Salomon Maimons Lebensgeschichte - (1754-1800)

Salomon Maimons Lebensgeschichte - (1754-1800)

von: Salomon Maimon

Henricus - Edition Deutsche Klassik, 2012

ISBN: 9783847810834

Sprache: Deutsch

211 Seiten, Download: 605 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Salomon Maimons Lebensgeschichte - (1754-1800)



Erstes Kapitel

Des Großvaters Ökonomie.

 

Mein Großvater Heimann Joseph war Pächter einiger Dörfer in der Nachbarschaft der Stadt Mirz, im Gebiete des Fürsten Radziwill. Er wählte zu seinem Sitz eins dieser Dörfer an dem Niemenfluß, mit Namen Sukowiborg, wo außer einigen wenigen Bauernhöfen noch eine Wassermühle, ein kleiner Hafen und eine Warenniederlage für die Schiffe war, die von Königsberg in Preußen kommen. Dieses alles, nebst einer Brücke hinter dem Dorfe und auf der anderen Seite auf dem Niemenfluß wiederum eine Zugbrücke, gehörte mit zur Pacht, die damals ungefähr tausend Gulden galt und meines Großvaters Chasaka1 war. Diese Pacht war wegen der Warenniederlage und großen Passage sehr einträglich. Mit hinlänglicher Tätigkeit und ökonomischer Kenntnis hätte mein Großvater (si mens non laeva fuisset) nicht nur seine Familie ernähren, sondern auch Reichtümer sammeln können. Aber die schlechte Landesverfassung und der gänzliche Mangel an allen zur Benutzung des Landes gehörigen Kenntnissen legte diesem ungemeine Hindernisse in den Weg.

Mein Großvater setzte seine Brüder als Unterpächter in den zu seiner Pacht gehörigen Dörfern ein. Diese lebten nicht nur beständig bei meinem Großvater (unter dem Vorwand, ihm in seinen mannigfaltigen Geschäften beizustehen), sondern wollten noch dazu am Ende des Jahres ihre Pachtgelder nicht bezahlen.

Die Gebäude, die zu meines Großvaters Pacht gehörten, waren vor Alter verfallen, mußten also ausgebessert werden. Auch war der Hafen und die Brücken in schlechten Zustand geraten. Dem Pachtkontrakt zufolge sollte der Gutsherr alles ausbessern und in brauchbaren Stand setzen lassen. Dieser hielt sich aber, wie alle polnischen Magnaten, beständig in Warschau auf, konnte also auf die Verbesserung seiner Güter keine Aufmerksamkeit wenden. Seine Verwalter hatten viel mehr die Verbesserung ihres eignen Zustandes als der herrschaftlichen Güter zum Hauptaugenmerk. Sie drückten die Untertanen durch allerhand Erpressungen, vernachlässigten die zur Verbesserung der Ländereien gegebenen Befehle, und verwandten die dazu bestimmten Gelder zu ihrem eigenen Gebrauch. Mein Großvater machte zwar diesen Verwaltern von Tag zu Tag Vorstellungen darüber und beteuerte, daß er unmöglich seine Pacht bezahlen könne, wenn nicht dem Kontrakt gemäß alles in gehörigen Stand gesetzt würde. Es half aber alles nichts, man versprach zwar beständig, die Versprechungen kamen aber nie zur Erfüllung. Der Erfolg davon war nicht nur der Verfall der Pachtung, sondern noch mehrere davon abhängende Übel.

Da, wie schon erwähnt, dieser Ort eine große Passage hatte und die Brücken in schlechten Umständen waren, so geschah es nicht selten, daß diese Brücken, gerade wenn ein polnischer Herr mit seinem reichen Gefolge sie passierte, brachen, und Roß und Reiter im Sumpf versenkt wurden. Man ließ alsdann den armen Pächter holen, legte ihn neben die Brücke und karbatschte ihn so lange, bis man glaubte, sich genug gerächt zu haben.

Mein Großvater tat daher so viel in seinem Vermögen war, um dieses Übel in der Zukunft zu verhüten. Zu diesem Behuf bestellte er einen von den Hausleuten, der an dieser Brücke beständig Wache halten mußte, daß, wenn ein solcher Herr über die Brücke passieren und sich ein Unglück dieser Art ereignen sollte, diese Schildwache alsdann den Vorfall aufs eiligste im Hause melden möchte, damit er Zeit habe, sich mit seiner ganzen Familie im nächsten Gebüsch zu retten. Alsdann lief jeder voller Schrecken aus dem Hause, und nicht selten mußten alle die ganze Nacht durch unter freiem Himmel bleiben, bis sich einer nach dem andern dem Hause zu nähern wagte.

Diese Lebensart dauerte einige Generationen fort. Mein Vater pflegte von einem Vorfall dieser Art zu erzählen, der sich ereignete, als er noch ein kleiner Knabe von ungefähr acht Jahren gewesen. Die ganze Familie lief nach ihrem gewöhnlichen Zufluchtsort. Mein Vater aber, der davon nichts wußte und hinter dem Ofen spielte, blieb allein zurück. Da nun der grimmige Herr mit seinem Gefolge in das Wirtshaus kam und niemanden fand, an dem er seine Rache ausüben konnte, so ließ er alle Winkel im Hause durchsuchen, wo man denn meinen Vater hinter dem Ofen fand. Der Herr fragte ihn, ob er Branntwein trinken wolle. Da er sich weigerte, schrie jener: »Wenn du nicht Branntwein trinken willst, so sollst du Wasser trinken.« Er ließ auch sogleich einen vollen Eimer Wasser holen und zwang meinen Vater mit Peitschenschlägen, ihn ganz auszutrinken. Natürlich zog ihm diese Behandlung ein viertägiges Fieber zu, das beinahe ein ganzes Jahr dauerte und seine Gesundheit völlig untergrub.

Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich, als ich ein Kind von drei Jahren war. Alles lief aus dem Hause, und auch die Hausmagd, die mich auf dem Arme trug, eilte fort. Da aber die Bedienten des angekommenen Herrn ihr nachliefen, so beschleunigte sie ihre Schritte und ließ mich aus großer Eile von den Armen fallen. Wimmernd blieb ich am Gebüsche auf der Erde liegen, bis zum Glück ein vorbeigehender Bauer mich aufhob und mit sich nach Hause nahm. Erst da alles wieder ruhig und die Familie nach Hause gekommen war, erinnerte sich die Magd, daß sie mich auf der Flucht verloren, fing an zu lamentieren und die Hände zu ringen. Man suchte mich überall, konnte mich aber nicht finden, bis endlich der Bauer aus dem Dorfe kam und mich meinen Eltern wiederbrachte.

Nicht Schrecken und Bestürzung, worin man bei einer solchen Flucht zu geraten pflegte, war es allein, sondern es kam noch die Plünderung des von seinen Einwohnern entblößten Hauses hinzu. Bier, Branntwein und Met wurde nach Belieben getrunken, ja zuweilen ging die Rache so weit, daß man die Gefäße ganz auslaufen ließ; Getreide und Federvieh wurde weggeführt usw.

Hätte mein Großvater, anstatt mit einem Mächtigeren zu rechten, lieber das Unrecht ertragen und die gedachte Brücke lieber auf eigene Kosten gebaut, so hätte er alle diese Übel vermeiden können. Er berief sich aber beständig auf seinen Kontrakt, und der Gutsverwalter spottete seines Elends.

Nun etwas von der inneren Ökonomie meines Großvaters. Die Lebensart, die er in seinem Hause führte, war ganz simpel. Der jährliche Ertrag seiner zur Pacht gehörigen Äcker, Wiesen und Küchengärten war nicht nur zum eigenen Bedürfnis der Familie hinlänglich, sondern auch zum Brauen und Branntweinbrennen; ja er konnte noch jährlich eine Menge Getreide und Heu verkaufen. Seine Bienenzucht war zur Metbrauerei hinreichend. Auch hatte er eine Menge Vieh.

Die Hauptnahrung bestand in schlechtem, mit Kleien vermischtem Kornbrot, Mehl- und Milchspeisen und Gartengewächsen, selten in Fleischspeisen. Die Kleidung war schlechtes Leinenzeug und grobes Tuch. Nur die Frauensleute machten hier eine geringe Ausnahme, und auch mein Vater, der ein Gelehrter war, hatte eine andere Lebensart nötig.

Die Gastfreiheit wurde hier sehr weit getrieben. Sobald ein Jude durch den Ort reiste (und da hier eine starke Passage war, auch die Juden in dieser Gegend mit ihren eigenen Fuhrwerken von Ort zu Ort beständig herumstreifen, so geschah dies alle Augenblicke), mußte er im Wirtshause abtreten. Man kam ihm gleich vor dem Hause mit einem Glase Branntwein entgegen, reichte ihm mit der einen Hand den Schalom und mit der anderen das Glas Branntwein. Darauf mußte er sich die Hände waschen und zu Tische, der beständig gedeckt blieb, setzen.

Die Erhaltung einer zahlreichen Familie und eine solche Gastfreiheit würden dennoch auf die Verminderung der Glücksumstände meines Großvaters keinen beträchtlichen Einfluß gehabt haben, wenn er nur dabei in seinem Hause eine bessere Ökonomie eingeführt hätte. Dies aber war die Quelle seines Unglücks.

Mein Großvater war in Kleinigkeiten fast zu ökonomisch und vernachlässigte daher Sachen von größerer Wichtigkeit. Er sah es z.B. für Verschwendung an, in seinem Hause Wachs- oder Talglichter zu brennen; ihre Stelle mußten schmale Streifen von Kien vertreten, davon das eine Ende in die Ritzen der Wand gesteckt und das andere angezündet wurde. Nicht selten wurden dadurch Feuersbrünste veranlaßt und mancher Schaden verursacht, wogegen der Gebrauch der Kerzen gar nicht zu rechnen gewesen sein würde.

Die Stube, worin Bier, Branntwein, Met, Heringe, Salz und andere im Wirtshause zum täglichen Debit gehörigen Waren aufbehalten wurden, hatte keine Fenster, sondern bloße Öffnungen, wodurch sie Licht erhielt. Dies lockte daher nicht selten die im Wirtshause sich aufhaltenden Matrosen und Fuhrleute, ins Zimmer hineinzusteigen und ganz unentgeltlich sich in Branntwein und Met zu besaufen. Ja, was noch schlimmer war, oft nahmen diese Saufhelden aus Furcht, auf frischer Tat ertappt zu werden, beim mindesten Geräusch, das sie hörten, die Flucht, ohne sich mit Einsetzung des Zapfens aufzuhalten, sprangen aus den Löchern, wo sie hineingekommen waren, wieder heraus und ließen das Getränk laufen, solange es lief. Auf diese Art liefen zuweilen ganze Tonnen Branntwein und Met aus.

Die Scheunen hatten keine ordentlichen Schlösser, sondern wurden bloß mit hölzernen Riegeln verschlossen; es konnte also, besonders da diese Scheunen etwas weit von der Hauptwohnung lagen, ein jeder nach Belieben daraus nehmen, ja, wohl ganze Wagen mit Getreide wegfahren. Die Schafställe hatten überall Löcher, wo die Wölfe (da es nicht weit vom Busche war) sich hineinschleichen und nach Bequemlichkeit würgen konnten.

Die Kühe kamen sehr häufig mit leeren Eutern von der Weide. Nach dem dort herrschenden Aberglauben sagte man in solchen Fällen, die Milch sei ihnen durch Zauberei benommen worden; ein Übel,...

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