Reise Know-How KulturSchock Ungarn
von: Arpad Bari
Reise Know-How Verlag Peter Rump GmbH , 2010
ISBN: 9783956905308
Sprache: Deutsch
210 Seiten, Download: 3741 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
ALS FREMDER IN UNGARN (S. 153-155)
Das Bild von Touristen und von Deutschen
Als die Welt noch geteilt und überschaubar war, hatten die Ungarn ein ambivalentes Verhältnis zum Westen. Einerseits fühlte man sich von den „Imperialisten" militärisch bedroht, andererseits betrachtete man mit Neid die sich in den für „Ossis" unbezahlbar teuren Nachtlokalen vergnügenden Kapitalisten wie Halbgötter und bediente sie mit Ehrfurcht und Unterwerfung. Denn die „Wessis" bezahlten gelassen und ohne Erschütterung die unglaublich hohen Rechnungen.
Für die weniger gut situierten „Wessis", die in Bussen und in Reisegruppen kamen, organisierten die „Experten" des staatlichen Fremdenverkehrsamtes die so genannten „Gulaschpartys". In einem riesigen Saal wurden für sie die Spezialitäten der ungarischen Küche aufgetischt; dazu wurde „Zigeunermusik" gespielt. Anschließend wurden sie in die Puszta gebracht, wo weitere Folklore-Programme auf sie warteten. So „überfielen" z. B. Betyáren (Straßenräuber mit Robin-Hood-Charakter) den Reisebus und raubten die Gäste aus. Selbstverständlich bekamen die „Opfer" nach der Show ihre Gegenstände wieder zurück, denn die Räuber waren nur professionelle Statisten, die dann von den amüsierten Touristen noch Trinkgeld bekamen. Oder es wurde eine Show mit Pferdeakrobatik von den als „Tschikosch" (Pferdehirt, siehe Glossar „Csikós") verkleideten Schaustellern vorgeführt. Das Publikum war entzückt und nahm das romantische Bild des „wilden Ungarn" mit nach Hause.
Von den „Brüdern" aus den sozialistischen Staaten wusste man dagegen, dass sie kein Geld dabei haben können. Mit diesen machte man höchstens gute Geschäfte, indem man ihnen die mitgebrachten Industrieprodukte oder Genussmittel wie Tabak oder Alkohol zum Teil weit unter gewöhnlichem Preisniveau in den illegalen Schwarzmärkten abgekauft hat. Von den Polen kaufte man Zigaretten, Wodka und Werkzeuge, von den Rumänen Textilien und Unterwäsche und von den Jugoslawen guten Kognak. Diese geregelte, gut funktionierende Welt, in der die Bürger verschiedener politischer Blocks ihren zugewiesenen Status im Fremdenverkehr hatten, ist heute nur noch Geschichte.
Mit der Wende verschwanden die erkennbaren Merkmale der Gäste und Touristen. Das in der Vergangenheit entstandene Bild über die reichen, vorwiegend (west-)deutschen Ausländer, die sich in den teuren Restaurants wie im „Mátyás Keller" usw. vergnügten, hat sich gewaltig geändert. Heute kann sowieso keiner für fünfzig Deutschmark (bzw. 25 Euro) einen ganzen Abend mit Freunden dort verbringen. Die Deutschen sind auch in Ungarn unauffälliger geworden. Im Allgemeinen sind die Unternehmer zurzeit ein wenig enttäuscht, was die Tendenzen in der Touristikbranche betrifft. Die Zahlen der Besucher sind nach einem anfänglichen Aufschwung nach der Wende in den letzten Jahren eher rückläufig.
Was dem Fremden sofort auffällt
Vierzig Jahre lang war es unmöglich, in Ungarn einen Telefonanschluss zu bekommen. Selbst Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten und Vertreter anderer Berufsgruppen, die ohne Telefon nur sehr schlecht arbeiten konnten, hatten jahrzehntelang so gut wie keine Chancen auf einen Telefonanschluss. Die Preise der Wohnungen stiegen, wenn sie mit Telefonanschluss angeboten wurden. Man konnte zwar die Rufnummer nicht automatisch übernehmen, aber es war leichter, einen neuen Anschluss zu bekommen, wenn schon früher in der Wohnung einer drin gewesen war. Man hat erzählt, die Kabelverleger kommen mit dem Montieren der gleichzeitig anzuschließenden Abhörkabel nicht nach. Auf jeden Fall war einer der Träume vieler Ungarn, noch in diesem Leben ein Telefon zu haben.
Kein Wunder also, dass die neue Freiheit sofort zu einer explosionsartigen Vermehrung der technischen Kommunikationseinrichtungen geführt hat. Alle Haushalte, die ihren Anspruch angemeldet hatten, wurden erstaunlich schnell mit einem Telefonanschluss ausgerüstet. Als die Handys auf den Markt kamen, konnten die Anbieter sicherlich die besten Geschäfte in den ehemaligen Ostblockländern wie auch in Ungarn machen, denn der schnellste Weg, dort zu einem Telefon zu kommen, waren die Mobiltelefone. Dem Besucher aus dem Westen fiel einige Jahre nach der Wende gleich auf, dass es kaum jemanden auf den Straßen zu sehen gab, der nicht mit einem Mobil, wie die Ungarn das Handy nennen, unterwegs war. Das Bild hat sich bis heute nicht geändert. Jeder hat ein oder sogar zwei Handys. Überall sieht man Läden, die gebrauchte Handys zum Kauf oder Tausch anbieten.