Meditationen eines Einsiedlers - Über den Sinn von Meditation und Einsamkeit

Meditationen eines Einsiedlers - Über den Sinn von Meditation und Einsamkeit

von: Thomas Merton

Patmos Verlag, 2013

ISBN: 9783843601788

Sprache: Deutsch

144 Seiten, Download: 379 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Meditationen eines Einsiedlers - Über den Sinn von Meditation und Einsamkeit



Gedanken eines Einsiedlers


Blickpunkte des geistlichen Lebens


1.


Es gibt keinen gefährlicheren Leerlauf für das geistliche Leben, als sich an wirklichkeitsfremde Träumereien zu verlieren. Wenn geistliches Leben wahr, echt sein will, dann erhält und vertieft es seine Substanz aus den Wurzeln eines lebendigen Bezogenseins auf jene Realitäten, die von außen und »von oben« – aus dem übernatürlichen Bereich – in die menschliche Umgrenztheit hereintreten. Nährt sich unser Leben von der Speise der Unwirklichkeit, so zeigen sich bald die Anzeichen der Unterernährung; es verfällt und erlischt schließlich ganz. Es kann keine größere Tragik geben als die Verwechslung dieses unfruchtbaren Sterbens mit dem wahren, fruchtbringenden »Opfertod«, der uns das Tor zum Leben öffnet.

Der Tod, der uns mitten hinein in das Leben führt, bedeutet keine Flucht vor der Wirklichkeit. Er ist vielmehr die völlige Darbringung unseres Selbst, die ein ganzheitliches Hingeordnetsein auf die Wirklichkeit voraussetzt. Am Anfang dieser Ganzhingabe steht die Loslösung von der Weh des Scheins, in die der Mensch die geschaffenen Dinge hineinprojiziert, wenn er sie ausschließlich mit dem Licht einer reinen Ichbezogenheit ausstrahlt.

Ehe wir jedoch zu erkennen vermögen, dass die geschaffenen Dinge unwirklich sind, vor allem die, welche dem materiellen Bereich angehören, ist es wesentlich, uns ihrer Wirklichkeit eindeutig bewusst zu werden.

Die »Unwirklichkeit« der materiellen Dinge ist lediglich auf dem Hintergrund der umfassenden Wirklichkeit der geistlichen Dinge verständlich.

Unser Losschälen von den Geschöpfen beginnt in dem Augenblick, da wir sie freigeben und sie in ihrem Sosein nicht antasten. Nur so vermögen wir in ihre Wirklichkeit, ihr ureigenstes Wesen, ihr wahres Sein vorzustoßen, das sich uns lediglich dann offenbart, wenn unser Blick sich der geschaffenen Wesen nicht länger bemächtigt, sodass ein Schauen in der Perspektive möglich wird. Aber erst dann wird unser Sehen perspektivisch, wenn wir aufhören die Geschöpfe in der Umarmung unserer Ichbezogenheit zu halten. Lassen wir jedoch von ihnen, dann beginnen wir ihres wahren Wesens innezuwerden. Erst dann löst sich langsam die Binde von unseren Augen, sodass sich uns Gott in den geschaffenen Dingen offenbart. Solange es uns versagt bleibt, den Schöpfer in den Geschöpfen zu erblicken, können wir den Pfad des dunklen Schauens nicht betreten, an dessen Ziel wir ihrer in Ihm ansichtig werden.

In der Vorstellungswelt der Wüstenväter hatte Gott, als Er die Wüste schuf, diese mit einem kostbaren Wert beschenkt. Dieser Wert kann allein mit den Augen des Schöpfers betrachtet werden, da die Einöde für den Menschen den Inbegriff aller Wertlosigkeit darstellt. Die Wüste war ein Land, an dem sich menschliche Nutzbarmachung niemals vergreifen konnte. Hier wurde dem Menschen nichts geboten; hier war nichts, das ihn hätte fesseln können; hier war nichts »zu holen«! Vierzig Jahre hatte die Wanderung des auserwählten Volkes durch die Wüste gedauert; einzig Gott allein war diesem Volk zur sorgenden Mutter geworden. Innerhalb weniger Monate hätten die Israeliten das Gelobte Land erreichen können, wenn sie auf dem direkten Weg dorthin gegangen wären. Doch Gott wollte es anders: Er wollte, dass sie Ihn in dieser Einöde lieben lernten und dass sie auf diese Wanderung durch die Wüste als auf eine erinnerungssüße Zeit der Einsamkeit, der Vereinigung mit Ihm – einzig und allein mit Ihm – zurückblicken sollten.

Die Einöde wurde geschaffen, um schlechthin sie selbst zu sein und nicht, um von Menschenhand in etwas anderes umgebildet zu werden. Mit Bergen und Meeren verhält es sich nicht anders. Deshalb bietet allein die Wüste die einzig denkbare Wohnstatt für den Menschen, der danach trachtet, nichts anderes als er selbst zu sein, was, anders ausgedrückt, heißen soll: ein Geschöpf der Einsamkeit also, der Armut, ja der völligenVerwiesenheit auf niemanden als auf Gott, mithin ein Wesen, bei dem kein vermessenes eigenes Planen, einem Alibi gleich, sich zwischen dem Geschöpf und seinem Schöpfer breitmacht.

So viel zu der rein geistlichen Schau der Wüste. Doch lassen sich weitere Gesichtspunkte, die in stärkerem Maße der rein metaphysischen Ebene angehören, anführen. Einerseits ist da die Wüste das Land des Wahnsinns. Andererseits bildet sie die Zufluchtsstätte des Teufels, der, »in die oberägyptische Einöde vertrieben«, »an den Stätten der Dürre umherirrt«. Der Durst treibt den Menschen zum Wahnsinn; und selbst der Teufel wird vom Wahnsinn zerquält, der seine Ursache hat in jenem Durst nach seiner eigenen verlorenen Menschlichkeit, deren er beraubt wurde, da er sie gleich einer Festung um sich herumbaute, in der er sich selbst einschloss, um alles andere auszusperren.

Doch werfen wir einen Blick auf die Wüsten von heute! Was ist aus den Wüsten von damals geworden? Sie haben sich in die Geburtsstätten einer neuen, schreckenerregenden Schöpfung verwandelt, in die Versuchsgelände einer Energie, mit deren Hilfe der Mensch versucht, das ungeschaffen zu machen, auf dem Gottes Segen ruht. Heute, in der Epoche der bedeutendsten menschlichen Errungenschaften auf dem Gebiet der Technik, enthüllt sich das wahre Antlitz der Wüste. Der Mensch bedarf seines Gottes nicht mehr. Dank eigener Hilfsquellen ist es ihm nunmehr möglich, in der Wüste zu leben. Dort kann er jetzt seine vermessenen, abgesicherten Hochburgen der dunklen Abgeschiedenheit, des Experimentierens, ja des Lasters errichten. Diese gleißenden Städte, die über Nacht aus dem Boden der Wüste emporschießen, sind keine Abbilder jener Gottesstadt mehr, die vom Himmel auf die Erde herabsteigt, um die ganze Welt mit dem strahlenden Licht des Friedens zu erfüllen. Ja, ihre Aufbauten stellen nicht einmal eine Nachahmung des Turmbaus von Babel dar, der sich einst in der Wüste von Senaar erhob, auf dass »dessen Spitze bis an den Himmel reiche und der Mensch sich einen Namen mache« (Gen 11,4). Es sind Städte düsterer Geheimnisse, wo der Bruder den Mitbruder mit Argwohn verfolgt; Städte, durch deren Adern, künstlichem Blut gleich, der Mammon rollt; Städte, aus deren Schoß das letzte und grauenvollste Ungeheuer der Zerstörung geboren wird.

Bringen wir es fertig, dabei zu stehen und dem Emporschießen dieser Städte unbeteiligt, untätig zuzusehen, ohne das Verlangen nach der Läuterung des eigenen Herzens? Wenn sich der Mensch mit seinem Mammon und seinen Maschinen in die Wüste aufmacht, um dort seine Wohnstatt aufzuschlagen, dort aber nicht mit dem Teufel ringt, wie es Christus getan hat, sondern vielmehr an Satans Verheißung der Macht und des Reichtums glaubt und vor Luzifers Wissen und Erkennen anbetend in den Staub sinkt, dann ist der Zeitpunkt gekommen, da die Wüste selbst auszieht aus ihrem Land, um auch den letzten Winkel dieser Welt zu durchsetzen, zu zersetzen. Dann kriecht der Wüstensand wahrlich in alle Poren der Erde. Über die ganze Welt hin ergießt sich dann das Reich der Einsamkeit, wo es dem Menschen aufgetragen ist, Buße zu tun, mit dem Widersacher zu ringen und mit der Gnade Gottes sein Herz zu läutern.

Die Verzweiflung hatte ihre Heimat in der Wüste. Nun aber ist sie aufgebrochen, um an allen Orten der Welt beheimatet zu sein. Niemals dürfen wir uns von der Annahme verleiten lassen, dass unsere innere Einsamkeit mit dem Ja zur eigenen Niederlage gleichzusetzen sei. Es gibt auch dann kein Entrinnen, wenn wir im stummen Ja der Verzweiflung zum Opfer fallen. Die Verzweiflung ist ein Abgrund, der ins Bodenlose reicht. Wir dürfen nicht meinen, ihn füllen zu können, indem wir uns der Verzweiflung preisgeben oder zu vergessen suchen, dass wir ihr unser Jawort gegeben haben.

Unsere Wüste besteht also darin, im Angesicht der Verzweiflung zu leben, jedoch ohne dass unser Mund das Jawort zu ihr spricht; sie unter dem Fuß unserer auf das Kreuz gesetzten Hoffnung zu zertreten und pausenlos mit ihr zu ringen. Dieser Kampf ist unsere Einöde. Stellen wir uns ihm mit Mut, dann wird Christus uns mitstreitend zur Seite sein. Wenn wir jedoch die Waffen strecken, werden wir Christus niemals begegnen.

2.


Nicht seine Veranlagung ist dafür verantwortlich, ob der Mensch den Weg der Heiligkeit einschlägt oder ob er letzten Endes verworfen wird. Jede Veranlagung kann dem Menschen zum Heil oder zum Unheil gereichen. Wir sollten uns der Tatsache bewusst sein, dass die Veranlagung ein Geschenk von Gott ist, ein Talent, das wir so lange benutzen, bis Er kommt. Es spielt keine Rolle, ob die Veranlagung, die uns mitgegeben wurde, schwierig oder wenig ansprechend ist. Wenn wir von dem, was wir besitzen, guten Gebrauch machen, wenn wir es ganz einem guten Wollen zur Verfügung stellen, erreichen wir mehr als derjenige, der zum Sklaven seiner Veranlagung wird, anstatt sie zu beherrschen und sich ihrer positiv zu bedienen.

Thomas von Aquin sagt (I-II, Frage 34, a.4), dass ein Mensch gut ist, wenn sein Wille an dem, was gut ist, Freude hat, und dass ein Mensch böse ist, wenn sein Wille an dem, was böse ist, Gefallen findet. Er ist ein heiler Mensch, wenn er sein Glück darin sucht, ein Leben der Vollkommenheit zu führen. Findet er jedoch Gefallen an einem Leben der Sünde, dann ist er sündig. Deshalb lässt sich aus dem, was wir lieben, schließen, was wir sind.

Man erkennt den Menschen also an seinem Ziel, jedoch auch an seinem Ausgangspunkt. Und wenn wir erkennen möchten, wo er zu einem gegebenen Zeitpunkt steht und wie es in ihm aussieht, brauchen wir lediglich in Erfahrung zu bringen, wie weit er von seinem Ausgangspunkt...

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