Die PISA-Lüge - Wie unsere Schule wirklich besser wird

Die PISA-Lüge - Wie unsere Schule wirklich besser wird

von: Nikolaus Glattauer

Verlag Carl Ueberreuter, 2011

ISBN: 9783709000892

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 1851 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die PISA-Lüge - Wie unsere Schule wirklich besser wird



MIESER ALS PISA


Von Schulpäpsten und anderen Experten

 

 

  • Was sagst du zum Schulpapst?
  • Zum was?
  • Na, zum Herrn Bildungsexperten, der uns immer sagt, wie’s geht, obwohl er selber noch nie in einer Schulklasse gestanden ist, je denfalls nicht als Lehrer.
  • Echt?
  • Was echt?
  • Der ist gar kein Lehrer? (Pause) Was hat er denn gesagt?
  • Dass er weiß, wer für das PISA-Debakel verantwortlich ist: Wörtlich hat er gesagt, dass an den Schulen zu viel und zu schlecht unterrichtet wird.5

 

Der gefühlten Temperatur der meisten der 123.000 Lehrerinnen draußen an der frischen Luft entspricht eine solche Einschätzung der Wetterlage nicht: Die meisten Lehrerinnen, die ich kenne, sind der Meinung, dass sie nicht zu viel, sondern zu wenig zum Unterrichten kommen. Die meisten von ihnen sind der Meinung, dass sie durchaus in der Lage sind, trotzdem Nägel mit Köpfen zu machen, mitunter mit ganz prächtigen Köpfen. Mich als spät und quer eingestiegene Lehrerin6 lassen Sie hinzufügen: dort, wo man sie unter vernünftigen Bedingungen arbeiten lässt. Vermutlich unterrichten Österreichs Lehrerinnen nicht nur nicht »schlecht«, sondern zu ihrem eigenen Nachteil immer noch so gut, dass sich niemand genötigt fühlt, die Notbremse zu ziehen. Die Autorin und Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann schrieb sich ihre Wut über die unsäglichen Zustände auf vielen Gebieten der heimischen Schullandschaft in einem leidenschaftlichen Zeitungskommentar aus dem Bauch7: »Wann gehen endlich die Studierenden und ihre Eltern, ihre Professoren, die Schüler und überhaupt alle auf die Straße? Wann gibt es einen Generalstreik gegen das Verdummungs-Verbrechen, das hierzulande an einer ganzen Generation begangen wird?«

Zu den unsäglichen Umständen gehören in immer stärkerem Maß die Hobby-Meteorologen in den bildungspolitischen Wetterstudios der Parteien. Volksschule, eine erste Klasse, zwei Lehrerinnen im Gespräch:

 

  • Hast gestern Radio g’hört?
  • Nein? Was?
  • Politikerrunde zu PISA.
  • Und?
  • PISA hat bewiesen, dass die Gesamtschule die schlechtesten Leistungen bringt.
  • Aha. (Pause) Ich dachte, Finnland hat wieder gewonnen …
  • Das schon. Aber bei uns sind angeblich wir in der Volksschule die Gesamtschule, und wir haben versagt, weil wir ihnen das Lesen nicht beibringen …
  • (Pause) Stimmt eh.
  • Was stimmt eh?
  • Dass wir eine Gesamtschule sind. Am liebsten würde ich meine Kinder gesamt in den Kindergarten zurückschicken und erst wieder zurücknehmen, wenn wenigstens die Hälfte von ihnen Deutsch kann.

 

De facto ist die öffentliche Volksschule in Österreich alles andere als eine »Gesamtschule«, besonders gilt das für den groß- und kleinstädtischen Raum, wo drei Viertel der österreichischen Kinder ihre Schulkarriere beginnen. Da gibt es jene Volksschulen, die zu 100 Prozent von solchen Leuten beschickt werden, die ihren höheren Töchtern und Söhnen am ersten Schultag statt Filzstiften Chinesischwörterbücher in die Schultüten stecken. Und dann gibt es die anderen, in denen sich eine verzweifelte Lehrerin 25 Taferlklasslerinnen gegenübersieht und auf die Frage: »Welches Kind will mir denn erzählen, was es im Sommer alles gemacht hat?« keine Antwort bekommt, weil a) keines der Kinder im Sommer etwas anderes gemacht hat als fernzusehen oder Computer zu spielen und b) sieben von zehn Kindern die Frage gar nicht verstanden haben.

Ich habe vorhin sinngemäß geschrieben: Als Befund dafür, wie das Land in Hinsicht auf Bildung und Ausbildung im Vergleich mit anderen Ländern aufgestellt ist, ist PISA ungeeignet. Ich habe auch geschrieben, PISA sei alles andere als sinnlos. Im Gegenteil: PISA ist ungeheuer aufschlussreich: als Befund für die soziale Schieflage der Nation. Als Befund dafür, dass Österreich in Angelegenheiten der Bildung noch immer nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist. Nicht im Umgang mit seinen Lehrerinnen, und schon gar nicht, was den Umgang mit seinen Schülerinnen angeht. In Ländern wie Polen, der Schweiz oder Norwegen hat man nach anfänglich schlechten PISA-Ergebnissen gehandelt. Norwegen, bei PISA 2006 noch Welten hinter Österreich gelegen, hat uns inzwischen überall überholt: in Mathematik drei Plätze vorn, in den Naturwissenschaften sechs, beim Lesen gar 22 (!). In Norwegen gibt es – nötiger denn je, es zu betonen – die Gesamt- und die Ganztagsschule. Und natürlich eine gemeinsame, einheitliche Lehrerinnenausbildung. Und eine artgerechte Haltung am Arbeitsplatz. Und statt guten Ratschlägen von »Schulpäpsten« kriegen die Lehrerinnen dort handfeste Unterstützung durch Sozialarbeiter, Stützlehrerinnen, Familientherapeutinnen. Und und und.

Der schnellste Weg zu guten PISA-Ergebnissen, ginge es denn wirklich einzig darum, wäre sowieso ein anderer, und er wäre gleichzeitig der bequemste: Wir drillen unsere Schülerinnen einfach darauf hin. Das geht. In Südkorea, Japan oder Shanghai tun sie das, ich weiß, wovon ich spreche, ich habe in eine chinesische Familie eingeheiratet, mein 16-jähriger Neffe besucht in Shanghai eine Privatschule. Wobei: Besuchen tut Xiangxiang seine Eltern. Fallweise. Sein Leben führt er in der Schule. Ein Kind in Shanghai verbringt mehr Zeit in der Schule als hierzulande ein Vollzeitarbeiter an seinem Arbeitsplatz.

Womit die Zeit für eine positive Nachricht gekommen ist. Entgegen allen Veröffentlichungen ist Österreich beim Lesen, das 2009 im Mittelpunkt stand, nicht, wie fast überall kolportiert, an 31. Stelle unter 34 »OECD- und Partnerländern« und damit an viertletzter Stelle gelandet. Österreich ist beim Lesen an 38. Stelle von 65 »OECD- und Partnerländern« und damit im Mittelfeld gelandet. In Mathematik an 24. Stelle – und damit im vorderen Drittel. Aus, wie es heißt, »Darstellungsgründen« steckte man Österreich entweder in ein Sample von ausgewählten Staaten, bestehend aus den zehn reichsten EU-Ländern, ergänzt um die restlichen Nachbarländer. Oder man gab vor (warum auch immer), nur die 34 OECD-Kernländer vergleichen zu können. Zu denen gehört freilich der große PISA-Gewinner Shanghai auch nicht – Shanghai hielten sie sich trotzdem ununterbrochen unter ihre langen Nasen.

Hier also die Rankings unter Einbeziehung aller teilnehmenden Staaten:

1. Lesekompetenz (die besten zehn getesteten Länder sowie alle jene, die hinter Österreich gelandet sind):

 

1. Shanghai (China) 556 Punkte
2. Südkorea 539 Punkte
3. Finnland 536 Punkte
4. Hongkong (China) 533 Punkte
5. Singapur 526 Punkte
6. Kanada 524 Punkte
7. Neuseeland 521 Punkte
8. Japan 520 Punkte
9. Australien 515 Punkte
10. Niederlande 508 Punkte
   
39. Österreich 470 Punkte
40. Litauen 468 Punkte
41. Türkei 464 Punkte
42. Dubai 459 Punkte
42. Russland 459 Punkte
44. Chile 449 Punkte
45. Serbien 442 Punkte
46. Bulgarien 429 Punkte
47. Uruguay 426 Punkte
48. Mexiko 425 Punkte
49. Rumänien 424 Punkte
50. Thailand 421 Punkte
51. Trinidad und Tobago 416 Punkte
52. Kolumbien 413 Punkte
53. Brasilien 412 Punkte
54. Montenegro 408 Punkte
55. Jordanien 405 Punkte
56. Tunesien 404 Punkte
57. Indonesien 402 Punkte
58. Argentinien 398 Punkte
59. Kasachstan 390 Punkte
60. Albanien 385 Punkte
61. Katar 372 Punkte
62. Panama 371 Punkte
63. Peru 370 Punkte
64. Aserbaidschan 362 Punkte
65. Kirgisistan 314 Punkte

 

Und für die Psychohygiene noch das Ranking im Kompetenzbereich Mathematik. Angeführt wieder die zehn Besten und alle 40 (!) Länder,...

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