Interventionen bei Lernstörungen

Interventionen bei Lernstörungen

von: Gerhard W. Lauth, Matthias Grünke, Joachim C. Brunstein

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840916557

Sprache: Deutsch

476 Seiten, Download: 13420 KB

 
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Interventionen bei Lernstörungen



16. Förderung von Metakognition und strategischem Lernen (S. 176-177)

Titus Guldimann und Gerhard W. Lauth

Fallbeispiel

Ralph (13 Jahre) besucht die 1. Realklasse (7. Schuljahr, leistungsschwächere Klasse der Sekundarstufe I) in einer Kleinstadt. In die Klasse gehen 14 Schüler. Der Junge gilt als offen und sehr angenehm. Seine schulischen Leistungen sind jedoch so schwach, dass mit den Eltern bereits über eine Einweisung in eine Kleinklasse für lernschwache Schüler diskutiert wurde. Er kann seine Arbeit selten einmal selbstständig ausführen und seine Leistungen weisen viele Fehler auf. Besondere Probleme zeigt er in den Fächern Deutsch und Mathematik. Bei der diagnostischen Abklärung erweisen sich die kognitiven Leistungsvoraussetzungen des Jungen als durchschnittlich und unauffällig, sein strategisches Lernverhalten ist allerdings deutlich eingeschränkt: Beispielsweise verfügt er nicht über differenzierte Strategien, um einen Text zusammenzufassen. Vielmehr liest er den Text nur einmal durch und fasst ihn gleich zusammen. Es gelingt ihm nicht, den Text mittels informationsreduzierender Strategien (z.B. Auslesestrategien: „Untersteiche die Textstellen, die zwingend in die Zusammenfassung gehören!"; Weglass-Strategien: „Streiche jene Textstellen durch, welche unwichtig sind!"; Verallgemeinerungs-Strategien: „Fasse mehrere Textaussagen zu einer zusammen!") zu verdichten. Er kennt solche Strategien auch nicht. Ähnliche Schwierigkeiten zeigen sich auch bei anderen strategischen Aufgaben. Ralph sitzt oft passiv da, beginnt dann konzeptlos zu arbeiten und unterbricht seinen Versuch bereits nach wenigen Augenblicken. Er steuert, plant und überwacht seine Lernaktivitäten nur unzureichend und kontrolliert das Lernergebnis nur selten. Die Intervention soll dem Jungen metakognitivesWissen (z.B. über Lernstrategien und deren Anwendungsbedingungen) und metakognitive Kontrolle (z. B. geplant vorgehen, Selbstinstruktionen einsetzen, strategisches Wissen abrufen) vermitteln. Ferner lernt er, auf seine metakognitiven Empfindungen zu achten (z.B.: „Wenn ich eine Textstelle nicht verstehe, dann mache ich nicht einfach weiter, sondern überlege, was ich zu dem Thema schon weiß und gelesen habe!"). Um das zu erreichen, bespricht der Klassenlehrer mit Ralph, welche Strategien er bei einer konkreten Aufgabe einsetzen will. Er fragt Ralph beispielsweise, wie er beim Zusammenfassen eines Sachtextes vorgehen will. Wichtige Lernerfahrungen hält Ralph in einem Lerntagebuch fest. Seine Aufzeichnungen bespricht er mit dem Therapeuten, dem Lehrer und einem Lernpartner, der Ralph zugesellt wird. Nach anfänglichen Schwierigkeiten denkt Ralph immer häufiger über seine Lernstrategien nach und verbessert sein Lernen Zug um Zug. Seine Leistungen verbessern sich allmählich.

16.1 Kurzbeschreibung der Methode und ihres theoretischen HintergrundsSeit Beginn der 70er Jahre beschäftigt sich die Lernforschung mit dem metakognitiven Wissen (Wissen über das eigene Denken und Lernen). Wie entwickelt es sich? Welche Rolle spielt es beim Lernen? Insbesondere wird dabei untersucht, ob und wie sich „gute" und „schlechte" Lerner voneinander unterscheiden. Die entsprechenden Forschungsergebnisse zeigen (vgl. Brown, 1978; Weinert & Kluwe, 1984), dass gute Lerner nicht nur über ein wohl organisiertes Sachwissen verfügen, sondern auch in folgenden Bereichen besonders kompetent sind:

• Setzen eigener Ziele;
• Wissen über Lernstrategien und deren Anwendungsbedingungen;
• Planen, Steuern und Kontrollieren des Einsatzes von Lernstrategien;
• Verwenden verschiedener Lernmedien und Hilfsmittel;
• Reflexion eigener Stärken und Schwächen beim Lernen;
• Lernen von und mit anderen.

Diese Fertigkeiten werden im Unterricht viel zu selten angesprochen und gefördert. Vielmehr wird das Lernen einseitig durch die Vorgaben des Lehrers gesteuert. Er bestimmt, was, wann, wo und wie gelernt wird und bewertet die Ergebnisse der Schüler. Die Schüler werden daher nur selten zu metakognitiven Aktivitäten angeregt. Gute Schüler erwerben das notwendige metakognitive Wissen aber dennoch, weil sie auf implizite Hinweise achten, sich an Vorbildern orientieren und über ihr Lernen nachdenken. Leistungsschwachen und lerngestörten Schülern gelingt dies aber nicht aus eigener Kraft, sie benötigen dafür eine gezielte Förderung.

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