Xanthippe und Sokrates

Xanthippe und Sokrates

von: Michael W. Weithmann

dtv, 2003

ISBN: 9783423340526

Sprache: Deutsch

241 Seiten, Download: 9984 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Xanthippe und Sokrates



Xanthippes Athen: Der weibliche Blick (S. 89-90)

Eine Gesellschaft ohne Frauen

Was wir bis jetzt geschildert haben, war der »männliche Blick auf Athen«, den Stadtstaat, wie er sich einem Politen (Vollbürger) der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts dargeboten hat. Im Großen bezog sich das auf den Krieg und den Sieg gegen die Perser, auf innenpolitische Unruhen, den Wiederaufbau der Stadt und die politische Betätigung im demokratischen System, im Kleinen auf Berufstätigkeit oder schöpferische Muße (je nach Vermögen), auf Einladungen zu Symposien, Theaterbesuche, Diskussionen auf der Agora und auf Gymnastik und Wettkämpfe in den Sportarenen. Hier war »Mann« unter sich! Und die Abfolge der Ereignisse bildet das, was wir gemeinhin als »Geschichte« bzw. als chronologisch fassbare »Ereignisgeschichte« sehen und in der Schule über das »antike Hellas« gelernt haben.

Diese Geschichte beruht also auf einer dezidiert männlichen Sicht, ihre Gewährsleute - die antiken Historiographen - sind ebenso männlich wie diejenigen, für welche diese Geschichte niedergeschrieben worden ist. Kein Wunder also, dass darin die »Taten großer Männer« im Mittelpunkt stehen und wir z. B. vom »Zeitalter des Perikles« oder von der »Hopliten-Demokratie« (Max Weber) sprechen. Für diese »maskuline« Interpretation der Geschichte steht denn auch, was unseren Zeitraum betrifft, eine breite Quellenbasis zur Verfügung, die uns eine relativ lückenlose Rekonstruktion der zeitlichen Ereignisabfolge sowie quellengestützte Interpretationen der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse Athens ermöglichen.

Über den Bereich der Familie und besonders über die Situation der Frau hüllen sich hingegen die antiken Autoren in Schweigen, ja man könnte fast sagen, in »beredtes« Schweigen. Eine Textstelle aus Thukydides, die in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert wird, ist der Schlusssatz der berühmten >Gefallenenrede< des Perikles. Nachdem er die Tugend (arete) der im Kampf gefallenen Bürger gepriesen und ihr Opfer als würdig dargestellt hat, kommt er auf deren Frauen zu sprechen: »Und wenn ich zuletzt noch ein Wort über die Tugenden der Frauen sagen soll, die jetzt in den Witwenstand versetzt sind, so kann ich mich ganz kurz auf einen guten Rat beschränken: Euer höchster Ruhm wird sein, echter Weiblichkeit nichts zu vergeben, und diejenige wird für die beste gelten, von der in Lob und Tadel unter Männern am wenigsten die Rede ist. «

Deutlich kommt hier quasi offiziell vom höchsten Repräsentanten des Staates und der Gesellschaft Folgendes zum Ausdruck. Man spricht im Allgemeinen unter Männern nicht von Frauen, nur in Ausnahmefällen, wie hier nach einer verlustreichen Schlacht, aber auch dann nur »ganz kurz«, und man(n) erwartet von Frauen generell ein Verhalten, das zu keinem »männlichen Gerede« Anlass geben könnte - und zwar sowohl in negativer als auch in positiver (!) Hinsicht. Den sozialen Standard bildete mithin ein möglichst »unauffälliges« weibliches Verhalten, ein zurückgezogenes, diskretes Leben im Haus und den eigenen vier Wänden. Eine Gesellschaft ohne Frauen! Und das erklärt uns auch die »historiographische Anonymität« der griechischen Frauenwelt, denn was hätten die Geschichtsschreiber über sie berichten sollen? Die Regel bestätigt hierbei die Ausnahme, denn selbstverständlich sind uns weibliche Namen und individuelle Lebensläufe - zumindest in Fragmenten - aus dieser Zeit bekannt. Doch handelt es sich dabei bezeichnenderweise immer um Frauen, die aus der gesellschaftlichen Rolle fielen, wie etwa die schon genannte Aspasia, Perikles' illegitime Gattin, oder eben Xanthippe, von der eigentlich nur »Auffälligkeiten« überliefert sind.

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