Tic-Störungen

Tic-Störungen

von: Manfred Döpfner, Veit Roessner, Katrin Woitecki, Aribert Rothenberger

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2009

ISBN: 9783840917288

Sprache: Deutsch

182 Seiten, Download: 6009 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Tic-Störungen



1 Stand der Forschung (S. 1-2)

1.1 Symptomatik

Tics sind plötzliche, unwillkürliche, rasche, sich wiederholende, nicht rhythmische motorische Bewegungen, die zwar umschriebene funktionelle Muskelgruppen betreffen aber keinem offensichtlichen Zweck dienen (motorische Tics) oder entsprechende vokale Produktionen (vokale Tics). Sie dauern meist kürzer als eine Sekunde an, wiederholen sich aber oft in kurzen Serien ohne dabei einen Rhythmus zu entwickeln. Tics können als isolierte und enthemmte Fragmente gelernter willkürlicher Motorik und/oder Vokalisationen betrachtet werden. Im Gegensatz zu willkürlichen Verhaltensmustern, denen sie vom Muster her teilweise auch ähneln können, sind sie nicht zweckgerichtet und werden subjektiv fast immer als sinnlos sowie oft als störend empfunden (Rothenberger, Banaschewski & Roessner, 2008).

Sowohl motorische als auch vokale Tics können in ihrer Anzahl, Lokalisation, Komplexität, Intensität, Häufigkeit und Art inter- und intraindividuell beträchtlich variieren. Tabelle 1 zeigt Beispiele von einfachen und komplexen motorischen und vokalen Tics, sowie von besonderen Phänomenen, die allerdings selten auftreten (vgl. Rothenberger et al., 2008, Döpfner & Rothenberger, 2007a, b, 2008):

– Zu den einfachen motorischen Tics zählen Augenblinzeln, Kopfwerfen, Schulterzucken und Grimassieren. Komplexe motorische Tics sind oft langsamer und wirken deshalb in ihrem Erscheinungsbild eher einem Ziel zugeordnet, wie zum Beispiel im Kreis herumwirbeln, Hüpfen, in die Hände klatschen, Nacken angespannt verziehen, Arme beugen, Bein strecken, Trippelbewegungen machen oder die Faust ballen. Motorische Tics zeigen sich fast durchweg zuerst und am häufigsten im Gesicht-, Kopf-, Nacken- und Schulterbereich und später (und seltener) im distalen Körperbereich. Die zwangsartige Wiederholung von Gesten (bzw. Tics) anderer nennt man Echopraxie, die von obszönen Gesten Kopropraxie.

– Bei den vokalen Tics variiert der Komplexitätsgrad von Lautausstoßungen, Räuspern, Bellen, Grunzen, Schnüffeln und Zischen bis hin zur Wiederholung bestimmter Wörter (Echolalie) und dem Gebrauch sozial unannehmbarer, oft obszöner Wörter (Koprolalie) sowie der Wiederholung eigener Laute oder Wörter (Palilalie).

Normalerweise werden Tics als nicht unterdrückbar erfahren, sie können jedoch meist zumindest für kurze Zeit, mitunter bis zu mehrere Stunden lang unterdrückt werden. Tics können auch zeitlich verschoben und in ihrer Ausprägung beeinflusst werden. Kindern ist es häufig möglich, zu warten, bis sie zu Hause sind, bevor sie mit dem Ausstoßen eines Schreies beginnen. Sie sind mitunter in der Lage, rechtzeitig für kurze Zeiträume den Klassenverband zu verlassen, um ihre Tics gehen zu lassen und dann beruhigt wieder zurückzukehren. Besonders unangenehme Tics können verschleiert, in Willkürhandlungen eingebaut, verlangsamt und geordnet werden. Typischerweise ist eine erhebliche Spontanfluktuation in Art, Anzahl, Komplexität, Intensität, Häufigkeit und Lokalisation der Tics über einen Zeitraum von Wochen und Monaten zu beobachten. Tics lassen meist unter nicht angstbesetzter Ablenkung und Konzentration nach, sie interferieren nur bei sehr schwerer Ausprägung mit intendierten Bewegungen, sie kommen seltener, oft in der Stärke abgemildert und weniger komplex in allen Schlafstadien vor (Rothenberger et al., 2001) und nehmen unter emotionaler Erregung (freudig oder ärgerlich) zu. Vielfach entwickeln Betroffene im Laufe der Zeit ihr persönliches Tic-Muster.

Meist treten zu Beginn der Erkrankung einfache motorische Tics im Gesichtsbereich auf. Diese Lokalisation bleibt verglichen mit anderen Körperregionen auch bei älteren Patienten am häufigsten betroffen. Tics können spontan remittieren. Nach ticfreien Perioden von Wochen bis Monaten treten sie im weiteren Verlauf chronischer Tic-Störungen allerdings immer wieder auf und breiten sich typischerweise vom Kopf- Schulter-Bereich zu den Extremitäten und dem Körperstamm aus. Vokale Tics beginnen zumeist 2 bis 4 Jahre später als motorische Tics, etwa zwischen dem 8. und 15. Lebensjahr und stellen einen qualitativen Sprung dar (Leckman & Cohen, 1999).

Bei Erkrankungsbeginn (meist im frühen Kindesalter) besitzen die wenigsten Betroffenen zu diesem Zeitpunkt eine Möglichkeit der Kontrolle ihrer Tics. Zudem bemerken sie deren Auftreten häufig nicht. Doch im Verlauf von Monaten bis Jahren lernen viele Betroffene mehr und mehr, das Auftreten der Tics bewusst wahrzunehmen. Meist ab dem Alter von etwa 10 bis 11 Jahren berichten sie zusätzlich von sensomotorischen Phänomenen, welche den Tics unmittelbar vorausgehen.

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