Kommunikationsentwicklung und Konfliktklärung

Kommunikationsentwicklung und Konfliktklärung

von: Reinhard Fuhr, Martina Gremmler-Fuhr

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840918537

Sprache: Deutsch

238 Seiten, Download: 2187 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Kommunikationsentwicklung und Konfliktklärung



Kapitel 4: Konfliktklärung (S. 139-140)

Konflikt als komplexes Phänomen

In unserer „pluralistisch" genannten Welt kann man sich nicht mehr auf ex cathedra festgelegte Begriffe stützen, die eventuell nur noch ein wenig ausgedeutet werden könnten. Es ist daher üblich und notwendig, die verwendeten Begriffe zu definieren, so auch „Konflikt". Aus integraler Perspektive geraten wir dabei jedoch in ein Dilemma: je nach der Stufe im Spektrum der Entwicklung, dem Modus der Kommunikation und der Perspektive wird unter „Konflikt" mitunter etwas sehr Anderes verstanden. Außerdem unterscheiden wir innerhalb jeder Stufe mehrere Dimensionen, auf die sich das Konfliktverständnis bezieht und können von moralischen, geistigen, sozialen, politischen etc. Konflikten sprechen. Ein politischer Konflikt etwa, bei dem es um Einfluss und Macht und die Verteilung von Ressourcen geht, muss wohl grundsätzlich anders verstanden werden als ein Konflikt, bei dem es um Wertüberzeugungen geht und der als moralisch charakterisiert wird, oder ein Konflikt, der sich auf ästhetische Geschmacksfragen bezieht.

Wenn wir einmal von einem einheitlichen integralen Stufenbereich und je drei Stufen des Präpersonalen und Personalen ausgehen (Abbildung 3 und Tabelle 1), dann haben wir es mit sieben verschiedenen Ebenen zu tun. Gehen wir weiterhin davon aus, dass mindestens fünf Dimensionen der Entwicklung zentrale Konfliktbereiche markieren könnten (wie geistige und moralische Entwicklung, die Entwicklung von Interessen und Machtansprüchen oder von Wertordnungen und Weltanschauungen), dann kommen wir schon auf fünfunddreißig verschiedene Konfliktbegriffe. Ein einheitlicher Konfliktbegriff ist demnach nur auf einer sehr abstrakten Ebene und im Wortsinn als „aufeinander stoßende Bewegungen oder Kräfte" zu definieren. Wir werden in diesem Kapitel also nicht den Versuch machen, den allgemeinsten Begriff von Konflikt durch weitere Definitionen zu bereichern, sondern gehen zunächst von subjektiven Konfliktverständnissen aus und entwerfen dann ein entwicklungsorientiertes Spektrum von Konflikt-Gestalten. Dazu greifen wir wieder auf die Holarchie der Logik aus dem dritten Kapitel zurück (Tabelle 2). Auf dieser Grundlange verdeutlichen wir anschließend, wie mit den speziellen Phänomenen in Konflikten im Meta-Dialog umgegangen werden kann. Dabei orientieren wir uns natürlich wieder an den vier Phasen des Meta-Dialogs: Vorklärung – Erkundung – Sinngebung – Perspektive (siehe auch Tabelle 5). Die generelle Intention solcher Meta-Dialoge über Konflikte ist, dass wir mit Unterschieden und dem Zusammenstoß von gegenläufigen Interessen, Gedanken oder Wertorientierungen. in professionellen Feldern ebenso wie im Alltag immer konstruktiver und kreativer umgehen lernen. Zu diesem Zweck werden wir einige Besonderheiten konflikthafter Kommunikation aufgreifen sowie Klärungsmöglichkeiten und Umgangsweisen mit Konflikten aufzeigen.

Unser Ehrgeiz besteht also keineswegs darin, der Fülle von Konzepten für Konfliktvermeidung, Konfliktlösung oder Konfliktmanagement noch ein weiteres Konzept hinzuzufügen. Vielmehr geht es uns um eine neugierig forschende Herangehensweisen an das Phänomen „Konflikt" im Meta-Dialog und um das Aufspüren von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei beschränken wir uns auf Konflikte im zwischenmenschlichen Kommunikationsgeschehen und klammern damit andere Arten von Konflikten wie gesellschaftliche und politische Konflikte aus. Nach der Nomenklatur von Friedrich Glasl (1990, 60 ff.) bewegen wir uns also auf der Mikro-Ebene von Konflikten (gegenüber einer Mesound einer Makro-Ebene). Da wir Konflikte vielperspektivisch betrachten, werden Meso- und Makro-Strukturen jedoch nicht ganz ausgeklammert; sie bilden ja oft den größeren Rahmen von Mikro-Konflikten; der Fokus liegt jedoch auf dem Kommunikationsgeschehen zwischen Individuen und in Gruppen.

Subjektive Konfliktverständnisse

Für das Phänomen „Konflikt" könnten wir, wie bereits angedeutet, aus der Literatur mehrere Dutzend abstrakte Definitionen heraussuchen. Aber mit „Konflikt" verbinden sich für die Menschen auch sehr unterschiedliche Erlebnisqualitäten und gedankliche Assoziationen. Dies hängt nicht nur von der momentanen Gefühlslage und Lebenssituation, sondern vor allem auch von biografischen Erfahrungen mit Konflikten sowie von den (Sub-)Kulturen ab, in denen wir aufgewachsen sind und in denen wir uns gegenwärtig bewegen. Wenn ich mich als Kind ständig durch die lautstarken und vielleicht sogar tätlichen Konflikte zwischen meinen Eltern bedroht gefühlt habe, werde ich einen ganz anderen Zugang zum Konfliktphänomen haben, als wenn in meiner Familie munter gestritten wurde, ohne dass der Zusammenhalt jemals bedroht war, oder wenn es oberflächlich sehr friedlich zuging und alle Konflikte unter einer Decke von Harmonie verborgen blieben. Ganz unterschiedliche Konfliktverständnisse herrschen auch in einzelnen Institutionen vor: In der einen gehört das offene Austragen von Konflikten zum guten Stil des Hauses, in einer anderen werden Konflikte geleugnet, verdrängt oder rasch „beseitigt". Solche Konflikterfahrungen und Gewohnheiten prägen unser Bild von und unsere Einstellungen zu Konflikten, zumal wir mehr oder weniger gut gelernt haben, mit Konflikten umzugehen oder Kompetenzen zur Regelung von Konflikten zu erwerben. Daher können sie uns auch in unterschiedlicher Weise ängstigen oder herausfordern.

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