Umdeuten, verschweigen, erinnern - Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa

Umdeuten, verschweigen, erinnern - Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa

von: Micha Brumlik, Karol Sauerland

Campus Verlag, 2010

ISBN: 9783593410029

Sprache: Deutsch

257 Seiten, Download: 3800 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Umdeuten, verschweigen, erinnern - Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa



"Die Historiker Volkspolens und der Judenmord: Erforschung und politische Instrumentalisierung 1956–1968 (S. 163-164)

Dieter Pohl

Blickt man heute auf die Geschichtsforschungen zum Massenmord an den Juden zurück, die in den 1950er und 1960er Jahren in Polen publiziert wurden, so ergibt sich zunächst ein beeindruckendes Bild.1 Die meisten Themenkomplexe, die erst in den 1990er Jahren in das Blickfeld der westlichen Forschung rückten, sind hier bereits bearbeitet, wenn auch auf einer schmaleren Quellenbasis, als sie heute zugänglich ist. Studien zu den Gettos, zur Verfolgung in den Regionen, zu manchen Tätern und zu den Vernichtungslagern, zum Widerstand der Juden und zu Hilfeleistungen der Polen, all dies wurde publiziert, wenn auch fast nur im Lande selbst gelesen.

Zur gleichen Zeit, besonders wieder seit 1956, waren in Polen Wellen antisemitischer Vorfälle und Grundstimmungen zu verzeichnen, verließen Zehntausende jüdischer Polen das Land, besonders im Zusammenhang mit der antisemitischen Politik von 1967/68, die von der Staatsführung inspiriert wurde und in zahlreichen Institutionen ihren Niederschlag fand. Wie lässt sich eine Analyse dieser Forschung heute angehen, die sowohl die Politik in der kommunistischen Diktatur, die Erinnerungspolitik, die Vorgänge in der Geschichtswissenschaft als auch die einzelnen Historiker und ihre Produktion im Auge behält?

Eine Historisierung der Zeit, die nun etwa vier Jahrzehnte vergangen ist, ist gar nicht so leicht zu bewerkstelligen. Zum einen gehen wir von dem historiografischen Kenntnisstand aus, den wir heute haben, wie er sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und einem fast sechzig Jahre andauernden Strom an Publikationen darstellt. Zum anderen werden einige Debatten gerade der 1960er Jahre auch noch heute ausgefochten, von den Veteranen der damaligen Zeit oder von ihren Anhängern.2 Leider fehlen bis jetzt monografische Studien zur allgemeinen polnischen Historiografiegeschichte nach 1945, die den wissenschaftspolitischen Hintergrund aufhellen, Studien, wie sie beispielsweise für die DDR mittlerweile vorliegen.

Die Jahre 1956/57 und 1967/68 markieren zweifelsohne Zäsuren für unser Thema, wenn auch von recht unterschiedlicher Natur. Mit dem Oktoberplenum der PZPR von 1956 ging in Polen das endgültig zu Ende, was man heute als »Stalinismus« bezeichnet. Wenn die Grenzen der Freiheit auch weiterhin deutlich gesteckt blieben, so ging doch ein Aufatmen durch Gesellschaft und Geschichtswissenschaft. Freilich waren schon die Konflikte des Jahres 1956 durch antisemitische Äußerungen und Vorfälle gekennzeichnet, denen sich die Staatsführung jedoch noch offiziell entgegenstellte.4 Die Antizionismus- Kampagne von 1967/68 hingegen war staatlich gesteuert, richtete sich vor allem gegen die jüdische Minderheit im Lande und hatte massive Auswirkungen auf die Erforschung des Kriegsschicksals der Juden.

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