Empirisch forschen lernen - Konzepte, Methoden, Fallbeispiele, Tipps
von: Sieghard Beller
Hogrefe AG, 2004
ISBN: 9783456840918
Sprache: Deutsch
181 Seiten, Download: 903 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
4. Repräsentativität und Genauigkeit von Stichproben (S. 85-87)
Meist ist es unmöglich, alle Untersuchungseinheiten einer interessierenden Population zu untersuchen, auch wenn letztendlich nur eine solche Vollerhebung ein exaktes Bild von der Verteilung eines Merkmals lieferte. Stattdessen muss man sich mit einer Stichprobe begnügen, das heißt mit einer kleinen Teilmenge der Population. Anhand der Merkmalsverteilung in der Stichprobe – zum Beispiel Mittelwert und Varianz – wird die Merkmalsverteilung der Population geschätzt. Weil dabei ein Induktionsschluss gezogen wird, der eine Verallgemeinerung von einer Teilmenge auf die Gesamtheit beinhaltet, spricht man auch von schließender oder Inferenz-Statistik, im Gegensatz zur beschreibenden oder deskriptiven Statistik.
Ein typisches Beispiel für diese Art von Untersuchung ist die im ersten Kapitel beschriebene Wahlumfrage. Anhand einer Stichprobe von zum Beispiel N = 2.000 Wahlberechtigten soll die Bekanntheit und Beliebtheit von Politikern sowie die Stimmverteilung auf die verschiedenen Parteien – wenn nächsten Sonntag Wahl wäre – möglichst genau geschätzt werden.
Generell sind bei stichprobenbasierten Untersuchungen folgende Fragen zu klären:
- Ist die durch das Auswahlverfahren gewonnene Stichprobe repräsentativ für die Population? Was bedeutet Repräsentativität?
- Wie genau lassen sich die Verhältnisse in der Population durch die Stichprobe schätzen? Kann man diese Genauigkeit konkret bestimmen?
Die Eigenschaften verschiedener Auswahlverfahren und die Frage nach der Repräsentativität werden im ersten Teil dieses Kapitels erläutert, Überlegungen zur Genauigkeit von Stichprobenergebnissen im zweiten Teil.
4.1 Repräsentative Stichprobenauswahl
Wann ist eine Stichprobe repräsentativ für die untersuchte Population? Allgemein gesprochen bedeutet Repräsentativität, dass die Stichprobe die Population hinsichtlich der interessierenden Merkmale möglichst "gut" widerspiegelt. Was "gut" in diesem Zusammenhang meint, ist nicht leicht zu fassen.
Manchmal hört man "Die untersuchte Stichprobe ist so klein; das Ergebnis kann nicht repräsentativ sein!" Hier wird Repräsentativität mit der Größe der Stichprobe verwechselt. Diese spielt zwar eine wichtige Rolle, wie später noch deutlich werden wird, große Stichproben sind aber nicht automatisch repräsentativer als kleine.
Nehmen Sie an, die mit der Wahlumfrage beauftragten Personen des Meinungsforschungsinstituts kämen alle aus der Mittel- oder Oberschicht der Bevölkerung. Wenn diese vor allem ihre Bekannten befragen würden, dann wäre damit zu rechnen, dass auch die befragten Personen eher aus der Mittel- oder Oberschicht kommen. Diese Stichprobe wäre nicht repräsentativ für alle Wahlberechtigten; sie wäre systematisch mit der Schichtzugehörigkeit konfundiert, unabhängig davon, wieviele Personen befragt werden.
Manchmal wird gesagt "Das Ergebnis einer Untersuchung ist aussagekräftig und genau, weil die Stichprobe repräsentativ war!" Auch dies ist nicht unbedingt korrekt. Repräsentativität ist zwar notwendig, um überhaupt Angaben über die Genauigkeit von Stichprobenergebnissen machen zu können, aber nicht hinreichend. Wie also lässt sich Repräsentativität gewährleisten?
Repräsentativität durch Zufallsauswahl
Das Konzept der Repräsentativität wird über das Auswahlverfahren definiert. Eine Stichprobe ist dann repräsentativ, wenn das Auswahlverfahren keine Elemente der Population in Bezug auf die interessierenden Merkmale bevorzugt. Dies lässt sich durch Zufallsauswahl der Elemente einer Population in die Stichprobe erreichen. Nur die Zufallsstichprobe gewährleistet, dass alle Elemente die gleiche Chance haben, in die Stichprobe zu kommen, und keine systematischen Auswahlfehler gemacht werden. Dann und nur dann lassen sich Stichprobenergebnisse auf die Population generalisieren.
Es gibt mehrere Varianten von Zufallsstichproben; die wichtigsten werden im Folgenden beschrieben:
- die einfache Zufallsstichprobe,
- die geschichtete Zufallsstichprobe und
- die Klumpenstichprobe.
Bei der einfachen Zufallsstichprobe hat jedes Element der Population die gleiche Wahrscheinlichkeit, in die Stichprobe aufgenommen zu werden. Eine solche Stichprobe garantiert globale Repräsentativität, das bedeutet, die Stichprobe ist repräsentativ hinsichtlich aller Merkmale der Population. Zudem lässt sich die Genauigkeit der Stichprobenwerte mathematisch berechnen.
Die einfache Zufallsstichprobe kann man durch Ziehen von Zufallszahlen oder durch Losen erreichen. Voraussetzung ist, dass jedes Element der Population für die Auswahl zugänglich ist – also ein Los im Ziehungstopf hat – und später auch an der Untersuchung teilnimmt. Dies ist in der Praxis oft nur schwer umzusetzen.
Bei der Wahlumfrage könnte man zwar auf die offiziellen Wählerverzeichnisse zurückgreifen, die alle wahlberechtigten Personen auflisten. Damit ließe sich immerhin sicherstellen, dass alle Wahlberechtigten dieselbe Chance hätten, in die Untersuchung aufgenommen zu werden. Manche Personen sind aber bei der Datenerhebung nicht erreichbar oder verweigern die Teilnahme. Bei systematischen Ausfällen ist die Repräsentativität gefährdet.