Tatort Kühlschrank

Tatort Kühlschrank

von: Renate Göckel

Kreuz Verlag, 2003

ISBN: 9783783122305

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 672 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Tatort Kühlschrank



Sich selbst der größte Feind (S. 118-119)

Wenn Karin morgens in den Spiegel schaut, ist sie mehr als unzufrieden: »Ich könnte kotzen, wenn ich mich so sehe. Die wabbligen Schenkel, der fette Bauch, die Ringe unter den Augen, die blasse Haut. Ich fühle mich dann so elend. Wie ein Versager. Wenn mich mein Mann dann so sieht, sagt er nur: Wenn du doch so unzufrieden bist, dann mach halt was. Dann fühle ich mich von ihm auch noch im Stich gelassen und denke, ich habe es nicht besser verdient.«

In solchen Momenten ist sich Karin selbst der größte Feind. Anstatt sich selbst gut zuzureden, wertet sie sich ab, steigert sie sich in Selbstvorwürfe hinein, die nicht berechtigt sind, und sieht sie das lieblose Verhalten ihres Mannes auch noch als gerechte Strafe an. Warum tut sie sich selbst so etwas an?

Erinnern wir uns an die vier Untugenden essgestörter Frauen: Unverständnis für sich selbst, Ungeduld, Besessenheit und Verzweiflung. Dahinter steckt der blanke Selbsthass. Ohne den Selbsthass anzuschauen, können wir keine Essstörung verstehen. Wo aber kommt dieser Selbsthass her?

 Wer hat Sie nicht verstanden?
 Wer hatte keine Geduld mit Ihnen?
 Wemkonnten Sie nichts recht machen?
 Wer hat Sie so im Stich gelassen?

Der Weg führt in Ihre Kindheit. Es geht mir nicht darum, Ihre Eltern, Geschwister oder Lehrer zu verteufeln. Es geht mir darum, dass Sie einen groben Begriff davon bekommen, was einen Menschen in die Selbstentfremdung und damit in die Sucht treibt. Wenn ein Kind zur Welt kommt, ist es völlig hilflos mit all seinen Bedürfnissen und Unzulänglichkeiten. Es ist wehrlos den Eltern ausgeliefert. Kein Tier ist so hilflos nach der Geburt wie der kleine Mensch. Deshalb müssen Menschenmütter ihrem kleinen Kind einen »sozialen Uterus« bieten. Ein Uterus schützt, nährt und lässt wachsen. Der soziale Uterus muss vor Reizüberflutung schützen, adäquate Nahrung liefern und so viel Flexibilität haben, dass das Kind altersgemäße Erfahrungen machen kann. Der unreife Säugling und später das abhängige und neugierige Kleinkind ist von der Evolution her auf bestimmte Erfahrungen nicht vorbereitet und reagiert mit späteren neurotischen Störungen.

Kategorien

Service

Info/Kontakt