Romanistik in Rostock - Beiträge zum 600. Universitätsjubiläum
von: Rafael Arnold, Albrecht Buschmann, Steffi Morkötter, Stephanie Wodianka
Books on Demand, 2019
ISBN: 9783750473348
Sprache: Deutsch
212 Seiten, Download: 2411 KB
Format: EPUB, auch als Online-Lesen
Vorwort
2019 jährt sich die Gründung der Universität Rostock zum 600. Mal. Mit Blick auf diesen runden Geburtstag lud das Institut für Romanistik im Dezember 2017 eine Wissenschaftlerin und drei Wissenschaftler ein, sich mit Objekten, Konzepten oder Akteuren zu beschäftigen, die exemplarisch für die Geschichte des Faches in Rostock und für die derzeit dort vertretenen Arbeitsfelder – französische, spanische und italienische Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft sowie Fremdsprachendidaktik – stehen sollten. Auf die Perspektive von außen antworteten die vier derzeit in Rostock lehrenden Fachvertreter, und das Resultat dieser sich überkreuzenden Blicke auf ganz unterschiedliche Etappen der Fachgeschichte findet sich in diesem Band versammelt, der als Festgabe des Instituts für Romanistik an die Universität im Jubiläumsjahr erscheint.
Den Zugang über besondere Objekte, im ersten Fall eine Handschrift von Christoph Kolumbus, die Michael Zeuske (Köln/Leipzig) und Albrecht Buschmann wählten. Denn unter den besonders wertvollen Beständen der Rostocker Universitätsbibliothek befindet sich auch ein Autograph des Genuesen in Diensten der Spanischen Krone, verfasst im Jahr 1502, im Verlauf seiner vierten und letzten Reise in die Karibik. Welche Bedeutung hat ein solches Autograph, wie kann man es – über 500 Jahre nachdem es zu Papier gebracht wurde – zum Sprechen bringen?
Kolumbus hatte mit seinen Fahrten die Möglichkeit einer regelmäßig schiffbaren Verbindung zwischen Europa und den Amerikas etabliert, einer Handelsroute, die den europäischen Mächten den Weg zur wirtschaftlichen Beherrschung des Globus ebnete. Im Zentrum der transatlantischen Wirtschaftskreisläufe stand, wie der zuletzt in Köln lehrende Historiker Michael Zeuske in seinem Beitrag zeigt, der Handel mit Sklaven, und das nicht erst zur Hochzeit der karibischen Plantagenwirtschaft im XVIII. und XIX. Jahrhundert, sondern schon im XIV. Jahrhundert und im Umfeld von Kolumbus. Michael Zeuske bettet die Denk- und Vorgehensweise des Admirals ein in die Geschichte des Sklavenhandels um 1500, die Denkmuster der Antike ebenso in sich trägt wie die Erfahrungen portugiesischer Afrika-Erkundungen, aber auch eine Antwort auf Zwang zur ökonomischen Rentabilität der Entdeckungsfahrten. In diesem Sinne zeichnet Zeuske das Bild eines Christoph Kolumbus, das ihn als einen der Gründerväter der Atlantic Slavery zeigt, womit er am Anfang der Geschichte eines ‚Kapitalismus menschlicher Körper’ steht. Michael Zeuskes Artikel, der sich auf zahlreiche Buchpublikationen und Forschungsprojekte des Autors zur karibischen und Weltgeschichte der Sklaverei stützen kann, schreitet den weiten Horizont ab, der sich hinter der Rostocker Kolumbus-Handschrift auftut.
Der Beitrag des Literaturwissenschaftlers Albrecht Buschmann konzentriert sich demgegenüber zunächst auf die Handschrift selbst, liefert eine Übersetzung und diskutiert strittige Bedeutungen, bevor er in einem zweiten Schritt die Bedingungen rekonstruiert, unter denen das Schriftstück – eine Zahlungsanweisung, mit der wenig später in Sevilla Schulden beglichen wurden – seinerzeit vor der Küste des heutigen Honduras zu Papier gebracht wurde. Womit, ähnlich wie im Beitrag von Michael Zeuske, der Bogen in unsere Gegenwart geschlagen ist: Die Kolumbus-Handschrift ist auch zu lesen als frühes Dokument transatlantischen Kapitalverkehrs. Anschließend geht der Autor der Frage nach, wie die Wahrnehmung der Figur Kolumbus seit seinem Tod im Jahr 1506 immer wieder neu profiliert wurde; dieser wissensgeschichtliche Teil macht deutlich, dass es auch das Selbstbild der jeweiligen Erzähler und Biographen, Politiker und Wissenschaftler ist, das sich über die Jahrhunderte höchst aufschlussreich in der Figur Kolumbus spiegelt. Wobei die Antwort auf die Frage, wie Kolumbus Handschrift nach Rostock kam, mangels Quellen offen bleiben muss; sicher ist nur, dass sie einer der Schätze der Rostocker Hispanistik ist, deren Geschichte ebenfalls knapp nachgezeichnet wird.
Mit einer der zentralen Figuren der romanistischen Fachgeschichte des XIX. Jahrhundert befassen sich Alexander Teixeira Kalkhoff (derzeit Freiburg) und Rafael Arnold. Als Fachmann für die institutionelle Geschichte des Faches Romanistik im XIX. und frühen XX. Jahrhundert, die er bereits in seiner Dissertation (2010) anhand zahlreicher Dokumente und Archivalien erforscht hat, widmet sich Alexander M. Teixeira Kalkhoff in seinem Beitrag Der Mittelalterphilologe Karl Bartsch in Rostock eingehend der Biographie und dem akademischen Werdegang des Rostocker Professors. Besonders hebt er dessen Modernität hervor, die sich für Alexander Kalkhoff nicht nur daran zeigt, dass Bartsch die Lachmannsche textkritische Methode aus der germanistischen in die romanistische Philologie transferierte und ihr damit starken Auftrieb verlieh, sondern dass er sich auch auf vielen anderen Feldern universitärer und wissenschaftlicher Tätigkeiten taktisch sehr geschickt zu verhalten wusste. So ließ Bartsch etwa eigene Texte ins Französische übersetzen, nahm Kontakt zu vielen Fachkollegen im In- und Ausland auf, zeigte sich also als ein versierter Netzwerker, legte durch die Gründung des „germanistischen Seminars“ an der Universität Rostock den Grundstein für weitere Seminargründungen und zeichnete des Weiteren auch für die Institutionalisierung eines Fachverbandes verantwortlich. Kalkhoffs Beitrag liest sich folglich wie das Making of eines modernen Wissenschaftsmanagers, der Forschung, philologische Praxis, universitäre Lehre, Hochschuldidaktik, Publikationen, Fachkorrespondenz und Wissenschaftsorganisation äußerst geschickt zu verknüpfen versteht.
Einen anderen Zugang zur Figur Karl Bartsch und der Bedeutung von dessen Zeit als Professor in Rostock (1858–71) wählt der Sprachwissenschaftler Rafael Arnold. Obwohl Bartsch meist nur als Gründer des „germanistischen Seminars“ von diesem Fach für sich in Anspruch genommen wird, spielte er de facto als Forscher auf dem Gebiet der romanischen Philologie sowie bei der Etablierung des Faches Romanistik in Rostock, die schließlich 1893 (Gründung des „romanisch-englischen Seminars“) bzw. 1917 (Trennung der beiden Fächer) vollendet wurde, eine entscheidende Rolle als Wegbereiter. Rafael Arnold rückt vor allem die Rostocker Tätigkeiten Karl Bartschs auf romanistischem Fachgebiet in den Mittelpunkt. Zwar hatte Bartsch Chrestomathien für das Altprovenzalische und Altfranzösische, die bis ins XX. Jahrhundert viele Neuauflagen erfuhren, bereits vor seiner Berufung nach Rostock veröffentlicht, aber es folgten weitere Publikationen zur mittelalterlichen Galloromania auch während seiner Zeit in der Hansestadt. Hinzu kommen, wie Rafael Arnold betont, in diesen Jahren auch die Übersetzungstätigkeiten Karl Bartschs, der u.a. Dantes Göttliche Komödie 1877 ins Deutsche übertrug. Während seine Handbücher wie auch seine hochschuldidaktischen Überlegungen im Zusammenhang mit der Gründung von „Seminaren“ für den inneruniversitären Alltag gedacht waren, zielte Bartsch mit seinen Übersetzungen darauf, die Kultur und Literatur der romanischen Völker beim gebildeten Publikum außerhalb der akademischen Welt bekannter zu machen. Schließlich thematisiert der Beitrag Karl Bartschs besondere Verbundenheit mit Rostock und Mecklenburg, die auch nach dessen Weggang nach Heidelberg noch lange andauerte; sie zeigt sich nicht zuletzt in einem Relief, das in Schwerin am Reiterdenkmal des Großherzogs Friedrich Franz II. in Erinnerung an die Eröffnung des Universitätshauptgebäudes im Jahr 1870 angebracht ist und Bartsch im Kreise seiner Kollegen verewigt. Mit seinem Beitrag plädiert Arnold für die Anerkennung Karl Bartschs als zentraler Gründungsfigur der Rostocker Romanistik.
Eng mit der Geschichte der Philologien verbunden ist auch die Geschichte derer, die an einer Universität für das Unterrichten der Fremdsprachen verantwortlich waren. Was heute Fremdsprachenlektoren leisten, wurde in früheren Zeiten von sogenannten ‘Sprachmeistern‘ erbracht, denen sich der Beitrag des Fachdidaktikers Marcus Reinfried (Jena) widmet. Wann und wie kamen die ersten Sprachmeister an die Universität Rostock? Wie nahm dort die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts ihren Lauf? Ausgehend von einem Einblick in die derzeitige Quellenlage liefert Marcus Reinfried einen Überblick über die Vermittlung und Verbreitung von Fremdsprachen durch frühe Sprachmeister, die ab ca. 1200 über England und Flandern begann und sich dann auch in italienischen und deutschen Handelsstädten etablierte. An der Universität Rostock lässt sich mit Franciscus de Marseville der erste hier tätige Sprachmeister erst im XVII. Jahrhundert nachweisen. Marcus Reinfried arbeitet nicht nur die Gründe für das starke Interesse in Deutschland an romanischen Sprachen und speziell der französischen Sprache heraus, sondern geht auch auf die teils prekären Bedingungen ein, denen die Sprachmeister ausgesetzt waren. Deren finanzielle Situation hatte sich nach der Massenflucht der Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland ab 1685 durch eine...