Auf der Wanderschaft

Auf der Wanderschaft

von: Julian Schutting

Otto Müller Verlag, 2013

ISBN: 9783701361601

Sprache: Deutsch

115 Seiten, Download: 492 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Auf der Wanderschaft



Maria Hohenberg

Wer sie auf krummen Wegen umstrichen hat als einer, dem ihre Erscheinung im rechten Moment als ein Lichtblick zuteil geworden ist; wer sich abfinden muß, daß sie ihm aus der Sicht entschwindet, weil ihrer nicht habhaft zu werden ist wie eines Edelweiß, wie der von keinem noch erjagten weißen Gams; wer es sich untersagt, sie soeben noch in lieblichen Waldbildern Ausgedrückte und ihm auch schon ins nicht mehr Sichtbare Entrückte mit einer launischen Frau zu vergleichen, die ja doch erzwungen sein möchte, nicht von jedem, auch von ihm nicht zu jeder Zeit; wer also auf all seinen Spazier- und Wanderwegen in der Geduld eines Gärtners sich übt, dem unbedrängt über Nacht eine Lilie heranwächst, welche allen und keinem gehört – wird es dem auch gegeben sein, ihren Segen auf jede Entfernung auf sich ruhen zu wissen, sofern er nur angesichts der winzigen weißen Dame dem Verlangen widersteht, als ein wie die Bilderstürmer kirchleinwärts stürmender Marienritter atemlosen Anlangens sich lieb Kind zu machen bei der Himmelmutter, bei der Königin des Erdkreises, verkleinert zur Beschützerin des Landkreises?

wer keuchend oder ruhigen Atems bei ihr angelangt und, je nach Jahreszeit, an ihrem ihn kühlenden oder ihn wärmenden Körper gelehnt ist, dem sei es weiterhin zugeteilt, fürs erste nicht mehr von ihr zu wollen, als selbstvergessenen Rastens mit ihr Umschau zu halten, in menschenfreundlicher Zweisamkeit dann, wenn ihm die Andacht stören könnten Unterhaltungen gleichfalls Herbeigestrebter; wenn die Steinstufen hinaufgetrampelt wird wie hinter einer bimmelnden Kuhglocke her von einer Ausflüglergruppe, die sich im Wirtshaus den Metallring mit einem großen schweren und einem kleinen Schlüssel ausgeborgt hat – habe der doch nicht: von euch ist kein Schlüsselbund mit ihr zu schließen!, in sich hineingelacht, habe er vielmehr die Großseligkeit gehabt, die von seiner Glückseligkeit allerbescheidenster Art Ausgeschlossenen bei Maria von Hohenburg vorzulassen, ihnen die Tür zu öffnen, auch auf daß sich nicht länger anhört wie Kuhkettengerassel das Herumprobieren mit einem Schlüssel, der, welches Schloß auch immer er einstmals auf- und zugesperrt hat, bloß beigegeben ist als die schwerwiegende Mahnung: vergeßt nicht, uns die Leihgabe zu retournieren!

wer jemals den richtigen Schlüssel sogleich in das dem stattlichen Eisenschloß, anzusehen wie eine Schatulle, unauffällig beigegebene zierliche Schloß eingeführt und sodann, zu ihr hineingeschlüpft, uneigennützig die Tür bloß angelehnt hat, um ausreichend umschlossen zu sein vom Innern eines ländlichen Gnadenortes, von ins Dämmrige verändertem Sonnenschein, von dem Holzduft, der als ein immerwährender Atemhauch den scheintoten Kirchenbänken und geschnitzten Heiligen zugehört, vom Geruch nach Kerzenwachs, vertrocknetem Tannenreisig oder welkenden Blumen, der habe Weihrauchduft nicht vermißt dort, wo nur an hohen Marienfeiertagen Messen gelesen werden: habe lieber, beispielsweise seiner schwerkranken Mutter oder auch der mit Marias Hilfe ihm nicht allzu bald abgestorbenen Liebe, eine Kerze angezündet und hienach, der Luft und dem Himmelslicht Einlaß zu verschaffen, zwischen Tür und Türstock ein Aststück geschoben und zugewartet, bis die abgestandene Luft ausgeflogen war und in frisch zugeströmter Wald-, Heu- oder auch Schneeluft die hier Ansässige freier atme!

Maria Hohenburg, du Königin der goldenen Äpfel
(nämlich nicht: ’Madonna mit zwei goldenen Äpfelchen‘) –
von einem Obstgarten, nur von einem, ist durch die Krone
eines einzigen Apfelbaumes so zu ihrem Kircherl aufzuschauen
, daß um die mit einem Helm Gekrönte
ein Gravensteiner Apfelkranz golden erstrahlt
zu sommerlicher Sonnenstunde!
Maria Hohenburg, du von Apfelzweigen Umschlossene,
schließe in deinen Segen ein, was herunten im Tal
dir zu Füßen heranreift –
einzig aus der Sicht des zurückgebeugt
leicht in die Knie Gegangenen zu dir hinangehoben!
du von Äpfeln und Himmelsblau lieblich Geschmückte,
nimmst das Bildnis hinweg jener jungfräulichen Göttin,
die da als Diana von Ephesos über und über mit
Stierhoden behangen ist, nicht mit Birnen oder auch
weibliche Fruchtbarkeit bedeutenden Vogeleiern!

Wer, wie gesagt, im Bei-ihr-Anlangen, im An-ihr-Lehnen (egal ob er da Kühlung gesucht oder Durchwärmung gefunden hat an ihrer Mauer, die sich immer wohltuend anfühlt), nicht erst im In-sie-Hineingehen, Maria Hohenberg als einen besonderen Ort erkannt hat, der hat sich wohl schon im Sie-Umstreichen ihr Fern- und ihr Nahbild einprägen lassen, und deshalb vermeint er sie selten aus den Augen zu verlieren, welche sie ihm als eine auf Zeit und auch auf Raum Unsichtbare vorenthalten müssen oder müßten: so sehr hat er als ein Liebender sie vor Augen – aus verwunderlichem Gesichtswinkel gewinnt er sie („Schauen Sie, da drüben!“) auch zur Erfreuung nichtliebender Augen zurück, die sie gern aus scheinbar falscher Himmelsrichtung unverhofft in seinen Blick tritt, die sie aus Waldhängen, die kaum dem ihren gleichen, für ihn auftaucht, als eine auf vielen seiner Wege ihm vor Augen Schwebende nur dort nicht wirklich, wo ihm aus Vernunftgründen der Glaube fehlt an seine Augen: als ein winziger Nebelfleck, als ein winziges Schneefeld, als ein milchig-weißer und tropfenförmiger Himmels-Einschluß gibt in der Mitte einer schwarzgrünen Waldfläche sie sich zu erkennen, als sollte während wiedererkennender Blickberührung Himmelslicht in das Waldesdunkel dringen und Sonnenlicht sie überlaufen. als eine hellschalige Zwiebel bietet sich ihre Kopfpartie so verschwommen dar, daß sich in diesem Bilddetail der Duft ausdrückt, der in Maiandachten Maiglöckchensträuße umschwebt. und endlich schärft sich ihr Ganzes zu einem schmalen Dreieck, zu dem einfachen Zeichen für Bergkapelle, an welchem man mit freiem Auge nicht wahrnehmbares Kirchturmkreuz nicht vermißt: man deutet sich die zwei steilen Dreiecksseiten ja auch als betend himmelwärts weisende Hände, ob nun darüber der graublaue Turmhelm auszunehmen ist oder nicht.

wer sich jemals des An-ihr-Lehnens begeben hat, für ein paar Schritte von ihr weg, um da unten eine Eisenbahn durchs Drautal rauschen zu sehen, dessen Blick wird durch jedes Eisenbahnfenster ohne Umschweife auf sie treffen, zu ihrer lichten Gestalt hinangerissen, als hätte sie ihn vor sich hin Dösenden aufgeweckt: ihr Gemäuer, immer frisch gekalkt, aber in seiner Strenge ins Liebliche gemildert von dem zart geschwungenen Zwiebelturban, gleitet lange Zeit mit ihm mit wie ansonsten nur der Mond oder Wolken, dreht sich zum Abschied samt dem Wiesen- und Waldhang noch ein Stück mit, wie wenn sie den Anschein erwecken wollte, man frisch Aufgewachter hätte bloß aus dem Zug zu springen, einen Wiesenstreifen hinanzueilen, und schon wäre ihr auch ihr Waldgürtel genommen für ein stürmisches Bei-ihr-Anlangen und An-ihr-Rasten: ehe sie dahin ist wie eine Täuschung, wird sie noch zu einem Kreidefelsen: Von wo immer du dich zu mir aufmachst, an mir findest du einen Halt! (wie zur Zeit der allerersten Irrwanderungen nimmt sie sich wieder unerreichbar aus dann, wenn man aus der Region wegzufahren im Begriff ist, ohne ihr einen Besuch abgestattet zu haben: wie willst du denn jemals zu ihr gelangt sein über diesen Felsabsturz zu ihren Füßen! oder auch durchs Fenster des Postautobusses, der einen nach allzu langer Abstinenz zu dem Anweg über Pusarnitz bringt, hat man vor sich ein unnahbares Hinterglasbild: als eine verkalkte Marienerscheinung schwebt sie oberhalb einer Felswand in der Luft.)

oder sich an Feiertagen andere Vergnügungen zu gönnen – allzubald aus der Gondelbahn und vom Gipfel des Goldecks zu ihr hinunterzustieren voll des Verlangens, sich durchs Fernglas bei ihr anlangen und an ihr lehnen zu sehen; auf dem Millstätter See zu rudern, und auf einmal, kleines Herzbeben, durch Surfer und Segelboote hindurch (wäre sie denn gut fünfhundert Höhenmeter zum Drautal hinabgestiegen?) das weiße Mariensegel zu erblicken, inmitten Nadelwaldgrün wie eine Kirchenfahne aufgezogen. und also allüberall zwischen ihren Fernbildern und Wunscherscheinungen zu unterscheiden.

Maria Hohenburg. Auf dem Straßerl, das bei der Lehener Brücke von der Landstraße abzweigt und sich hühnerbergwärts vielmals verästelt, ist sie leicht zu erreichen: dank grünen Schildern mit stilisiertem Kirchlein, weiß wie das ihre, in der Mitte. auf allen anderen Wegen jedoch, die doch gleichberechtigt zu ihr führen sollten, macht sie ein jedes erste Mal Schwierigkeiten: per Auto ein jeder willkommen, und sollte es solch einen bloß nach den Hauswürsten des längst ausgebauten Wallfahrerwirtshauses verlangen, nicht aber per pedes einer, der, auch um nicht hinter den kommod ihn überholenden Autoausflüglern herzutrotten, das Augenmaß hat für Abschneider, welche Futterwiesen meiden: sein Arbeitsschweiß, sein Gekeuche Waldränder hinan bleibt vorerst unerhört, wiewohl da nicht zum Marienziel ein Sportler mit sich um die Wette rennt: möchte bloß schwitzend und keuchend sein Herz rascher schlagen hören der einen, die zwar Gebete...

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