Turrinis Bauch - Kriminalroman

Turrinis Bauch - Kriminalroman

von: Franz Friedrich Altmann

Haymon, 2012

ISBN: 9783852187440

Sprache: Deutsch

264 Seiten, Download: 1984 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Turrinis Bauch - Kriminalroman



I


Stadschauat ist so ein Wort, das man nicht recht übersetzen kann. Auf Hochdeutsch. Weil es dann nicht mehr dasselbe ist. Weil beim Übersetzen das Wesentliche verlorengeht. Sozusagen die Seele von dem Wort. Und was dann überbleibt, hat mit der ursprünglichen Bedeutung genauso wenig zu tun wie eine eiskalt-stocksteife Leich mit einem lebendigen Menschen.

Drum sag ich jetzt absichtlich: „Meingott, sowas von stadschauat, die Gucki!“ Weil es dafür ganz einfach keinen anderen Ausdruck gibt. Die wörtliche Übersetzung kannst du sowieso vergessen: komplett irreführend! Still schauend wär ja was Positives. Sprich: Aufmerksamkeit, Konzentration. Die Gucki aber das genaue Gegenteil: gar keine Aufmerksamkeit, gar keine Konzentration! Schaut praktisch ins Nichts. Ins Narrenkastl, wie es so schön heißt. Und wenn du so schaust, schaust du leider auch ein bisserl deppert drein. Stadschauat halt.

Dass wir uns da aber nicht falsch verstehen: Deppert ist sie wirklich nicht, die Gucki! Erstens ist sie eine Frau Magister, weil sie in Wien unten studiert hat, und zweitens kann sie tarockieren wie der Teufel. Und zumindest beim Tarockieren brauchst du ein Hirn. Beim Studieren bin ich mir da schon nicht mehr so sicher. Weil was heutzutag Doktoren und Magister herumrennen und kein bisserl einen Hausverstand haben – da wird es mit dem Studieren nicht so weit her sein.

Direkt deppert schaut sie ja eh nicht drein, die Gucki. Mehr so geistesabwesend. Praktisch: Geist grundsätzlich vorhanden, derzeit aber gerade abwesend. Ist auch gar nicht notwendig. Weil die Gucki in der Arbeit ist. In der Redaktion der Mühlviertler Nachrichten in Freistadt. Und bei so einer Lokalzeitung wie bei den Mühlviertler Nachrichten – da hat Geist sowieso nichts verloren. So wie du ja auch keinen eleganten Anzug anziehst, wenn du in den Saustall gehst.

Trotzdem – so stadschauat braucht die Gucki auch wieder nicht dreinschauen! Ist ja nicht allein im Büro. Der Turrini ist ja auch noch da. Dem wird ihre Stadschauerei jetzt schön langsam zu dumm. Zwickt er sie halt ein bisserl ins Knie. Und weil sie gar so schön aufschreit, schleckt er ihr gleich auch noch über die Innenseiten von den nackten Oberschenkeln. Weil da ist sie kitzlig, das weiß er.

„Na bumm!“, wird man sich jetzt denken. „Das fangt ja gut an: gleich mit einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz!“ Ist aber nicht so, wie es ausschaut. Die Gucki fühlt sich ja gar nicht belästigt, sondern erheitert. Sonst tät sie nicht lachen. Ist dem Turrini sogar dankbar, dass er sie aus ihrem Leichenstarre-ähnlichen Zustand herausgerissen hat. Und außerdem darf der Turrini sowieso zwicken und schlecken, wie er will. Weil er ihr Herzikratzischeißibinki ist. Weil er der Gucki ihr Hund ist.

„Turrini?“, wird man sich jetzt fragen. „Schon ein komischer Name für einen Hund.“ Früher hat so ein Hund halt Hasso geheißen oder Wastl oder von mir aus sogar Rex. Hat man gleich gewusst: aha, ein Hund! Aber heutzutage muss ja so ein Viech unbedingt einen möglichst ausgefallenen Namen haben: praktisch wie ein richtiger Mensch. Gibt es natürlich Missverständnisse noch und nöcher. Wenn – sagen wir einmal – der Fleischhacker von St. Moritz plärrt: „Der Grasser hat schon wieder eine Knacker gestohlen! Ich stech ihn ab, die kriminelle Drecksau!“ Dann weißt du nicht: Sticht er jetzt den früheren Finanzminister ab – oder nur seinen Dobermann?

Der Turrini heißt zwar nicht so nach einem Finanzminister, dafür aber nach einem Theaterdichter. Nach dem Peter Turrini. Schaut aber dem Hund wirklich total ähnlich: ziemlich klein, schon ziemlich grau, ziemlich gut gefüttert. Vor allem aber das G’schau: so treuherzig-traurig, wie wenn das ganze Leben eine todernste Angelegenheit wär. Dabei ist er eh ein ganz ein Lustiger. Da mein ich jetzt natürlich den Hund. Den Dichter kenn ich ja nicht näher. Der wird schon eher traurige Theaterstückeln schreiben. Sonst tät der Gucki ihre Diplomarbeit nicht Sentimentale Motive im dramatischen Werk von Peter Turrini heißen.

Aber was tu ich da lang herum mit dem Peter Turrini? Ist ja komplett wurscht, ob das ein trauriger oder ein lustiger Hund ist! Ich will ja keine Diplomarbeit für die Theaterwissenschaft schreiben, sondern was über die Gucki erzählen: Warum sitzt sie gar so stadschauat in der Redaktion der Mühlviertler Nachrichten herum? Warum sauft sie an diesem Vormittag schon das dritte Flaschl Freistädter Bier? Warum raucht sie eine Gauloises filterlos nach der anderen?

Wo fang ich da jetzt an? Ich kann ja nicht die ganze Lebensgeschichte von der Gucki herunterbeten! Also: Heißen tut sie in Wirklichkeit Magister Gudrun Wurm. Sagt aber keiner. Sagt jeder nur Gucki. Passt einfach zu ihr. Ihr neugieriger Blick aus den großen bernsteinbraunen Augen – das ist ja das Allererste, was dir an ihr auffallt. Außer du bist ein Mann. Dann sticht dir womöglich schon der kecke Busen ins Aug. Mitsamt dem nicht vorhandenen BH. Oder der prachtvolle Arsch. Oder die elendslangen Haxen. Kurzum: mit Abstand das geilste Weib im ganzen Bezirk Freistadt!

Nur darf ich das nicht laut sagen! Weil das die Gucki nämlich gar nicht gern hört. Da sagt sie dann gleich: „Sexistische Drecksau!“ oder auch: „Notgeiler Wichser!“ Je nachdem, wie sie aufgelegt ist. Und dann klescht es auch schon. Weil dass die Gucki nicht nur schlagfertig, sondern auch schlagkräftig ist – von dem haben sich schon etliche Herren überzeugen können. Wobei ihr die meisten nicht einmal richtig bös sind. Weil: Bei einer Strengen Herrin tätest du für so ein Mordstrumm Watschen ein Vermögen hinblattln. Nur: Um eine zweite Watschen hat auch noch keiner gebettelt.

Jessas! Ich bin aber auch ein Depp! Da red ich lang und breit über so Details wie Busen und Arsch daher – und dabei vergess ich doch glatt auf das Wichtigste. Das Auffälligste an der Gucki ist ja nicht, dass sie so eine schöne Frau ist – das Auffälligste ist, dass diese schöne Frau wie ein Mann daherkommt.

Schwarze Jeans, schwarze Lederjacke. Jahr und Tag! Im Winter wie im Sommer! Im Winter mit Rollkragenpullover und Stiefeln, im Sommer mit Leiberl und Sandalen. Ich will ja nicht in der Gucki ihrem Seelenleben herumstierln, aber wenn du dich seit deiner Pubertät zusammenrichtest wie ein Mann, Marke edelhart, dann wird das schon was heißen!

Jetzt aber interessant: Die Gucki kann auch anders, wenn sie will. So zwei Jahre wird das jetzt her sein – da war die Gucki auf einmal nimmer zum Der­kennen. Hat auf einmal Röcke und Blusen, Strümpfe und Stöckelschuhe und sogar einen BH angehabt. Und geschminkt hat sie sich auch, und Parfum hat sie gleich literweis verpritschelt. Einfach zum Anbeißen ist sie da gewesen. Was heißt da anbeißen? Fressen hätt ich sie können!

War aber dann genauso schnell, wie sie gekommen ist, wieder vorbei mit der ganzen Herrlichkeit – besser gesagt: mit der ganzen Weiblichkeit. Seither wieder ausschließlich Männerkleidung in Schwarz. Das Einzige, was geblieben ist, ist das Parfum. Bulgari, wenn es wer genau wissen will. Wenigstens lässt sie sich jetzt die Haare wachsen. Bis vor zwei Jahren Stoppelglatze, jetzt immerhin Kurzhaarfrisur. Wobei Frisur eigentlich irreführend ist. Weil der Gucki ihr blonder Wuschelkopf immer total zerrupft ist.

„Ha!“, wird der eine oder andere jetzt einwerfen. „Und wie kann der Turrini dann die nackten Oberschenkel von der Gucki abschlecken? Wenn sie Jahr und Tag nur Jeans anhat?“

„Sehr brav!“, sag ich da. „Wirklich gut aufgepasst! Das lob ich mir, wenn einer mitdenkt!“

Gibt aber eine watscheneinfache Erklärung. Nämlich: der Gucki ihre Leidenschaft für den Fußball. Heute 1. Juni 2010. Ist gleich: Genau in zehn Tagen fangt die Fußball-Weltmeisterschaft an. Und die wird die Gucki nicht daheim vor dem Fernseher verbringen – sie hat ja gar keinen Fernseher –, sondern gemeinsam mit ihren Nachbarbuben in Mandi’s Saustall.

Der Saustall ist natürlich kein richtiger Saustall, sondern ein kleines Wirtshaus mit einem großen Flachbildschirm-Fernseher. Aber schon so flach, dass dir sogar so ein zaundürrer Skispringer daneben wie eine fette Sau vorkommt. Eh schon höchste Zeit, dass man die Fernsehgeräte ans Fernsehprogramm angepasst hat: so flach, dass es flacher nimmer geht!

Ui-jeh! Ist mir schon wieder was herausgerutscht, was gar nicht da hergehört. Wo waren wir gleich noch? Ah ja: in Mandi’s Saustall. Vor dem Fernseher. Wo die gesamte männliche Bevölkerung aus der näheren Umgebung ihre Sportbegeisterung auslebt. Im Winter Skifahren und Skispringen, im Sommer Fußball und Formel 1.

Bier trinken kann man sowieso im Sommer und im Winter. Tut man natürlich auch. Wirkt sich ja vorteilhaft auf die Sportbegeisterung aus. Weil nach, sagen wir einmal: sieben, acht Bier – da wird dann geplärrt, gegrölt und gepfiffen, dass es nur so eine Freude ist. Und obwohl ich selber noch nie in Wien unten war: Mehr Radau wie der Gucki ihre Nachbarbuben im Saustall werden alle Zuschauer miteinander im Gerhard Hanappi Stadion auch nicht schlagen können.

„Was redet denn der da die ganze Zeit daher?“, wird man sich jetzt fragen. „Was hat denn das Ganze mit der Gucki...

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