Mit dir an meiner Seite

Mit dir an meiner Seite

von: Nicholas Sparks

Heyne, 2010

ISBN: 9783641044930

Sprache: Deutsch

560 Seiten, Download: 2109 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Mit dir an meiner Seite



KAPITEL 1
Ronnie
Sechs Monate früher
 
Ronnie saß schlecht gelaunt auf dem Beifahrersitz und fragte sich, warum ihre Eltern sie so hassten.
Wieso sollten sie ihre Tochter sonst zwingen, ihren Vater in diesem gottverlassenen Kaff in den Südstaaten zu besuchen? Tausendmal lieber wäre Ronnie zu Hause in Manhattan geblieben und hätte sich mit ihren Freundinnen amüsiert.
Eigentlich war alles sogar noch viel schlimmer. Sie musste ihren Vater nicht einfach besuchen. Ein Besuch würde bedeuten, dass sie nur ein Wochenende blieb. Oder zur Not auch eine ganze Woche. Das könnte sie ja noch verkraften. Aber sie war verpflichtet, bis Ende August bei ihm zu wohnen – also den ganzen Sommer. Wie sollte sie das überleben? Das war, wie wenn man in die Verbannung geschickt wurde, und während der neunstündigen Fahrt hierher hatte sie sich tatsächlich gefühlt wie eine Gefangene, die in eine Strafanstalt auf dem Land überführt wird. Sie konnte es nicht fassen, dass Mom ihr das tatsächlich zumutete.
Weil sie so in Selbstmitleid badete, dauerte es eine ganze Weile, bis sie Mozarts Klaviersonate Nummer 16 in C-Dur erkannte. Diese Sonate gehörte zu den Stücken, die sie vor vier Jahren bei ihrem Auftritt in der Carnegie Hall gespielt hatte. Offenbar hatte Mom die Musik aufgelegt, als Ronnie kurz eingedöst war. Nein, das ging nicht. Ronnie stellte die CD ab.
»Warum tust du das?«, fragte ihre Mutter irritiert. »Ich höre es gern, wie du spielst.«
»Ich nicht.«
»Und wenn ich es ganz leise drehe?«
»Bitte nicht, Mom. Okay? Ich bin nicht in der Stimmung.«
Verärgert starrte sie aus dem Fenster. Sie wusste ganz genau, dass der Mund ihrer Mutter jetzt aussah wie ein schmaler Strich. In letzter Zeit presste Mom oft die Lippen aufeinander. Als wären sie mit einem Magnet versehen.
»Ich glaube, ich habe einen Pelikan gesehen, als wir vorhin über die Brücke nach Wrightsville Beach gefahren sind«, bemerkte ihre Mutter beiläufig, aber sie klang sehr angespannt.
»Ach, wie schön! Vielleicht kannst du ja den Crocodile Hunter anrufen.« Jeder kannte die Fernsehserie des australischen Dokumentarfilmers und Naturschützers Steve Irwin.
»Er ist doch tot!«, rief Jonah vom Rücksitz. Seine Stimme vermischte sich mit dem Geklingel seines Gameboy. Ronnies zehnjähriger Bruder war eine schreckliche Nervensäge und konnte ohne dieses Ding nicht mehr leben. »Weißt du das nicht? Es war supertraurig!«
»Klar weiß ich das«, entgegnete Ronnie.
»Klang aber nicht so.«
»Stimmt trotzdem.«
»Dann hättest du nicht sagen dürfen, dass Mom ihn anrufen soll.«
Ronnie beschloss, diesmal nicht zu antworten. Ihr Bruder musste immer das letzte Wort haben. Das machte sie wahnsinnig.
»Hast du ein bisschen geschlafen?«, fragte ihre Mutter.
»Bis du durch das Schlagloch gefahren bist. Das war echt nett von dir, vielen Dank. Mein Kopf ist gegen die Windschutzscheibe gedonnert.«
Mom nahm den Blick nicht von der Straße. »Wie schön, dass du nach deinem kleinen Mittagsschlaf besserer Laune bist.«
Trotzig knallte Ronnie mit ihrem Kaugummi. Ihre Mutter hasste das, und genau deshalb tat Ronnie es immer wieder, seit sie die Interstate 95 entlangfuhren. Diese Straße war, nach ihrer unmaßgeblichen Meinung, so ziemlich die ödeste Strecke, die man sich denken konnte. Es sei denn, man liebte fettiges Fastfood, eklige Toiletten in blöden Raststätten und Millionen von Nadelbäumen. Jeden normalen Menschen schläferte diese Straße mit ihrer hässlichen Monotonie sofort ein.
Genau das hatte Ronnie in Delaware, in Maryland und in Virginia ihrer Mutter unter die Nase gerieben, aber Mom hatte die Kritik einfach ignoriert und stattdessen versucht, für gute Stimmung zu sorgen, weil sie sich ja nach dieser Fahrt eine ganze Weile lang nicht sehen würden. Sonst gehörte sie eigentlich nicht zu den Leuten, die Gespräche im Auto liebten. Sie fuhr nicht besonders gern, was nicht weiter überraschte, weil man in New York sowieso entweder die U-Bahn oder ein Taxi nahm, wenn man irgendwohin musste. Aber zu Hause redete Mom sehr viel und hatte auch keine Hemmungen, richtig loszuschimpfen. In den letzten beiden Monaten war der Hausverwalter zweimal nach oben gekommen, um sie und Ronnie zu bitten, sich etwas zu mäßigen. Mom dachte wahrscheinlich, je lauter sie zeterte, desto eher würde Ronnie auf sie hören – gleichgültig, ob es um ihre Schulnoten ging oder um ihre Freundinnen, um ihre Weigerung, sich an die vereinbarten Zeiten zu halten, oder um den Zwischenfall. Ihr Lieblingsthema war natürlich der berühmte Zwischenfall.
Okay, Mom war nicht die schlechteste aller Mütter. Wirklich nicht. Und wenn Ronnie großzügiger Laune war, dann gab sie sogar zu, dass ihre Mutter eigentlich ganz in Ordnung war – für eine Mutter. Sie war nur in dieser merkwürdigen Zeitschleife hängen geblieben, in der die Kinder niemals erwachsen wurden. Und Ronnie wünschte sich zum hundertsten Mal, sie wäre im Mai auf die Welt gekommen und nicht im August. Im August wurde sie nämlich achtzehn, und dann konnte Mom sie zu nichts mehr zwingen. Juristisch gesehen war sie dann alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, und die Fahrt hierher stand, ehrlich gesagt, nicht auf ihrer Liste von Dingen, die sie freiwillig tun würde.
Aber unter den gegebenen Umständen hatte sie keine andere Wahl. Weil sie noch siebzehn war. Weil der Kalender ihr einen Streich spielte. Weil Mom drei Monate zu spät schwanger geworden war. Was ging hier ab? Wie sehr Ronnie auch wegen der Sommerpläne gebettelt und gejammert, gemeckert und gestöhnt hatte – alles vergebens. Ronnie und Jonah mussten den Sommer bei ihrem Vater verbringen, daran war nicht zu rütteln. Keine Widerrede, wie ihre Mutter so gern sagte. Ronnie hasste diesen Ausdruck.
Gleich hinter der Brücke hatten die unzähligen Touristen das allgemeine Tempo auf ein müdes Schleichen reduziert. Zwischen den Häusern sah Ronnie immer wieder den Atlantik schimmern. Na, super. Als würde sie das interessieren.
»Erklär’s mir bitte noch mal – warum müssen wir den Sommer über hierbleiben?«, maulte Ronnie.
»Das haben wir doch schon oft genug besprochen«, erwiderte ihre Mutter. »Ihr sollt eine Weile bei eurem Vater sein. Er vermisst euch.«
»Aber wieso die ganzen Ferien? Würden vierzehn Tage nicht reichen?«
»Nein, zwei Wochen bringen nichts. Du hast ihn drei Jahre lang nicht gesehen.«
»Aber das ist nicht meine Schuld. Er ist doch derjenige, der weggegangen ist.«
»Ja, aber du willst am Telefon nicht mit ihm reden. Und wenn er nach New York kommt, um dich und Jonah zu besuchen, dann ignorierst du ihn immer nur und ziehst mit deinen Freundinnen los.«
Ronnie knallte wieder mit ihrem Kaugummi. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ihre Mutter zusammenzuckte.
»Ich will ihn aber auch jetzt nicht sehen. Und mit ihm reden will ich erst recht nicht«, verkündete Ronnie.
»Du musst versuchen, das Beste daraus zu machen, okay? Dein Vater ist ein netter Mensch, und er liebt euch beide sehr.«
»Ist er deswegen abgehauen?«
Statt zu antworten, schaute ihre Mutter in den Rückspiegel.
»Du freust dich auf die Ferien, stimmt’s, Jonah?«
»Klar. Das wird bestimmt cool hier.«
»Nur gut, dass du so denkst. Vielleicht kannst du deiner Schwester das noch beibringen.«
Jonah schnaubte verächtlich. »Ja, klar.«
Ronnie meldete sich wieder zu Wort. »Ich sehe einfach nicht ein, warum ich nicht den ganzen Sommer mit meinen Freundinnen rumhängen kann.« Sie war noch nicht bereit aufzugeben. Ihr war klar, dass ihre Chancen gleich null waren, aber irgendwie hoffte sie doch noch, sie könnte ihre Mutter überreden, einfach umzudrehen und zurückzufahren.
»Das heißt doch nur, du möchtest jeden Abend in die Disco oder in einen Club gehen, stimmt’s? Ich bin nicht naiv, Ronnie. Ich weiß, was da los ist.«
»Ich mache nichts Verbotenes, Mom!«
»Und was ist mit deinen Schulnoten? Und mit dem Heimkommen abends? Und -«
»Können wir das Thema wechseln?«, unterbrach Ronnie sie. »Ich möchte lieber darüber reden, warum es so unbedingt nötig ist, dass ich meinen Vater besuche.«
Darauf ging ihre Mutter nicht ein, und im Grunde wusste Ronnie ganz genau, warum. Sie hatte die Antwort auf diese Frage ja schon tausendmal gehört, konnte aber die Entscheidung einfach nicht akzeptieren.
Endlich begann der Verkehr wieder zu fließen – nach ein paar Hundert Metern war allerdings schon wieder Schluss. Mom kurbelte ihr Fenster herunter und versuchte, die Ursache zu ergründen.
»Keine Ahnung, was los ist«, murmelte sie. »Die Straße ist ganz verstopft.«
»Alle wollen an den Strand«, sagte Jonah belehrend. »Da gibt es doch immer einen Stau.«
»Aber sonntagnachmittags um drei dürfte nicht mehr so viel Betrieb sein.«
Ronnie schlug die Beine unter. Sie hasste die ganze Situation. Sie hasste das Leben.
»Hey, Mom!«, rief Jonah. »Weiß Dad überhaupt, dass Ronnie verhaftet worden ist?«
»Ja, klar weiß er das«, antwortete sie.
»Und – will er irgendwas deswegen machen?«
Diesmal antwortete Ronnie: »Dad macht überhaupt nichts. Ihn interessiert doch nur das Klavier.«
 
Ronnie hasste das Klavier und hatte sich geschworen, nie wieder zu spielen....

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