Männliche Adoleszenz

Männliche Adoleszenz

von: Vera King, Karin Flaake

Campus Verlag, 2005

ISBN: 9783593414393

Sprache: Deutsch

367 Seiten, Download: 2452 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Männliche Adoleszenz



Annäherungen an sexuelle Beziehungen. Empirische Befunde zu Erfahrungs- und Lernprozessen von Jungen (S. 163-165)

Jutta Stich

In ihren ersten erotischen Annäherungen und sexuellen Beziehungen setzen sich Jungen so unmittelbar mit gesellschaftlichen Geschlechterbildern und dem, was ihnen selbst gut tut, auseinander wie in keinem anderen Lebensbereich. Jungen schienen lange Zeit von der sexuellen Liberalisierung und ihren Folgen für die Geschlechterverhältnisse weniger betroffen als Mädchen – sicher auch ein Grund, warum in den letzten Jahren primär Forschungsarbeiten zur soziosexuellen Entwicklung von Mädchen durchgeführt wurden. Mittlerweile ist unübersehbar: Jungen treffen heute auf Mädchen, die so selbstbewusst und durchsetzungsfähig sind wie nie zuvor, und wirken selbst verunsicherter als diese. Doch wir wissen kaum etwas darüber, wie sie die schrittweise Einübung in partnerorientierte Sexualität bewältigen und auf welche Ressourcen sie dabei zurückgreifen können.

In einer auf narrativ-biographischen Interviews basierenden Studie, in der dreißig junge Frauen und dreißig junge Männer im Alter von 18 bis 22 Jahren aus heterogenen soziokulturellen Milieus gebeten wurden, ihre Lebensgeschichten und insbesondere ihre Erfahrungen mit Freundschaft, Liebe, Partnerschaft und Sexualität zu erzählen, geben Jungen darüber Auskünfte, wie sie schrittweise ihren eigenen Weg in partnerorientierte Sexualität finden, wie sie sich sexuellen Beziehungen annähern und wie diese Lernprozesse mit anderen Lebensbereichen verbunden sind. Im Folgenden werden ausgewählte Befunde zur soziosexuellen Entwicklung von Jungen vorgestellt und dabei auch Vergleiche mit Erfahrungen von Mädchen gezogen. Im Zentrum der Darstellung steht die enge Verknüpfung einer gelingenden Sexualität (definiert als körperlich lustvoll, emotional befriedigend und in einer verantwortlichen Grundhaltung sich selbst und ihren Partnerinnen gegenüber) mit der Qualität ihrer sozialen Einbindung in Gleichaltrigenbeziehungen und mit familialen Ressourcen.

Ein ausgedehnter Erfahrungs- und Lernprozess

Jugendliche lassen sich meist mehrere Jahre Zeit, Schritt für Schritt neue sexuelle Erfahrungen zu machen. Es gibt viele »erste Male«: die erste Verliebtheit, der erste Austausch von Zärtlichkeiten, der erste intensive Kuss, die ersten Pettingerfahrungen, der erste Geschlechtsverkehr, die erste feste Beziehung. Die Reihenfolge folgt keinem einheitlichen Muster und sagt allein auch wenig darüber aus, wie die sexuelle Entwicklung langfristig gelingt. Der erste Sex ist nur ein Ereignis in diesem Annäherungsprozess an sexuelle Beziehungen, wenn auch ein markantes, das deshalb besonders gut erinnert wird. Jungen wie auch ihre Partnerinnen erleben ihn selten sexuell ganz unerfahren; vielmehr gehören ausgedehnte Pettingerfahrungen ohne Geschlechtsverkehr – oft in mehreren aufeinander folgenden Partnerschaften – zu den jugendkulturellen Selbstverständlichkeiten. Jungen können es normal finden, sich für die ersten erotischen Annäherungen viel Zeit zu lassen, auch vor ihrem ersten Sex über längere Zeiträume gemeinsam mit der Freundin zu übernachten und nur zu kuscheln – selbst wenn das nicht ganz einfach ist. Sven erinnert sich:

»Da wo ich dat erste Mal bei ihr geschlafen habe, da musst ich so ganz ruhig in meinem Bett liegen bleiben, also auf meiner Seite und sie auf ihrer Seite, durfte nischt machen. Aber det Schöne war dann det, wo ich das zweite Mal so bei ihr geschlafen habe. Da wurde es dann schon’n bisschen anders, da durfte ich dann schon so wat machen. […] Aber es hat dann auch noch ’n bisschen Zeit gebraucht. Wo ich dann det zweete Mal bei ihr geschlafen habe, das war dann schön, weil was ich immer so schön fand, war, sie nachts so zu umarmen, neben ihr einzuschlafen. Und wenn sie dann so schläft, den Atem so, den stillen Atem so, det fand ich immer ganz schön.« (Sven, 16 Jahre)

Generell ist in Deutschland etwa jeder zwölfte Junge im Alter von 14 Jahren und gut ein Drittel der 16-Jährigen koituserfahren, aber zwei von drei 17- Jährigen noch nicht; darin unterscheiden sie sich kaum noch von Mädchen (BZgA 2001). Klassische Zugehörigkeiten wie Geschlecht, Bildung, städtischer oder ländlicher Wohnsitz beeinflussen diese Altersunterschiede nicht nennenswert – ein Indiz dafür, dass Jugendliche mehr denn je ihren eigenwilligen Weg gehen. Das zeigt sich auch darin, wie intensiv sich die von uns interviewten Jungen mit dem richtigen Zeitpunkt für ihr erstes Mal auseinandergesetzt haben.

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