Raumkonzepte - Disziplinäre Zugänge. E-BOOK
von: Ingrid Baumgärtner, Paul-Gerhard Klumbies, Franziska Sick
Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, 2009
ISBN: 9783862340705
Sprache: Deutsch
380 Seiten, Download: 7996 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
"3. Neue Räume und Wissenstransfer (S. 255-258)
Stefan Schröder
Die Klimazonenkarte des Petrus Alfonsi. Rezeption und Transformation islamisch-arabischen Wissens im mittelalterlichen Europa
Mittelalterliche Karten sind derzeit in der deutschsprachigen und internationalen Medivistik eine intensiv untersuchte Quellengattung.1 Dies zeigt sich nicht nur an der Vielzahl neuerer Veröffentlichungen, sondern auch am vernderten Stellenwert, der den Karten in Einführungswerken zur mittelalterlichen Geschichte beigemessen wird. Während Hans-Werner Goetz sie lediglich unter den Realien aufführt, Martina Hartmann sie überhaupt nicht nennt und Peter Hilsch sie nur kurz thematisiert, rücken sie in Harald Müllers jüngst publiziertem Studienbuch an prominente Stelle. Gleich im ersten Kapitel, noch vor den Weltchroniken, führt Müller am Beispiel der auf dem TO-Prinzip basierenden großformatigen EbstorferWeltkarte in das mittelalterlicheWeltbild ein.
Diese Verschiebungen bilden in gewisser Weise den sich verndernden Forschungsblick ab. Karten werden nicht mehr nur als Ausdruck des zeitgenössischen Wissens über eine physische Wirklichkeit gesehen, sondern als ein Medium, dem eine wichtige Rolle für die Implementierung kollektiver Weltbilder zukam. ber das Kartenprogramm, die Auswahl an visuellen und sprachlichen Zeichen sowie über die gestalterische Umsetzung wurden geographische und kulturelle Räume hergestellt sowie Wert- und Normvorstellungen festgeschrieben.
Vor allem die TO- oder §kumenekarten weisen solche didaktischen Funktionen auf. Zum einen geben sie Vorstellungen über die Gestalt der Welt in teils sehr schematischer Form wieder, denn sie bilden nicht die gesamte Erdkugel, sondern nur Asien, Afrika und Europa ab. Wie eine typische, in die Abschrift eines antiken Sallusttextes eingebettete TO-Karte aus dem 13. Jahrhundert zeigt, stellten das in Form des Buchstabens Teingezeichnete Mittelmeer mit Don und Nil die Grenzverlufe zwischen den drei bekannten Kontinenten dar, die vom O des Ozeans umgeben sind.
Diese natürlichen Trennlinien, einzelne Toponyme und gelegentlich ergnzte graphische Zeichen erlaubten es, schnell zu memorierende Informationen zu visualisieren.5 Zum anderen enthalten die zumeist geosteten TO-Karten eine rumliche wie eine zeitliche Dimension. ber die Paradiesdarstellungen am oberen Kartenrand und die Endzeitvölker Gog und Magog bis hin zur Andeutung des himmlischen Jerusalems führten sie dem Betrachter die Einheit von Mikro- und Makrokosmos, die Allmacht Gottes und Vielfalt seiner Schöpfung vor Augen. Am weitesten ausgeformt ist dies in den großformatigen Weltkarten von Hereford oder Ebstorf aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert,6 die in zahlreichen graphischen Zeichen und Textlegenden kosmologisches, geographisches und biblisches Wissen miteinander vereinen."