Mind & Body - Wie unser Gehirn die Gesundheit beeinflusst
von: Johann Caspar Rüegg
Schattauer GmbH, Verlag für Medizin und Naturwissenschaften, 2010
ISBN: 9783794568321
Sprache: Deutsch
169 Seiten, Download: 1 KB
Format: EPUB, PDF, auch als Online-Lesen
8 Resilienz (S. 108-109)
Resistent gegen Stress
Lebensstress! Stellen Sie sich einmal vor, Sie verlieren plötzlich Ihren Job oder werden mit der Diagnose einer bösartigen Krankheit konfrontiert. Oder: Sie werden vom Tod eines Ihnen sehr nahe stehenden Menschen überrascht. Das sind Schicksalsschläge. Was macht Sie dann – möglicherweise – immun dagegen, gibt Ihnen die innere Kraft gegen die Wechselfälle des Lebens? Was Menschen resistent gegen Stress macht, das ist ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal: die so genannte Resilienz. Der Begriff meint die Fähigkeit, sich nicht unterkriegen zu lassen und zu wissen, dass einen nichts so leicht aus der Bahn werfen könne, sagt Thomas Saum-Aldehoff in seinem Buch „Big five. Sich selbst und andere erkennen“ (26).
Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal haben offenbar – im Sinne von Aaron Antonovsky (1923–1994) – „heilsame salutogenetische Ressourcen“ aufgrund eines besonderen „Kohärenzgefühls“. Darunter versteht Antonovsky das Vertrauen darin (bzw. den Glauben daran), dass die eigenen „Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Herausforderungen des Schicksals zu trotzen und den Anforderungen gerecht zu werden“ (1). Und: Dass diese Anforderungen „Sinn machen“ – im Sinne „von Herausforderungen, die Investition und persönliches Engagement verdienen“. Antonovsky stützt sich auf Untersuchungen an Frauen, die zwischen 1914 und 1923 in Mitteleuropa geboren worden waren und vor bzw. während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslagern schwer traumatisiert wurden. Von den Konzentrationslager- Überlebenden litten zum Zeitpunkt derStudie (1970) zwar 71 % unter psychischen Störungen, aber erstaunlicherweise befanden sich 29 % der Überlebenden in einem guten seelischen Zustand, wie Antonovsky in seinem Buch „Salutogenese“ betonte (1, 15).
Nicht alle Menschen haben jedoch diese glückliche, optimistische Veranlagung, und nicht wenige werden aufgrund der schweren Belastung sogar depressiv. Mit entscheidend ist offenbar ein Gen, das unsere Fähigkeit beeinflusst, Stress zu bewältigen und mit Schicksalsschlägen und Traumatisierungen fertigzuwerden. Dieses Gen enthält die „Blaupause“ eines Programms, welches den Organismus anleitet, bestimmte Proteine herzustellen, so genannte Serotonin-Transporter. Es handelt sich dabei um Moleküle, die im Gehirn – in den Synapsen, den Verbindungen zwischen Nervenzellen – die verfügbare Menge des Botenstoffs Serotonin und damit die „Stimmung“ eines Menschen beeinflussen.
Das Gen liegt bei der Mehrzahl der Menschen in seiner natürlichen „langen“ Variante vor; bei nicht wenigen jedoch in einer um 44 „Buchstaben“ (Basenpaaren) verkürzten Version. In diesem Fall kann das im Gen gespeicherte genetische Programm nicht schnell genug gelesen werden, und folglich werden im Gehirn zu wenige Serotonin-Transporter-Moleküle hergestellt. Und wie sich herausstellte, sind die Träger der verkürzten Genvariante deshalb generell etwas ängstlicher und stressempfindlicher als Menschen, welche von ihren Vorfahren die lange Version des Gens erbten. Das entdeckten der Psychiater Klaus- Peter Lesch von der Universität Würzburg und seine Kollegen vom National Institute of Mental Health (18).