Die Ordnung der Hermaphroditen-Geschlechter - Eine Genealogie des Geschlechtsbegriffs

Die Ordnung der Hermaphroditen-Geschlechter - Eine Genealogie des Geschlechtsbegriffs

von: Maximilian Schochow

De Gruyter Akademie Forschung, 2009

ISBN: 9783050046303

Sprache: Deutsch

296 Seiten, Download: 5345 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Die Ordnung der Hermaphroditen-Geschlechter - Eine Genealogie des Geschlechtsbegriffs



I. Exegese der Leiber (S. 31)

1. Von den Geschlechtern und ihren Eigenschaften „Alles was die Natur gebiert / das formiert sie nach dem Wesen der Tugendt so im selbigen ist / vnd seindt also zuverstehen. Wie das gemüt / die Eigenschafft / die Natur desselbigen Menschen ist / demselbigen nach gibt sie ihm auch den Leib / mit seiner Figur: also das die Figur / der Leib / die Tugendt gleich in Einer Concordantz seindt / vnd ein jedlichs zeigt dz ander an: Als die Tugendt zeigt an die Form / Figur / Corpus vnd Substantz: Also zeigen auch an dieselbigen das Wesen im selbigen.“

Wenn es stimmt, dass bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts kein Geschlecht im Sinne der Beschreibung Scultets – der Dichotomie von weiblichen und männlichen Geburts- und Zeugungsgliedern – existiert, dann stellt sich die Frage: Wie lässt sich eine Geschichte erzählen, deren Gegenstand nicht vorkommt?

Wie können Aussagen über ein Element getroffen werden, das dem Diskurs des sechzehnten Jahrhunderts vollkommen fremd ist? Und wenn es richtig ist, dass dieses Geschlecht, das Scultet beschreibt, bis zum Anfang des siebzehnten Jahrhunderts nicht denkbar ist, wie sind dann die zahlreichen Geschlechter, die in den Folianten des sechzehnten Jahrhunderts auftauchen, zu fassen? Anders gewendet: Geschlechterbegriffe sind dem sechzehnten Jahrhundert nicht fremd, es sind sogar unendlich viele Geschlechter bis zu diesem Zeitpunkt im Umlauf, nur eben jenes Geschlecht, von dem Scultet berichtet, existiert nicht.

Vielleicht ist ein Perspektivwechsel der Schlüssel zu den Archiven, in denen die Geschlechter des sechzehnten Jahrhunderts wispern? Möglich, dass die Frage nach den Geschlechterdiskursen des sechzehnten Jahrhunderts den modernen Blick auf das Geschlecht – jenes, von dem Scultet spricht – neu ausrichtet?

In einem ersten Schritt wäre also zu fragen, welche Geschlechter bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts in den Archiven flüstern. Welche Ordnungen und welche Differenzen lassen sich in den Geschlechterdiskursen des sechzehnten Jahrhunderts lokalisieren?

Es existieren beispielsweise, so Ryff, die Geschlechter der Krankheiten, die der „Feber vnd Leybliche gebrechen“. Paracelsus beschreibt seinerseits vier Krankheiten, die die Vernunft rauben: „Ein geschlecht die da Lunatici heissen / vnd Eins / die da Insani heissen / vnd Eins die Vesani heissen / vnd Eins die do Melancholici heissen.“

Jenseits davon gibt es die „Geschlecht[er] der Brunnen“, unter anderem jene zu Zürich. Mair wiederum berichtet in seinem „Geschlechter-Buch“ von den unzähligen Geschlechtern – der Päpste, Kaiser, Könige oder Fürsten –, die sich in Chroniken beziehungsweise „Geschlechter-Register[n]“ tummeln und in Form von Genealogien und Stammbäumen aufgelistet werden.

In den Lüften ziehen die ‚geshlecht[er] der federspile‘ ihre Bahnen und repräsentieren einen Teil der Geschlechter der Tiere. Auf der Erde wimmelt es von den „Geschlecht[ern] der Kräuter“, die sich aus dem dunklen Erdreich empor strecken und dem Lauf der Sonne und anderer Planeten folgen.

Und es existieren die Geschlechter der Menschen: „Gott der Himlische Vatter [hat] / den Menschen anfäncklich / an leib vnd seel / schön / gerecht vnd volkömlich on allen fehl vnnd gebrechen erschaffen / vnd das menschliche geschlecht ordentlicher weiß außgebraittet vnnd erweitert“.

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