Energieausweis - Das große Kompendium - Grundlagen - Erstellung - Haftung
von: Andreas Weglage, Thomas Gramlich, Bernd Pauls, Stefan Pauls, R Schmelich, Tobias Jasef, Andreas Wegl
Vieweg+Teubner (GWV), 2010
ISBN: 9783834893901
Sprache: Deutsch
569 Seiten, Download: 12850 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
8 Rechtliche Grundlagen (S. 207-208)
8.1 Richtlinie 2002/91/EG
Die Richtlinie 2002/91/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden wird auch kurz „EU-Gebäuderichtlinie” genannt. Sie ist der rechtliche Ausgangspunkt für die Einführung des Energieausweises in Deutschland.
8.1.1 Das Verhältnis des europäischen Rechts zum nationalen Recht
Das Verhältnis des europäischen Rechts, auch Gemeinschaftsrecht genannt, zum nationalen Recht wird seit jeher kontrovers diskutiert. Das Gemeinschaftsrecht enthält keine ausdrückliche Kollisionsnorm, die diese Frage regelt. Auch die meisten Verfassungen der Mitgliedsstaaten enthalten keinerlei entsprechende Regelungen. Die Europäische Union kann aber nur funktionieren, wenn eine einheitliche Geltung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den einzelnen Mitgliedsstaaten durch einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem jeweiligen nationalen Recht gewährleistet ist.
Die Verzahnung des Gemeinschaftsrechts mit dem nationalen Recht
Das Gemeinschaftsrecht und die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten stehen sich grundsätzlich als jeweils eigenständige und getrennte Rechtsordnungen gegenüber. Da diese grundsätzlich unabhängigen Rechtsordnungen sich aber gegenseitig durchdringen und voneinander abhängig sind, spricht man heute von einer „Verzahnung“ des Gemeinschaftsrechts mit dem einzelnen nationalen Recht der jeweiligen Mitgliedsstaaten. Diese Verzahnung ergibt sich insbesondere daraus, dass das Gemeinschaftsrecht einerseits des nationalen Vollzuges bedarf und andererseits die Anwendung des nationalen Rechts teilweise begrenzt.
Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht
Ungeachtet der Verzahnung der verschiedenen Rechtsordnungen besteht Einigkeit darüber, dass das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem nationalen Recht hat. Hierbei ist streitig, ob es sich um einen Geltungs- oder Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts handelt.
Geltungs- oder Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts
Ein Geltungsvorrang würde dazu führen, dass bei einem Widerspruch zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht das Gemeinschaftsrecht angewendet würde und das nationale Recht nichtig wäre. Ein nichtiges Gesetz wird so behandelt, als gäbe es dieses gar nicht. Bei einem Anwendungsvorrang wäre in einem solchen Fall das nationale Recht weiterhin wirksam und dürfte nur in den Kollisionsfällen nicht angewendet werden. Das nationale Recht würde dann lediglich in diesen Fällen durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt werden. Der Lehre vom Anwendungsvorrang ist der Vorzug zu geben, da die „verdrängten“ nationalen Gesetze gegenüber Drittstaaten, welche nicht Mitglied der Europäischen Union oder der Europäischen Gemeinschaften sind, weiterhin Geltung haben würden.