Vietnam

Vietnam

von: Wolf-Eckart Bühler, Hella Kothmann

Reise Know-How Verlag Peter Rump GmbH , 2004

ISBN: 9783831713097

Sprache: Deutsch

667 Seiten, Download: 13970 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Vietnam



Visit Beautiful Vietnam! (S. 208-209)

„Jawohl: ,Besuchen Sie das schöne Vietnam’, so heißt es in der Broschüre, die das vietnamesische Reisebüro her-ausgegeben hat, und so noch im Januar 1967. Der Ruf ist in der Tat nicht im Leeren verhallt. Das Sankt Moritz von Vietnam, Dalat, 200 km von Saigon entfernt, genießt als Höhenkurort besondere Beliebtheit, die rasche Flugverbindung zwischen Saigon und dort funktoniert nach wie vor – kurz: ,Relax in Dalat!’ Wer es dagegen mehr auf Kultur abgesehen hat, mehr auf Photos als auf Hautbräunung, der begibt sich etwas weiter, in die ehemalige Residenzstadt von Annam, nach Hue, um dort die Tempel und die Paläste der ehemaligen Könige zu knipsen, oder um sich – denn auch die Anmut asiatischer Jungfrauen ist als Kulturwert ja nicht zu verachten – von jungen Mädchen auf dem Hue-Fluss herumrudern zu lassen – kurz: ,Be a Pasha in Hue!’ – während, ein paar Kilometer davon entfernt, die Napalmbomben fallen, die Dörfer in Flammen aufgehen, und die Kinder sich in Gelee verwandeln."

(Günther Anders, 1968)


Visit Beautiful Vietnam! ließ man noch auf bunte Hochglanzposter drucken, als sich an den Traumstränden des Landes bereits Panzerfäuste und Granaten tummelten, geheimnisvolle kleine Männer in schwarzen Pyjamas die avancierteste Militärmacht der Welt zum Narren hielten und ein hagerer und ziegenbärtiger Asket mit Sandalen an den Füßen von Berkeley bis Paris und Berlin zum Symbol des Widerstands gegen Autorität und Establishment wurde.

Über „Werbung" durften sich die Vietnamesen auch in der Folge nie beschweren. Amerikanische Vergangenheitsbewältigung à la Rambo und Platoon überschwemmte jahrzehntelang die Bildschirme und Unterhaltungscenter von Kiel bis Yokohama, und für verdammende oder bestenfalls mitleidige Schlagzeilen der Weltpresse (Armut! Rückständigkeit! Sozialismus! Boat People!) eigneten sich die „Erben Ho Chi Minhs" allemal. So oder so, an Vietnam und den Vietnamesen schieden sich die Geister. Medien und Politik vermittelten unermüdlich das Bild eines „unergründlichen" (eben asiatischen) und „quasi von Natur aus" ruhelosen und aggressiven Volkes (halb Chinesen, halb Hunnen), das sich ebenso wahllos wie halsstarrig gegen alle „Friedenbemühungen" der freien Welt stemmt, „wehrlose Nachbarn" (Pol Pots Kambodscha) überfällt und die eigene Bevölkerung derart knechtet, dass sie lieber die Flucht aufs Meer ergreift als weiter in den „grauen, freudlosen Mauern" von Hanoi und Ho Chi Minh City zu hungern und zu darben.

Wenn einem da nicht die Tränen kamen. Vor Mitleid. Vor Wut. Aber Gerüchte hatten schon immer die längsten Beine. Cam on heißt auf Vietnamesisch danke. Come on! brüllten die Amerikaner und meinten damit, na los, auf gehts, dalli dalli! Die Vietnamesen verstanden danke, und wunderten sich sehr über den rüden und „unhöflichen" Ton. So fangen Missverständnisse an. Chin heißt neun. Die amerikanischen Geheimdienste rätselten jahrelang ob der Bedeutung des gängigen Trinkspruchs in den Rotlichtbars von Saigon und Danang. In einem Land, in dem das populärste Bier bababa (333) hieß, und der Präsident Nordvietnams die Zigarettenmarke namnamnam (555) rauchte, konnte man ja schließlich nie wissen, ob Chin Chin, Ho Chi Minh nicht etwa eine geheime Botschaft beinhaltete. Vietnam und Gerüchte, Gerüchte und Vietnam sind schon seit langem fast Synonyme.

Über kein Land der Welt ist jahrzehntelang so viel Unsinn verzapft worden wie über Vietnam. Und hat es etwa aufgehört? Keineswegs. Von „Ho Chi Minh City, dem früheren Saigon" wird man in Berlin, Washington und Paris vermutlich noch in hundert Jahren faseln. Die einen konnten (können) nicht verzeihen, dass dort „der Sozialismus" gesiegt hat. Die anderen, dass er auch dort nie „zum Blühen" geriet.

Wie auch immer, Vietnam war niemals ein „Schurkenstaat". Weder Stalinismus (wie in Nordkorea) noch Maoismus (wie ehedem in Kambodscha) hatten in dem Land je eine Chance, ebenso wenig durchgeknallte Despoten à la Saddam oder fanatische Terrorregime à la Taliban. Kriege „auf Verdacht" sind nicht erst seit jüngster Zeit eine Spezialität der USA. Wie zuletzt angebliche Massenvernichtungswaffen und Terrornetze, war es damals eine vermeintliche „kommunistische Gefahr", die die Amerikaner dazu brachte, aus einem kleinen, regionalen Krisenherd – Vietnam war dabei, sich vom Kolonialismus zu befreien – mittels Lug und Betrug einen jahrzehntelangen Kriegsschauplatz zu zünden, der zeitweise die halbe Welt unter sich zu begraben drohte. Von der Teilung Vietnams – aus Angst vor einem Sieg Ho Chi Minhs verhinderten die USA die 1954 von den Weltmächten beschlossenen Wahlen in Vietnam – über den angeblichen „Tonkin-Zwischenfall" – der Washington 1964 als Vorwand diente, Hanoi und Haiphong zu bombardieren – bis zu den „Body Counts", die der amerikanischen Öffentlichkeit Tag für Tag suggerierten, man habe die Situation, den Vietcong, das Land voll im Griff – alles inszeniert, getürkt, erstunken und erlogen.

Die Amerikaner gewannen Schlachten, verloren aber den Krieg (den ersten ihrer Geschichte) und handelten sich ein Trauma ein, unter dem sie noch heute leiden. Die Vietnamesen gewannen den Krieg, verloren aber den Frieden, da sie nicht den Hauch einer Chance hatten, weil die eine Hälfte der Welt sie im Stich ließ und die andere, die sozialistische, sich ihrer wechselseitig zu bemächtigen suchte. Nie werden wir den Ausruf lien xo! lien xo! vergessen, mit denen die Vietnamesen jeden Weißen anfänglich bedachten, und ihre offene Freude und Herzlichkeit, wenn sie gewahr wurden, dass sie keine Russen vor sich hatten, die sich durch ihre barsche Arroganz und Herrenattitüde im Nachkriegsvietnam so unbeliebt gemacht hatten.

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