Ein letzter Walzer - Ein Wien-Krimi

Ein letzter Walzer - Ein Wien-Krimi

von: Beate Maxian

Goldmann, 2022

ISBN: 9783641249137

Sprache: Deutsch

416 Seiten, Download: 1819 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ein letzter Walzer - Ein Wien-Krimi




Oh, verdammt«, stöhnte Jasmin. »Jetzt fängt’s tatsächlich an zu regnen.«

Sie sah den Dirigenten des Orchesters Wiener Melodien forschend an. Zarte Tropfen benetzten seinen Frack und das weiße Hemd. Auf der Parkbank, auf der sie saßen, zeichneten sich feuchte dunkle Flecken ab.

»Du hast ja sicherheitshalber einen Schirm mitgebracht«, merkte Marko Teufel verschmitzt lächelnd an und nickte nach rechts, wo der Schirm an der Bank lehnte.

»Trotzdem hatte ich gehofft, dass die Wetterfrösche falschliegen«, lamentierte sie und rückte ein Stück näher an ihn heran.

»Es nieselt doch nur, das stört mich nicht. Im Gegenteil. Es vertreibt die letzten Besucher aus dem Stadtpark. Dann sind wir endlich allein.«

Wegen der aufziehenden dunklen Wolken waren die Musiker des Orchesters und die Promigäste rasch in die Lounge des nahe gelegenen Hotels Imperial aufgebrochen, wo man obligatorisch den Konzertabend ausklingen ließ. Einige Fans waren noch geblieben, und Marko Teufel hatte seine Unterschrift auf Autogrammkarten, das Konzertprogramm und seine aktuelle CD gekritzelt. Aber seit wenigen Minuten waren alle verschwunden.

Er sah nach oben. Der Sprühregen schimmerte wie silbriger Staub am Nachthimmel. Bei dem Anblick erklang augenblicklich eine Melodie in seinem Kopf. So war es oft. Er sah etwas, und seine Gedanken summten, häufig im Dreivierteltakt. »Silberstaubwalzer«, so betitelte er seinen jetzigen Geistesblitz. Möglich, dass er die Tonfolge später niederschrieb, obwohl seine Leidenschaft dem Arrangieren von existierenden Stücken galt.

»Na dann!« Jasmin schenkte Champagner in zwei Gläser und reichte ihm eines. Es war zu ihrem gemeinsamen Ritual geworden, nach einer gelungenen Veranstaltung anzustoßen, abseits allen Trubels, nur sie beide. Und dennoch war das heute eine Premiere. Denn zum ersten Mal tranken sie den Champagner an einem öffentlichen Platz. Bisher waren sie dazu in Jasmins Wohnung gefahren oder hatten auf Tournee in einem Hotelzimmer den Champagner geköpft. Nach den offiziellen Feiern.

»Auf den erfolgreichen Auftakt zu Walzer im Park. Trotz Sonntagabend«, sagte Jasmin und stieß ihr Glas sanft gegen seines.

Nathalie Buchner, Markos Agentin und Jasmins Chefin, hatte bezüglich des Tages Bedenken geäußert. Sie hatte gemeint, dass die Leute sonntags an die bevorstehende Arbeitswoche dachten und deshalb keine Lust hätten, ein Konzert zu besuchen. Er hatte sich mit seinem Terminvorschlag durchgesetzt und sie Lügen gestraft. Der Park war brechend voll gewesen.

Marko nippte am Champagner und betrachtete Jasmin über das Glas hinweg. Sie arbeitete erst seit elf Monaten in der Agentur, war in der kurzen Zeit aber bereits unentbehrlich geworden und wickelte inzwischen all seine Projekte ab. Schon beim Kennenlernen hatte sein Entschluss festgestanden, Jasmin zu erobern. Die tizianroten Haare, ihre Sommersprossen auf dem Nasenrücken und ihr romantisch geschwungener Mund hatten es ihm sofort angetan. Dass er bald vierzig und sie zarte siebenundzwanzig war, störte sie beide nicht.

Marko nahm einen kräftigeren Schluck. Zur Entspannung. Sein Körper schüttete nach wie vor Adrenalin aus, und dieser Zustand würde noch eine Weile andauern. Das Lampenfieber vor dem Konzert und die Glückshormone hinterher peitschten ihn jedes Mal für Stunden hoch. Der Moment, wenn alle Augen auf ihn, den Dirigenten, gerichtet waren. Das Publikum den Atem anhielt in Erwartung der ersten Takte. Wenn das Orchester anfing zu spielen. Diesmal hatten sie das Konzert mit dem »Wiener Launen-Walzer« von Johann Strauß Vater eröffnet. Und beendet mit der heimlichen Hymne Österreichs: »An der schönen blauen Donau«, kurz »Donauwalzer«, von Johann Strauß Sohn. Der Walzerkönig stand als goldene Statue verewigt nur wenige Meter von ihrer Parkbank entfernt. Das meistfotografierte Denkmal in Wien, hatte Marko einmal gelesen.

Die Konzertreihe fand in diesem Jahr zum vierten Mal statt und würde sie in den nächsten Wochen durch ganz Österreich führen. Üblicherweise wurde die Tournee im Stadtpark gestartet. So wie heute Abend. Für die Ehrengäste und Promis hatte man Stühle vor der Bühne mit Blickrichtung Kursalon Hübner aufgestellt. Die Konzertbesucher, für die keine Sitzgelegenheit vorbereitet worden war, hatten Picknickdecken mitgebracht und diese auf der Rasenfläche ausgebreitet. Andere hatten sich auf den umstehenden Parkbänken niedergelassen.

»Du schaust übrigens verdammt gut aus in deinem Frack«, gurrte Jasmin.

»Und du in deinem dunkelblauen Samtkleid.« Er streckte eine Hand nach ihr aus, zog ihr Gesicht nahe an seines und küsste sie. Allzu gern hätte er seine Hand unter das Kleid geschoben, doch leider reichte es ihr bis zur Wade. Also begnügte er sich damit, seine Finger sanft über den Stoff gleiten zu lassen und dabei ihren Oberschenkel darunter zu erfühlen.

»Die Leute haben sich das Maul über dich und Ruth zerrissen«, sagte Jasmin nach dem Kuss.

Marko verzog den Mund und nahm die Hand wieder weg. Warum sprach sie ausgerechnet jetzt das leidige Thema an?

»War eh klar, dass ihr Auftritt im Imperial heute Abend Thema Nummer eins sein würde«, fuhr Jasmin in gehässigem Tonfall fort.

Der heftige Streit, den er vor wenigen Tagen mit seiner Frau gehabt hatte, sorgte leider Gottes für Gesprächsstoff.

Ihr Hochzeitstag stand kommenden Freitag an, doch an dem Abend würde er ein Konzert in Baden bei Wien geben und nachmittags proben, ergo keine Zeit haben. Weshalb er Ruth vergangenen Donnerstag zum Mittagessen ins Café Imperial im gleichnamigen Hotel eingeladen hatte. Er kaufte einen Strauß weißer Rosen, den der Kellner in eine Vase steckte und auf den Tisch stellte. Wie gewohnt zeigte sich Ruth im Laufe des Essens eifersüchtig und angriffslustig. Ihr sonst eher blasses Gesicht lief tiefrot vor Zorn an, als sie ihm Ignoranz und Egoismus vorwarf. Das Gespräch endete wie die meisten in letzter Zeit. Damit, dass sie ihm vorwarf, eine Affäre zu haben. Sobald sie sich dafür in Stellung gebracht hatte, zog sie die Mundwinkel noch weiter nach unten als üblicherweise. Ihr Anblick erinnerte ihn ob ihres hellen Lidschattens und des knallroten Lippenstifts an einen jämmerlichen Clown. Die Affäre bestritt er natürlich. Er und Jasmin verhielten sich äußerst vorsichtig.

»Du solltest nur glauben, was du mit eigenen Augen siehst«, entgegnete er.

»Und du solltest aufhören, mich wie eine Idiotin zu behandeln«, konterte sie und hielt ihm zwei Fotos unter die Nase. Eines zeigte ihn und Jasmin vor Jasmins Wohnhaus. Er hatte unvorsichtigerweise seine Hand um ihre Hüfte gelegt, weil er sich unbeobachtet gefühlt hatte. Auf dem anderen küsste er Jasmins Nacken.

Wer Ruth die unheilbringenden Fotos geschickt hatte, konnte oder wollte sie ihm nicht verraten. »Sie lagen in einem Kuvert im Briefkasten«, sagte sie nur.

Er hatte augenblicklich Robert oder Helene in Verdacht. Seinen Bruder, weil er ihm eins auswischen wollte. Und seine Schwägerin, weil sie ihn noch nie hatte leiden können.

»Da hat wohl jemand einen Privatdetektiv auf mich angesetzt«, knurrte er schließlich und gab ihr die Fotos so entspannt wie möglich über den Tisch zurück.

Ruth sprach an dem Tag erstmals von Scheidung. Er nahm ihre Hand, drückte sie. Eine Spur zu fest, doch er wollte damit verdeutlichen, dass das für ihn nicht infrage kam. Jedenfalls nicht zum aktuellen Zeitpunkt.

»Keine Scheidung kurz vor, während oder knapp nach einer Tournee oder einem wichtigen Auftritt«, knurrte er. Eine Trennung würde die Presse nur von seiner Arbeit ablenken.

Blöderweise hatte ihn und Ruth jemand genau in dem Moment fotografiert, als sie die weißen Rosen aus der Vase zog und sie ihm ins Gesicht schlug. Er hatte es nicht bemerkt, und der Fotograf hatte die Bilder der Presse zugespielt. Ein gefundenes Fressen für den Boulevard.

»Prügelt euch verdammt noch mal zu Hause«, hatte seine Mutter am Telefon getobt, nachdem der erste Artikel über eine etwaige Ehekrise des bekannten Dirigenten erschienen war. Eine positive Presse bedeutete Thekla Teufel alles. Seit dem Tod von Markos Vater, dem berühmten Tenor Berthold Teufel, drehte sich ihr Universum einzig um die Karriere und die Reputation ihrer Söhne. Robert, der Langweiler. Marko, der King des Walzers. Er schüttelte den Gedanken ab.

Der Regen wurde eine Spur stärker. Die Luft roch nach feuchter Erde, noch immer war es sommerlich warm. Jasmin griff nach dem großen Regenschirm und spannte ihn über ihren Köpfen auf.

»Zwischen Ruth und mir herrscht seit ihrem hysterischen Auftritt Funkstille«, sagte er gleichmütig. »Ich wohne seit Tagen im Hotel Imperial, wie dir nicht entgangen sein dürfte.« Er grinste anzüglich.

Jasmin hatte die letzten Nächte bei ihm verbracht. Sie bemühten sich nach wie vor um Diskretion, ließen sich nie gemeinsam in der Lobby blicken und fuhren niemals zeitgleich mit demselben Lift. Marko war noch stärker als sonst zur Vorsicht gezwungen. Sein Ruf eilte ihm voraus. Jasmin war nicht sein erster Fehltritt in seiner Ehe mit Ruth. Doch mit ihr war es anders. Mit ihr führte er Gespräche auf Augenhöhe, sie erschien ihm ebenbürtig. Seine bisherigen Ausrutscher hatten ihn ausschließlich angehimmelt. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass er ihre Aufmerksamkeit nicht genossen hätte. Doch davon abgesehen hatte ihn das demütige Anhimmeln auch schnell gelangweilt. Er rückte ein Stückchen näher, heftete seinen...

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