Seelische Störungen heute

Seelische Störungen heute

von: Volker Faust

C.H.Beck, 1999

ISBN: 9783406420870

Sprache: Deutsch

383 Seiten, Download: 1609 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Seelische Störungen heute



Angststörungen (S. 11-12)

Es gibt die lebenserhaltende Angst als Warn- oder Alarmsignal, und es gibt die krankhafte Angst. Letztere nimmt zu und bedrängt, belastet oder lähmt immer mehr Betroffene. Dabei kennt man inzwischen eine Reihe von seelischen und körperlichen Krankheiten, die nicht nur eine nachvollziehbare Furcht vor deren Konsequenzen auslösen (Schmerz, Schwermut u. a.), sondern bei denen die Angst zum Beschwerdebild gehört, manchmal sogar als scheinbar einziges oder sogar vorherrschendes Symptom. Und es gibt sogenannte primäre Angststörungen wie das Generalisierte Angstsyndrom, die Agoraphobie, die Sozialphobie, die spezifischen Phobien, das Paniksyndrom und – im erweiterten Sinne – die posttraumatischen Belastungsreaktionen nach Extrembelastung. Sie alle gilt es rechtzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln, je früher, desto erfolgreicher. Das ist aber nur möglich, wenn der notwendige Wissensstand gegeben ist (Aufklärung, fachkundiges Informationsangebot, Beratung) und wenn der Betroffene sein Leiden dann auch akzeptiert und fachliche Hilfe sucht. Was muß man dabei wissen, und vor allem: Was kann man selbst dafür tun?

Wir leben im Zeitalter der Angst, heißt es. Jedenfalls scheint die Angst neben den Depressionen und der vorzeitigen Geistesschwäche, z. B. der Alzheimerschen Demenz, jene seelische Störung zu sein, die die Menschen am meisten bewegt.

Oder wird Angst bewußt verbreitet? Handelt es sich um einen Modetrend? Die griffigen Schlagworte stehen jedenfalls schon bereit: Arbeitslosigkeit, erschreckende Aggressivität, Demonstrationen, Gewalt, Krawalle, wachsende Kriminalität, schockierende Selbstmordraten, Rauschdrogen, bedrohte Altersversorgung durch die unsichere Rentenfinanzierung, Hunger, Armut, Folter, Terror, Krieg, Umweltzerstörung, Rohstoffschwund, Wettrüsten, die nukleare Bedrohung, wenn nicht mehr durch Krieg, dann durch unsichere Atomreaktoren, ferner Wetter- und Klimaveränderungen u. a.

In der Tat: Wir leben offenbar im „Zeitalter der Angst". Das 20. Jahrhundert scheint alles gepachtet zu haben: die größten Fortschritte, aber auch die verheerendsten Kriege und jetzt einen drohenden Niedergang von Natur, Wirtschaft und Kultur.

Oder sind wir nur das Opfer eines bisher noch nie dagewesenen Informationsstroms geworden? Werden wir so mit schlechten Nachrichten aus aller Welt eingedeckt, daß uns gar keine andere Wahl mehr bleibt, als uns vor dieser Entwicklung zu fürchten? Oder sind wir nur einfältig, vor allem aber undankbar? Kann es tatsächlich sein, daß die zahllosen Generationen vor uns weniger Angst auszustehen hatten als wir heute? Sind Gewalt, Hunger, Armut, Krieg eine Bedrohung, die es noch nie gab?

Diese Fragen wären es einmal wert, gründlich überdacht zu werden. Aber das soll nicht das Thema dieser Ausführungen sein. Es ist nämlich etwas anderes aufgefallen, das tatsächlich nachdenklich stimmt: Zwar geht es uns kaum schlechter als in den Jahrhunderten zuvor, eher besser, wenn man sich einmal um eine objektive Sichtweise bemüht. Und trotzdem wächst die Angst, nimmt so dramatisch zu, daß ein immer größerer Teil der Bevölkerung davon betroffen, ja seelisch, zwischenmenschlich, beruflich und sogar körperlich ernsthaft beeinträchtigt ist. Wie ist das möglich?

Angst ist nicht gleich Angst

Als erstes gilt es zu erkennen: Angst ist nicht grundsätzlich negativ. Angst ist ein Teil unseres Gefühlslebens und deshalb durchaus sinnvoll. Als Warn- und Alarmsignal hilft die Angst – ähnlich wie der Schmerz –, auf Bedrohungen von außen und Störungen von innen aufmerksam zu machen. Nur wenn man die Gefahr kennt, kann man sie auch bewältigen. Damit ist die Angst ein lebensnotwendiger Anpassungs- und Lernvorgang. Im Grunde ist das erste, was die Natur zum Überleben verlangt, sich fürchten zu lernen. Das ist die Grundlage des Selbsterhaltungstriebes. So ist Angst erst einmal etwas Positives.

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