Februar 33 - Der Winter der Literatur

Februar 33 - Der Winter der Literatur

von: Uwe Wittstock

Verlag C.H.Beck, 2021

ISBN: 9783406776946

Sprache: Deutsch

288 Seiten, Download: 5857 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Februar 33 - Der Winter der Literatur



Der letzte Tanz der Republik


Samstag, 28. Januar


Berlin friert schon seit Wochen. Bald nach Silvester hat scharfer Frost eingesetzt, selbst die größten Seen, Wannsee und Müggelsee, sind unter kompakten Eisdecken verschwunden, und nun hat es auch noch geschneit. Carl Zuckmayer steht in seiner Dachwohnung am Schöneberger Stadtpark vorm Spiegel. Er trägt seinen Frack und zerrt die weiße Fliege über dem Hemdkragen zurecht. Die Aussicht, heute in Abendgarderobe aus dem Haus zu gehen, ist nicht verlockend.

Zuckmayer hat keine Leidenschaft für große Feste, meistens langweilt er sich und bleibt gerade so lange, bis er ohne viel Aufhebens mit Freunden in irgendeine Kutscherkneipe verschwinden kann. Aber der Presseball ist das bedeutendste gesellschaftliche Ereignis der Berliner Wintersaison, ein Schaulaufen der Reichen, Mächtigen und Schönen. Es wäre ein Fehler, sich dort nicht sehen zu lassen, der Ball ist gut für seinen Ruf als vielbeschäftigter Nachwuchsstar im Literaturgeschäft.

Zuckmayer erinnert sich viel zu genau ans Elend seiner ersten Autorenjahre, als dass er solche Gelegenheiten links liegen ließe. Wenn er ganz abgebrannt war, hat er als Schlepper gearbeitet und abenteuergierige Berlinbesucher nach der Sperrstunde von den Straßen gefischt, um sie zu den illegalen Tingeltangelbars in den Hinterhöfen zu lotsen. In manchen davon waren die Mädchen halb nackt und nicht zimperlich, wenn es um die Wünsche der Gäste ging. Einmal hat er sich auf dem nächtlichen Tauentzien sogar als Dealer versucht mit ein paar Kokaintütchen in der Tasche. Doch davon ließ er schnell die Finger, er ist ein robuster Bursche und nicht ängstlich, aber dieses Geschäft war ihm zu gefährlich.

Seit dem Fröhlichen Weinberg ist das vorbei. Nach vier hochpathetischen und gründlich missratenen Dramen, die allesamt durchfielen, wagte er sich an seinen ersten Komödienstoff heran, eine deutsche Screwball-Comedy um eine heiratswillige Winzertochter in der rheinhessischen Provinz, Zuckmayers Heimat. Im Milieu der Weinbauern und -händler kennt er jedes Detail. Das Ganze geriet ihm unter den Händen zu einer Art Volksstück, jeder Tonfall stimmte, jede Pointe saß. Erst waren sich die Berliner Bühnen zu gut für so ein ländliches Lustspiel. Doch als das Theater am Schiffbauerdamm kurz vor Weihnachten 1925 die Uraufführung riskierte, zeigte der scheinbar federleichte Schwank überraschend seine Krallen: Der größte Teil des Publikums brüllte vor Lachen, ein kleinerer Teil aber vor Zorn über den satirischen Biss, mit dem sich Zuckmayer über das völkische Geschwätz verbohrter Kriegsveteranen und Korpsstudenten lustig machte. Deren Wut machte den Fröhlichen Weinberg umso bekannter und den Erfolg umso größer: Er wurde ein echter Bühnenrenner, vielleicht das meistgespielte Stück der zwanziger Jahre, und verfilmt wurde er außerdem.

Jetzt, sieben Jahre später, stehen gleich drei Stücke von Zuckmayer auf den Spielplänen der Berliner Theater: Die Freie Volksbühne bringt Schinderhannes, am Rose-Theater in Friedrichshain zeigen sie seinen sensationell erfolgreichen Hauptmann von Köpenick und im Schillertheater Katharina Knie. Für die Tobis arbeitet er an einem Märchenfilm, und bald will die Berliner Illustrirte mit dem Vorabdruck seiner Erzählung Eine Liebesgeschichte beginnen, die gleich danach als Buch herauskommen soll. Die Dinge laufen glänzend für ihn. Es gibt nicht viele Schriftsteller, die mit Mitte dreißig so viel Erfolg haben wie er.

Von seiner Dachterrasse aus sieht er die Lichter Berlins, vom Funkturm bis zur Kuppel des Doms. Die Wohnung ist, neben seinem Haus bei Salzburg, das er von den Tantiemen für den Fröhlichen Weinberg gekauft hat, Zuckmayers zweiter Wohnsitz. Sie ist überschaubar, ein Arbeitszimmer, zwei winzige Schlafzimmerchen, Kinderzimmer, Küche, Bad, mehr nicht, aber er liebt sie und vor allem den Blick über die Dächer der Stadt. Er hat sie Otto Firle abgekauft, dem Architekten und Grafiker, von dem unter anderem der fliegende Kranich stammt, das Signet der Lufthansa. Inzwischen ist Firle zum Lieblingsarchitekten der wohlhabenden Berliner Groß- und Bildungsbürger avanciert und baut keine Dachwohnungen mehr aus, sondern entwirft reihenweise Villen. In zwei Jahren wird Firle – aber das kann Zuckmayer an diesem Abend natürlich nicht ahnen – auf dem Darß an der Ostsee ein Landhaus bauen für einen zu Geld und Macht gekommenen Minister namens Hermann Göring.

Der letzte Samstag im Januar gehört dem Presseball, das ist seit Jahren Berliner Tradition. Sein Verlag, Ullstein, hat Zuckmayer die Ehrenkarten geschickt, seine Frau Alice hat sich daraufhin umgehend auf die Suche nach einem neuen Abendkleid gemacht. In diesem Jahr ist seine Mutter für eine Woche aus Mainz zu Besuch gekommen, auch sie trägt heute ein neues Kleid. Er hat es ihr zu Weihnachten geschenkt, silbergrau mit Spitzeneinsatz. Für sie ist es der erste große Berliner Ball, er kann ihre Aufregung spüren.

Doch jetzt wollen sie erst einmal in ein gutes Restaurant. Der Abend wird noch lang werden, es ist besser, so eine Ballnacht nicht zu früh zu beginnen und keinesfalls mit nüchternem Magen.

*

Klaus Mann hat, was die Gestaltung des Abends angeht, aufs falsche Pferd gesetzt: ein Maskenfest bei einer Frau Ruben im Westend, sehr normal und mies. Er fühlt sich fehl am Platz.

Er ist jetzt seit drei Tagen in Berlin und wohnt wie immer in der Pension Fasaneneck. Bei Werner Finck im Kabarett Katakombe traf er Moni, seine Schwester, die ihm dann die Einladung zu dieser Frau Ruben eingebrockt hat. Fincks Programm fand er schwach, ohne Schwung, aber immerhin hat er auf der Bühne Kadidja wiedergesehen, die scheue der beiden Wedekind-Schwestern, er mag sie, sie ist fast so etwas wie eine Ex-Schwägerin.

Neuerdings besucht Klaus Mann häufiger Kabaretts, schon aus professionellem Interesse, schließlich ist er jetzt in München selbst an einem beteiligt, der Pfeffermühle, die seine Schwester Erika zusammen mit Therese Giehse und Magnus Henning gegründet hat. Mit Erika schreibt er Couplets und Sketche, Erika, Therese und zwei andere stehen auf der Bühne, Magnus macht die Musik. Klaus kann Anregungen für neue Texte gut gebrauchen, aber die Nummern der Katakombe gaben für ihn nichts her, und als Fincks Schauspieler anfingen, ihn von der Bühne herunter mit eingestreuten Sticheleien und improvisierten Witzchen aufzuziehen, wurde es ihm zu dumm, und er ging noch vor Programmschluss.

Mit dem Maskenfest von Frau Ruben macht er ebenfalls kurzen Prozess. Statt sich weiter zu langweilen, geht er sehr früh, obwohl er weiß, wie ungezogen das ist. Ein lahmer Abend – dann doch lieber zurück zur Pension, wo er sich zur Abendunterhaltung eine Portion Morphium spendiert. Und zwar eine große.

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Im Erfurter Reichshallentheater findet heute die Premiere von Brechts Lehrstück Die Maßnahme mit der Musik von Hanns Eisler statt. Doch die Polizei bricht die Aufführung der Kampfgemeinschaft der Arbeitersänger ab mit der Begründung, das Stück sei «eine kommunistisch-revolutionäre Darstellung des Klassenkampfes zur Herbeiführung der Weltrevolution».

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Als Carl Zuckmayer mit Alice und seiner Mutter vor den Zoo-Sälen eintrifft, ist auf den ersten Blick alles wie in den vorangegangenen Jahren. Über 5000 Besucher werden erwartet, davon 1500 geladene Gäste mit Ehrenkarten so wie er. Die anderen, das sind die Schaulustigen, die horrende Eintrittspreise zahlen, um sich für eine Nacht unter die Prominenz des Landes zu mischen.

Im Foyer schieben sich die Ankommenden erstmal an zwei prächtigen Wagen vorbei, einem Adler-Trumpf-Kabriolett und einem DKW-Meisterklasse, beide auf Hochglanz poliert, die Hauptpreise der Tombola für die Wohlfahrtskasse des Berliner Pressevereins. Gleich hinter dem Eingang teilt sich der Menschenstrom auf, aus den verschiedenen Sälen und Gängen sind Tango, Walzer, Boogie-Woogie zu hören. Zuckmayer lenkt seine beiden Damen in Richtung Walzer. Für nahezu jede gastronomische Vorliebe ist gesorgt, es gibt Bars mit Club-Atmosphäre, plüschige Caféstuben und Biertheken oder ruhigere kleine Nebensäle, in denen Solo-Musiker spielen.

Am luxuriösesten dekoriert ist die große, zwei Stockwerke hohe Marmorhalle, frische Blumen überall, von den Brüstungen hängen prächtige alte Perserteppiche herab. Auf der Tanzfläche vor der Bühne mit dem Orchester drehen sich die Paare. Von oben, von der Galerie aus, kann man zuschauen, wie sich die Promenade der Besucher...

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