Du bist so schön, sogar der Tod erblasst - Roman

Du bist so schön, sogar der Tod erblasst - Roman

von: Akwaeke Emezi

Hanser Berlin, 2023

ISBN: 9783446278189

Sprache: Deutsch

352 Seiten, Download: 2577 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Du bist so schön, sogar der Tod erblasst - Roman



Eins


Milan war Feyis erster Sex seit dem Unfall.

Sie trieben es im Badezimmer auf einer Privatparty zum Memorial Day, Feyis Proseccoglas kippte dabei ins Waschbecken, Milan fuhr mit seinen großen Händen unter ihre Oberschenkel, um sie auf den Waschtisch zu heben. Der Raum war mit gesprenkelten Fliesen gekachelt, vom Licht einer roten Glühbirne, die jemand unter die Decke geschraubt hatte, blutig getüncht, und in der Badewanne hing ein schwerer Stoffvorhang, bedruckt mit Monsterablättern. Milans Lippen an ihrer Kehle, warf Feyi den Kopf in den Nacken, dass sich ihre langen pinken Braids über die Armaturen ergossen und die Spitzen die trocknenden Bläschen ihres Drinks streiften.

»Soll ich langsamer machen?«, fragte Milan mit gepresster Stimme, gehetzt vor Lust. »Ich meine … wir sind uns ja eben erst begegnet.«

Er sagte das, als könnte es irgendeine Rolle spielen, als wäre es nicht ein Grund, schneller statt langsamer zu machen. Eine Stunde zuvor hatte Feyi ihn im Partygewühl auf dem Dach zum ersten Mal gesehen. Sie mochte, wie sein Blick ihrem Gang folgte, wie groß er war, wie breit. Ihre beste Freundin Joy hatte sich zu ihr gelehnt, ihren Arm ergriffen und »Uuuuh, guck dir diese Oberschenkel an!« geflüstert. »Scheiße Mann, was für Muskeln. Der soll sich mal umdrehen, damit ich den Arsch dazu sehen kann.«

Feyi hatte die Augen verdreht. »Gut, dass du keinen Schwanz hast. Du wärst unerträglich.«

»Wenn ich einen Schwanz hätte, würde mich sein Arsch erst recht interessieren«, antwortete Joy.

»Ich nehm’s zurück. Du bist auch so unerträglich.« Verstohlen warf Feyi einen weiteren Blick auf besagte Beine. »Außerdem könntest du auch einfach einen Strap-on benutzen.«

»Nee, das ist nicht dasselbe. Ich will ja spüren, wie er sich um mich zusammenzieht.« Zur Demonstration schloss Joy die Finger um ihren Daumen, und Feyi kämpfte so mit dem Lachen, dass die Braids über ihrem Schlüsselbein wippten. Milan sah in ihre Richtung, und als sich ihre Blicke trafen, lächelte er ihr übers Dach zu.

Feyi hatte bereits entschieden, wer sie an diesem Abend sein wollte, also starrte sie unverfroren zurück, ausgiebig seine Terrakotta-Haut und den dunklen kupferfarbenen Bart bewundernd. Als er daraufhin seinen Jungs zunickte und auf sie zukam, machte sich Joy mit einem Quieken davon und ließ sie beide allein. Feyi wollte Small Talk vermeiden — bloß keine unnötigen Worte —, weshalb sie ihm, sobald er nah genug war, mit dem Finger über die Hemdknöpfe strich. 

»Du gefällst mir«, sagte sie, ehe er den Mund aufmachen konnte. »Allein hier?«

Kurz wirkte er überrascht, hatte sich aber schnell wieder im Griff. »Jap«, antwortete er und legte den Kopf schief, weiter ihren Blick haltend. »Du?«

Einen Moment lang hörte sie Reifenquietschen und das schrille Klirren von zersplitterndem Glas, sah zarte weiße Lilienblüten und einen dunklen Klumpen Erde, der in ihrer Hand zerfiel, dann wedelte sie all das beiseite wie Rauch.

»Single«, gab sie zurück und trat noch einen Schritt näher. Er roch nach Regen und Bergamotte. »Und, wie sagt man so schön? Offen für Neues.«

Feyi wusste, dass das aus einem weniger hübschen Mund abgedroschen geklungen hätte — sie wusste auch, wie sie ihre weinroten Lippen öffnen und Milan von unten durch ihre dichten schwarzen Wimpern ansehen musste, wie sie zahllose Anspielungen in ihre Stimme legen konnte. Es war ein Spiel, eine einfache Formel, und nichts Verwerfliches daran, die ihr gegebenen Reize entsprechend einzusetzen. Genauer betrachtet war das alles auch gar nicht wichtig. Er war auf andere Art schön, und das reichte Feyi.

Obwohl Joy und sie schon beim Brunch mit den Drinks angefangen hatten, war Feyi nur gerade beschwipst genug, um ihn und seinen Körper für ihren ersten Sprung zurück ins kalte Wasser auszuwählen. So, wie dieser fremde Terrakotta-Mann sie mit einer Hand auf ihrem Rücken einladend zu sich zog, schien er mit ihrem Plan einverstanden. Joy stand irgendwo an der Bar und war vermutlich mehr als entzückt, dass sie so zielstrebig ranging.

»Milan«, sagte der Fremde und verzog den breiten, köstlichen Mund zu einem amüsierten Lächeln.

Brauchen wir wirklich Namen?, dachte Feyi, lächelte aber zurück, die Finger gespreizt auf seiner Brust, unter der Handfläche seinen schnellen, regelmäßigen Herzschlag. »Feyi.«

Milan sah sich auf dem Dach um. »Wollen wir von hier verschwinden?«

Sehr gut. Er spielte perfekt mit, kein Zögern, keine falsche Schüchternheit.

»Aber nicht zu weit weg. Ich bin mit meiner Freundin hier.«

Er nickte und sah sie wieder an. Sie waren sich so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren und die schwarzen Tupfer in seinen braunen Augen sehen konnte, während sein Blick über ihr Gesicht wanderte und an ihrem Mund hängen blieb. Seine nächsten Worte waren tiefer, leise und rau: »Nach unten?«

Feyi zog eine Augenbraue hoch, um zu kaschieren, dass sein Verlangen ihr eigenes entzündete wie ein Streichholz. Er wollte sie, heftig genug, um alle unnötigen Fragen wegzulassen. »Du bist lösungsorientiert. Das gefällt mir.«

Milan nahm ihre Hand, sie schoben sich an Leuten vorbei zur Treppe, bogen unten um eine Ecke, dann zog er sie mit sich in ein Bad. Während er hinter ihnen die Tür abschloss, begutachtete Feyi die Rückenmuskeln, die sich unter seinem Hemd abzeichneten, erst als er sich umdrehte, bemerkte sie seinen zurückhaltenden Blick.

»Also …«, sagte er und hielt inne, um ihr die Regie zu überlassen.

Es war süß. Und völlig unnötig. Feyi brauchte gar nicht weiter nachzudenken. Sie stellte ihr Glas neben das Waschbecken, zog sich die Bluse über den Kopf, kurz verfingen sich ihre pinken Braids im schwarzen Stoff, dann stand sie im dünnen Bralette vor ihm. Unter dem transparenten Stoff zeichneten sich zwei kleine Goldringe ab.

Der Fremde — Milan — sog die Luft ein, und in seinen Augen flackerte Verlangen. »Fuck, bist du schön«, raunte er, hielt sich aber immer noch zurück. »Deine Haut … sieht aus, als würde sie leuchten.«

Feyi lächelte, sagte nichts. Stattdessen trat sie an ihn heran, zog sein Gesicht zu sich, seinen Mund auf ihren, begegnete seiner suchenden Zunge mit ihrer. Er packte sie gierig, grub die Finger in ihre Haut und presste die Hüften an ihren Bauch, dass sie seine Härte spürte. Feyi fühlte sich wie ein Monster und eine Verräterin, aber das war okay, es musste sein.

Genau deshalb war sie hier.

*

Der Unfall war fünf Jahre her, eine gefühlte Ewigkeit und als wäre es gestern gewesen. Damals lebte Feyi in Cambridge, um die Ecke von ihren Eltern, aber danach konnte sie weder die Straßen noch das Autofahren oder den schmerz- und mitleidvollen Blick ihrer Mutter ertragen. Also war sie nach New York gezogen, denn selbst wenn sie ein Monster war, diese Stadt war es auch, prächtig und grell und immerwährend fraß sie Herzen, Zeit und Leben, als wäre es nichts. Feyi wollte untergehen im erbarmungslosen Krach eines Ortes, der so viel lauter war als sie, eines Ortes, an dem ihre Vergangenheit und ihr Schmerz im Getöse verschwanden. Hier konnte Feyi ihren Namen und ihr unversehrtes Gesicht behalten und trotzdem jemand anderes sein, jemand, der neu anfing, jemand ohne Gespenster. In New York interessierte sich niemand für die Herkunft der Traurigkeit, die hinter ihren Augen und in den Winkeln ihres Lächelns lag. Sie musste nicht mehr Auto fahren und konnte in der U-Bahn weinen, wo niemand hinsah, es niemanden interessierte, weil sie egal war, was sie ehrlich gesagt erleichterte.

Feyi bezog mit Joy, ihrer besten Freundin vom College, eine Wohnung in einem Brownstone, die sie mit dem Geld aus seiner Lebensversicherung bezahlte, ein makaberes Detail, das sie zu ignorieren versuchte. Jeder sagte, er hätte es so gewollt, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er vor allem hätte leben wollen. Die meisten Leute kriegten nicht, was sie wollten. Feyi wollte das Geld nicht, brauchte aber den obszönen Scheck und vielleicht sogar die damit verbundenen Schuldgefühle. Sie waren wie eine notwendige Strafe, ein Ausgleich. Er war tot, und was tat sie? Sie lebte und machte Kunst. Wie taktlos.

Joy und sie lebten in einer sonnigen,...

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