Troia - Mythos und Wirklichkeit (Reclams Universal-Bibliothek)

Troia - Mythos und Wirklichkeit (Reclams Universal-Bibliothek)

von: Michael Siebler

Reclam Verlag, 2001

ISBN: 9783159503073

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 1237 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Troia - Mythos und Wirklichkeit (Reclams Universal-Bibliothek)



Die historischen und kulturellen Voraussetzungen für die Entstehung der Ilias (S. 123-124)

Die Epoche, in der Homer seine Ilias dichtete, war eine Zeit des allgemeinen Aufbruchs. Hinter den Griechen lagen die – teilweise einer Agonie gleichenden – »dunklen Jahrhunderte «, vor ihnen lag ein großer kultureller Aufstieg, dessen schönste Blüte sicherlich das Zeitalter der Klassik im perikleischen Athen war. Mit der großen Kolonisationswelle im achten Jahrhundert vor Christus hatten sich die Tore für die Griechen wieder weit geöffnet, fanden zahlreiche Neuerungen Einlass, die bislang nur durch einen kleinen Spalt hatten einsickern können. Dieses Neue in wohl allen Aspekten des Lebens war die Grundlage für das, was wir als die griechische Kultur der historischen Zeit bezeichnen.

Einen entscheidenden Anteil an dieser »Renaissance« hatten sicherlich die überlebenden Nachkommen der alten Adelsfamilien. Sie waren schließlich die Garanten für die Pflege der eigenen »Geschichte«, die für die Identität eines Volkes von so hoher Bedeutung ist. In der aufgehenden Blüte dieser griechischen »Wiedergeburt « blieben Traditionen der mykenischen Jahrhunderte lebendig, die sich zusammen mit den bedeutsamen Einflüssen aus dem Orient auf Kunst und Religion zu einer neuen Einheit formten. Durch persönliche Kontakte der politischen Führer, die Kolonisationsunternehmen in Ost und West sowie durch die Handelsbeziehungen zu den Völkern des östlichen Mittelmeerraumes und der Levante hielten sie Einzug in die Welt Homers. Der Dichter selbst wird in seiner Heimat im kleinasiatischen Ionien unmittelbar diesen schneller schlagenden Puls der Zeit deutlich gespürt haben.

In dieser von selbstbewusstem Aufbruch gekennzeichneten Welt entstand auch ein Wille zur Erinnerung an die eigene Vergangenheit, der Wunsch der Gesellschaft, durch die Niederschrift der eigenen mythischen Geschichte diese als festen Bestandteil der eigenen Kultur zu manifestieren. Vereinfacht formuliert: Man war wieder jemand, war unter der Führung des heimischen Adels aus den engen Grenzen des griechischen Mutterlandes in die Welt hinausgezogen, um neue Städte zu gründen. Weltkenntnis und -gewandtheit, Wohlstand und verfeinerter Lebensstil zogen wieder in die Hallen der Adelshäuser ein, wo man bei opulenten Gelagen – den Symposia – zusammensaß. Alte und neue Götter erhielten prächtige Heiligtümer, die bald zu »Weltruhm« gelangten. Erinnert sei zum Beispiel an das Heraion von Samos oder das Zeusheiligtum von Olympia; die hier ans Tageslicht gekommenen Funde belegen den lebhaften Aufschwung und die neuen oder wieder geschlossenen Kontakte mit anderen Völkern in jenen Jahrzehnten.

Das neue Selbstbewusstsein verlangte wie eh und je seine Begründung. Joachim Latacz hat dieses Bedürfnis treffend in Worte gefasst: »Das Mittel, dieses Bedürfnis zu befriedigen, lag bereit. Es war der Heldensang. Er hatte als Preis der edlen Herkunft und der uralten Führungstradition der griechischen Oberschicht in den Jahrhunderten seit der Katastrophe mehr überlebt als geblüht. Jetzt war zwischen seinen glanzvollen Inhalten und der Realität wieder ein – wenn auch neuartiges – Verhältnis der Angemessenheit eingetreten. Die Aristokratie des 8. Jhs. mußte den Spiegel, wenn sie in ihn hineinsah, nicht mehr beschämt als allzu groß dimensioniert empfinden.« Und in diesem geistigen Umfeld der Adelswelt mag Homer zu seiner Dichtung ermutigt oder gebeten worden sein.

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