Schlaf nicht, wenn es dunkel wird - Roman

Schlaf nicht, wenn es dunkel wird - Roman

von: Joy Fielding

Goldmann, 2009

ISBN: 9783641028107

Sprache: Deutsch

352 Seiten, Download: 1942 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Schlaf nicht, wenn es dunkel wird - Roman



1
 

 

Sie sagte, ihr Name sei Alison Simms.
Die Worte plätscherten zaghaft, beinahe träge über ihre Lippen, so wie Honig von der Schneide eines Messers tropft. Ihre Stimme war leise, zögernd und ein wenig mädchenhaft, obwohl sie einen festen Händedruck hatte und mir direkt in die Augen sah. Das mochte ich. Ich mochte sie, entschied ich beinahe spontan, auch wenn ich bereitwillig zugebe, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht besonders weit her ist. Trotzdem war mein erster Eindruck von dieser erstaunlich großen jungen Frau mit den schulterlangen rotblonden Locken, die im Wohnzimmer meines kleinen Hauses vor mir stand und fest meine Hand drückte, positiv. Und der erste Eindruck ist ein bleibender Eindruck, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte.
»Das ist ein wirklich schönes Haus«, sagte Alison eifrig nickend, als wollte sie ihrer eigenen Einschätzung zustimmen, während ihre Blicke bewundernd zwischen dem aufgepolsterten Sofa, den beiden zierlichen Stühlen im Queen-Anne-Stil, den Raffgardinen und dem gemusterten Teppich auf dem hellen Holzboden hin und her wanderten. »Ich liebe Rosa und Malve zusammen. Es ist meine Lieblingsfarbkombination.« Sie verzog den Mund zu einem ungeheuer breiten, leicht dümmlichen Lächeln, das ich sofort erwidern wollte. »Ich wollte immer in Rosa und Malve heiraten.«
Ich musste lachen. Als Bemerkung gegenüber jemandem, den man gerade erst kennen gelernt hatte, erschienen mir ihre Worte herrlich absurd. Sie lachte mit mir, und ich wies mit der Hand auf das Sofa. Sofort ließ sie sich tief in die Daunenkissen sinken, sodass ihr blaues Sommerkleid fast in einem Strudel aus pink- und malvenfarbenen Blumenmustern versank, und schlug ihre langen schlanken Beine übereinander, während sie ihren übrigen Körper kunstvoll um ihr Knie drapierte und sich zu mir vorbeugte. Ich hockte auf der Kante des gestreiften Stuhls direkt gegenüber und dachte, dass sie mich an einen hübschen rosa Flamingo erinnerte, einen echten, nicht eines dieser schrecklichen Plastikdinger, die in manchen Vorgärten herumstehen. »Sie sind sehr groß«, bemerkte ich wenig originell und dachte, dass sie sich das wahrscheinlich schon ihr Leben lang anhörte.
»Ein Meter achtundsiebzig«, bestätigte sie höflich. »Aber ich sehe größer aus.«
»Ja, da haben Sie Recht«, stimmte ich ihr zu, obwohl mir mit meinen knapp eins dreiundsechzig Meter jeder groß vorkommt. »Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind?«
»Achtundzwanzig.« Eine feine Röte huschte über ihre Wangen. »Aber ich sehe jünger aus.«
»Ja, da haben Sie Recht«, wiederholte ich mich. »Sie haben Glück. Ich habe immer so alt ausgesehen, wie ich bin.«
»Wie alt sind Sie denn? Das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben …«
»Was schätzen Sie denn?«
Die unvermittelte Eindringlichkeit ihres Blickes erwischte mich unvorbereitet. Sie musterte mich, als wäre ich ein exotisches Exemplar in einem Labor, eingezwängt zwischen zwei kleinen Glasplättchen unter einem unsichtbaren Mikroskop. Der Blick aus ihren klaren grünen Augen bohrte sich tief in meine müden braunen Augen, bevor er über mein Gesicht wanderte, jede verräterische Falte registrierte und die Spuren meiner Jahre abwog. Ich mache mir keine großen Illusionen. Ich sah mich genauso, wie sie mich sehen musste: eine leidlich attraktive Frau mit ausgeprägten Wangenknochen, großen Brüsten, dazu noch nachlässig frisiert.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Vierzig?«
»Genau.« Ich lachte. »Hab ich’s Ihnen nicht gesagt?«
Wir verstummten und erstarrten in der warmen Nachmittagssonne, die uns wie ein Scheinwerfer anstrahlte und in deren Licht kleine Staubkörnchen tanzten wie hunderte winziger Insekten. Sie lächelte, faltete ihre Hände im Schoß, wo die Finger der einen Hand achtlos mit denen der anderen spielten. Sie trug keinerlei Ringe und keinen Nagellack, aber ihre Nägel waren lang und gepflegt. Sie war sichtlich nervös. Sie wollte, dass ich sie mochte.
»Hatten Sie Schwierigkeiten herzufinden?«, fragte ich.
»Nein. Ihre Wegbeschreibung war klasse: die Atlanctic Avenue in östlicher Richtung, dann auf der 7th Avenue nach Süden, vorbei an der weißen Kirche, zwischen der 2nd und 3rd Street. Überhaupt kein Problem. Bis auf den Verkehr. Ich wusste gar nicht, dass Delray so belebt ist.«
»Nun, wir haben November«, erinnerte ich sie. »Langsam treffen die Zugvögel ein.«
»Die Zugvögel?«
»Die Touristen«, erklärte ich. »Sie sind offensichtlich noch nicht lange in Florida.«
Sie blickte auf ihre Sandalen. »Ich mag den Läufer. Ganz schön mutig von Ihnen, einen weißen Teppich ins Wohnzimmer zu legen.«
»Eigentlich nicht. Ich habe nur selten Besuch.«
»Ich nehme an, Sie sind beruflich ziemlich eingespannt. Ich dachte immer, dass es toll sein muss, als Krankenschwester zu arbeiten«, meinte sie. »Es ist bestimmt eine sehr dankbare Aufgabe.«
Ich lachte. »Dankbar würde mir nicht unbedingt als erstes Wort einfallen.«
»Welches Wort würde Ihnen denn einfallen?«
Sie wirkte ernsthaft neugierig, was ich sowohl erfrischend als auch liebenswert fand. Schon sehr, sehr lange hatte niemand mehr echtes Interesse an mir gezeigt, und so fühlte ich mich geschmeichelt. Gleichzeitig hatte die Frage etwas so rührend Naives, dass ich sie in den Arm nehmen wollte wie eine Mutter ihr Kind, ihr sagen wollte, dass alles in Ordnung war, dass sie sich nicht so anstrengen musste, weil das kleine Häuschen in meinem Garten schon ihres war. Die Entscheidung war in dem Moment gefallen, als sie über meine Schwelle trat.
»Mit welchem Wort ich den Beruf einer Krankenschwester beschreiben würde?«, wiederholte ich und grübelte über verschiedenen Möglichkeiten. »Strapaziös«, sagte ich schließlich. »Aufreibend. Aufreizend.«
»Gute Wörter.«
Ich lachte erneut, wie ich es in der kurzen Zeit, seit sie sich in meinem Haus aufhielt, anscheinend ziemlich häufig getan hatte. Ich weiß noch, dass ich dachte, es wäre nett, jemanden um mich zu haben, der mich zum Lachen bringt. »Was machen Sie beruflich?«, fragte ich.
Alison stand auf, ging zum Fenster und starrte auf die breite, von diversen Arten Schatten spendender Palmen gesäumte Straße. Bettye McCoy, dritte Frau von Richard McCoy und gut dreißig Jahre jünger als ihr Gatte, was im Süden Floridas keine Seltenheit ist, wurde von ihren beiden kleinen weißen Hunden über den Bürgersteig gezerrt. Sie trug von Kopf bis Fuß Armani in Creme und hielt in der freien Hand eine kleine weiße Plastiktüte mit Hundekacke, eine modische Ironie, die der dritten Mrs. McCoy offenbar komplett entging. »Oh, schauen Sie doch mal? Sind die nicht einfach süß? Was sind das, Pudel?«
»Bichons«, sagte ich und trat neben sie. Ich reichte ihr knapp bis ans Kinn. »Die dummen Püppchen der Hundewelt.«
Nun war es an Alison zu lachen, und der Klang erfüllte den Raum und tanzte zwischen uns wie die Staubkörnchen in der Sonne. »Aber niedlich sind sie schon. Finden Sie nicht?«
»Niedlich würde mir nicht unbedingt als Erstes einfallen«, erwiderte ich als bewusstes Echo meiner vorherigen Bemerkung.
Sie lächelte verschwörerisch. »Was würden Ihnen denn einfallen?«
»Lassen Sie mich überlegen.« Ich fand zunehmend Gefallen an dem Spiel. »Jaulig. Nervig. Destruktiv.«
»Destruktiv? Wie kann etwas so Süßes zerstörerisch sein?«
»Vor ein paar Monaten war einer ihrer Hunde in meinem Garten und hat meinen Hibiskus ausgegraben. Glauben Sie mir, das war weder süß noch niedlich.« Ich trat vom Fenster zurück. Dabei fiel mein Blick auf die Silhouette eines Mannes, der sich inmitten der zahlreichen Schatten auf der gegenüberliegenden Straßenecke verbarg. »Wartet jemand auf Sie?«
»Auf mich? Nein. Warum?«
Ich tastete mich vorsichtig wieder nach vorn, doch wenn der Mann je existiert hatte, war er samt seinem Schatten verschwunden. Ich blickte die Straße hinunter, doch es war niemand zu sehen.
»Ich dachte, ich hätte jemanden unter dem Baum da drüben stehen sehen«, sagte ich und wies mit dem Kinn in die Richtung.
»Ich hab nichts gesehen.«
»Nun, es war wahrscheinlich auch nichts. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Liebend gern.« Sie folgte mir durch den kleinen Essbereich, der im rechten Winkel an das Wohnzimmer angrenzte, in die vorwiegend in weiß gehaltene Küche auf der Rückseite des Hauses. »Oh, schau sich das einer an«, rief sie offensichtlich entzückt und steuerte mit ausgestreckten Armen und eifrig flatternden Fingern auf die Regale zu, die die Wand neben der kleinen Frühstücksecke zierten. »Was ist denn das? Woher haben Sie die?«
Mein Blick streifte die fünfundsechzig Porzellanköpfe, die von den fünf Holzregalen auf uns herabblickten. »Sie heißen ›Kopfvasen‹«, erklärte ich. »Meine Mutter hat sie gesammelt. Sie stammen aus den Fünfzigerjahren, hauptsächlich aus Japan. Sie haben Löcher im Kopf, für Blumen vermutlich, obwohl nicht viele hineinpassen. Als sie auf den Markt kamen, waren sie höchstens ein paar Dollar wert.«
»Und jetzt?«
»Angeblich sind sie mittlerweile ziemlich wertvoll. Man bezeichnet sie, glaube ich, als Sammlerstücke
»Und wie würden Sie sie bezeichnen?« Ein listiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie gespannt auf meine Antwort wartete.
Diesmal musste ich nicht lange überlegen. »Nippes«, sagte ich knapp.
»Ich finde...

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