Daumendrücken - Der ganz normale Aberglaube im Alltag

Daumendrücken - Der ganz normale Aberglaube im Alltag

von: Karl-Heinz Göttert

Reclam Verlag, 2003

ISBN: 9783159503059

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 957 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Daumendrücken - Der ganz normale Aberglaube im Alltag



Der Amethyst, der nüchtern macht (S. 79-80)

Sie müssen den Menschen immer ein Rätsel gewesen sein. Hart, viel härter als Stein. Und doch durchsichtig, wenigstens leuchtend in allen Farben – die Edelsteine. Kein Wunder also, dass wir in allen Kulturen auf Bewunderung stoßen. Ob im alten Athen oder Jerusalem, in China oder bei den Inkas: Was so jenseits des Alltäglichen liegt, muss ungewöhnliche Kräfte besitzen. Und so sehen wir harmlose Philosophen und mächtige Politiker gleichermaßen dem Charme des edlen Glanzes erliegen. Platon schätzte den Smaragd am meisten. Im Phaidon versinnbildlicht er die Unsterblichkeit der Seele. Die Goten schwärmten für den Karfunkel, der gleichermaßen Rubine und Granate bezeichnet.

Er erinnerte sie an glimmendes Feuer. Karl der Große trug als Talisman einen tiefblauen Saphir, ein Abbild des Himmels. Die deutsche Reichskrone, um 1000 gefertigt, war mit einem Opal geziert, umgeben von Saphiren, Smaragden und Amethysten. Albertus Magnus, wirklicher Kenner der Materie, bewertete den Adamas, den ›unzerstörbaren‹ Diamanten, am höchsten, weil er am härtesten ist. Allerdings sind objektive Kriterien sonst wenig von Interesse. Überall spielt die Symbolkraft der Farben die wichtigste Rolle. Ganze Bücher bieten das Wissen gesammelt an. Bis auf Aristoteles wird die Tradition zurückgeführt, die sich besonders mit den magischen Kräften beschäftigt. Seit dem 12. Jahrhundert gilt das Steinbuch des Marbod von Rennes als Standardwerk. Vom griechischen Arzt Dioskurides aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammen die ersten Rezepte: etwa Brei aus Saphirstaub gegen Skorpionstiche. Aus Indien scheint diese Medizin importiert. Um 1000 wird sie von arabischen Ärzten verbreitet und findet in Europa in Hildegard von Bingen ihre stärkste Befürworterin. Lapislazuli oder Rubin als Herzmittel, der geflammte Sardonyx gegen Fieber – breit ist das Spektrum der Anwendungen, kaum eine Krankheit ohne zuständigen Stein.

Aber die Kräfte reichen noch weiter. Es gibt Edelsteine, die unsichtbar machen, indem sie mit ihren Strahlen das Auge ablenken. Man kennt es vielleicht von Gyges, der so die Gattin seines Königs (auf dessen unseligen Wunsch hin) nackt betrachtete und dafür schwer büßen musste. Andere Steine schützen vor allerlei Ungemach: vor Ertrinken, vor Verbrennen – sogar vor Einbrechern. Mit dem Magnet lässt sich die eheliche Treue testen, wenigstens die der Frau. Unter das Kopfkissen der Schlafenden gelegt, fällt die treue dem Mann um den Hals, die untreue aus dem Bett. Weniger dramatisch der Achat, der den Träger angenehm macht, so wie es bei Lessing der Opal tut. Freilich listigerweise nur bei dem, der ihn in dieser Zuversicht trägt.

Eine Einschränkung mindert auch die Kraft des Amethysts. Er bewahre vor Trunkenheit, heißt es, sogar bei der heiligen Hildegard und dem ganz der Wissenschaft hingegebenen Albert. Freilich galt der Schutz lediglich bei Rotwein, weil die Kraft auf die rote Farbe des Steins zurückgeführt wird. Und was, wenn unsere armen Vorfahren Bier tranken?

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