Was Kinder innerlich stark macht

Was Kinder innerlich stark macht

von: Georg Dreißig

Verlag Urachhaus, 2004

ISBN: 9783825171438

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 2255 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Was Kinder innerlich stark macht



Bildersinn in Gefahr (S. 109-110)

Fremdes in der eigenen Seele

Wir haben versucht, die besonderen Möglichkeiten der Arbeit mit Märchenbildern darzustellen. Zu einem solchen Versuch muss notwendig auch ein kritischer Blick auf den heutigen Umgang mit anderen seelenwirk samen Bildern treten. Ein solcher Blick lässt erkennen, dass es um das, was die Märchen bewir ken können – den Reichtum erschließen, den jeder Mensch aus dem Vorgeburtlichen als seinen persönlichen Seelenschatz mit ins Leben hereinträgt –, heute außerordentlich schlecht bestellt ist. Unsere Seelenschatzkammern füllen sich mit Dingen, die gar keine Schätze sind, die aber geeignet sind, deren Platz einzunehmen und uns in unserem Menschwerden – mehr oder weniger massiv – zu beeinflussen.

Der Bildhunger gehört konstitutionell zum Menschen hinzu. Wir brauchen Bilder, die uns anregen, unsere Persönlichkeit und unsere Biografie unseren eigenen inneren Bildekräften gemäß auszugestalten. Diesen Hunger nach Bildern bedienen die Bildmedien, ohne dass dabei jedoch auf Wert und Sinn der Seelen bilde kräfte Rücksicht genommen würde. Das ist keine Lappalie. Wo das er- lauschte Märchenwort die Eigenkräfte der Seele zu intensiver Tätigkeit anregt, kann etwa das Fernsehen – und das gilt ganz un abhängig von der Qualität des jeweiligen Films – nur zum Anschau en von äußeren und bereits fertigen Bildern einladen. Die Seelenkräfte des zum Zuschauer degradierten Bildsuchers müssen sich mit dem Vorgegebenen begnügen und in Untätigkeit verharren.

Die Verurteilung des Zuschauers zur Passivität im Umgang mit den eigenen Seelenkräften ist jedoch nur das eine. Noch folgen reicher ist das andere: Der Seele zeichnen sich die auf genomme nen Bilder ein und übernehmen die Aufgabe der Seelenbildekräfte, das persönliche Verhalten zu prägen. Diese Überprägung des Eigenen durch seelenwirksame Bilder, die gar nicht aus der eigenen Seele aufsteigen, muss besonders prägend sein für denjenigen, der noch damit beschäftigt ist, sich ein Bild von sich selbst zu machen: für das Kind. Man kann sich die Situation, in die das Kind gerät, folgendermaßen vorstellen: Wo es in den Tiefen der eigenen Seele die Kräfte zu beleben sucht, aus denen es sich selbst gestalten will, da stößt es, ehe es überhaupt zum wahren Grund seiner Seele vorgedrungen ist, auf eine ganze Fülle scheinbar lebendiger, aber bereits fertig ausgestalteter Bilder, die ihm suggerieren, die von ihm gesuchten Vorbilder für sein Werden zu sein. In der eigenen Seele stößt das Kind auf Wesens fremdes, das es aber als solches nicht erkennen kann. Ein Teppich solcher Scheinbilder legt sich über den persönlichen Seelen schatz und schwächt den Impuls des Kindes, zum Eigenen hindurch zu stoßen, weil die Scheinbilder das Empfinden erwecken, das gesuchte Eigene zu sein.

Was das für die Kinder bedeutet, habe ich darzustellen versucht: Sie können ihre persönlichen Bildekräfte nur un vollkommen kennen lernen und ausgestalten. Starke Kräfte, die ins Leben ein greifen wollen, bleiben ungenutzt. Was aber geschieht mit Kräften, die sich betätigen wollen, sich aber nicht zielvoll für eine Aufgabe einsetzen können? Je unbewusster sie bleiben, umso mehr ist damit zu rechnen, dass sie sich irgendwann unkontrolliert, ziellos entladen. In diesem Dilemma liegt wahrscheinlich eine entscheidende Wurzel für die zunehmende Aggressivität, die heute unter Kindern und Jugendlichen herrscht. Dass die Kinder sich selbst entfremdet worden sind, spricht sich in ihrem oft be fremdlichen Verhalten aus. Als diejenigen, die sie selbst eigentlich sind, können sie sich gar nicht zeigen, weil sie sich in ihrem eigenen Inneren selbst nicht finden können, und es bleibt ihnen darum zunächst gar keine andere Wahl, als der zu werden, der als fremdes Vorbild in ihren Seelen herumgeistert.

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