil Dir nichts genügt und vieles Dich bald oder noch balder enttäuscht, bist Du...

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