Der Kampf um Aufmerksamkeit

Der Kampf um Aufmerksamkeit

von: Kristina Nolte

Campus Verlag, 2005

ISBN: 9783593379043

Sprache: Deutsch

187 Seiten, Download: 1224 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Der Kampf um Aufmerksamkeit



III. Aufmerksamkeits-Management (S. 85-87)

In den vergangenen Abschnitten wurde diskutiert, dass Menschen zur Bestätigung ihres Selbstwertes, zur Entwicklung einer Identität und zur Behauptung einer Position in der Gemeinschaft nach Anerkennung streben. Es wurde aufgezeigt, dass Gesellschaften nach ihren knappen Ressourcen strukturiert sind und dass Aufmerksamkeit biologisch begrenzt und im Vergleich zu den Verwendungsmöglichkeiten knapp ist. Dabei wurde die Möglichkeit erörtert, dass in Gesellschaften mit konkurrierenden Massenmedien, in denen Aufmerksamkeit eine zentrale knappe Ressource ist, ein Kampf um Aufmerksamkeit eine Form des Kampfes um Anerkennung darstellt.

Es wurde weiter herausgearbeitet, dass mit der Knappheit von Aufmerksamkeit notwendig Rationalitätsbegrenzung und der Zwang zu Komplexitätsreduktion einhergehen. Zur Reduktion von Komplexität verwenden Menschen Symbole, fokussieren ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen, schränken Sinnbereiche in ausdifferenzierte Teilsysteme ein und nutzen Redundanzen, Stereotypen und Muster zur Erfassung und Verarbeitung der Welt. Bei begrenzter Zeit und Aufmerksamkeit und Datenverarbeitungskapazität ist Bekanntheit wesentliches Auswahlkriterium. Die Zuwendung von Aufmerksamkeit, die Bündelung und Fokussierung auf bestimmte Ereignisse und Themen ergibt eine Struktur, die Grundlage dafür wird, was einzelne Menschen und die Gesellschaft zukünftig entscheiden, denken und für richtig erachten. Weil die diskutierten Themen und die Art und Weise, in der sie diskutiert werden, die gesellschaftliche Wirklichkeitssicht bestimmen, sind Menschen, Institutionen, etc. bestrebt, der Gesellschaft ›ihre‹ Themen zur Diskussion anzubieten und debattierte Themen in einem für sie günstigen Rahmen zur Deutung zugänglich zu machen.

Bei ihrer Suche nach passenden Handlungsentwürfen für die komplexe Welt orientieren sich Menschen an den Engpässen. In einer Welt, deren Mangelfaktor Aufmerksamkeit ist, heißt entwerfen: Das Handeln so auszurichten, dass Aufmerksamkeit der Mitmenschen gesichert und ein hoher Platz in der Rangstufe des relevant sets durch einen hohen Wiedererkennungswert erreicht wird. Aufmerksamkeitsmaximierung ist das Funktionsprinzip der Massenmedien. Ausgehend von der Vermutung, dass Aufmerksamkeitsmaximierung auch in den anderen Teilbereichen maßgeblich ist, wird im Folgenden untersucht, wie die gesellschaftlichen Teilbereiche Medien, Wirtschaft und Politik mit dem Problem der knappen Ressource Aufmerksamkeit umgehen und welche Mechanismen zum Aufmerksamkeits-Management in den gesellschaftlichen Teilbereichen Medien, Wirtschaft und Politik Anwendung finden.

1. Massenmedien

In diesem Abschnitt geht es darum zu klären, was ein Ereignis zu einer Nachricht macht. Dazu ist es notwendig zu verstehen, wie Massenmedien funktionieren, was ihre Aufgabe ist, wie sie entstanden und strukturiert sind und wie der Selektionsprozess angelegt ist. Die Definition der Massenkommunikation von Gerhard Maletzke dient als Ausgangspunkt für die Entfaltung der Argumentation.

»Unter Massenkommunikation verstehen wir alle Formen von Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich (also ohne begrenzte personell definierte Empfängerschaft) durch technische Verbreitungsmittel (Medien) indirekt (also bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagenden und Aufnehmenden) an ein disperses Publikum (im Unterschied zu einem Präsenzpublikum) vermittelt werden.«

Bei Massenkommunikation handelt es sich um eine indirekte Kommunikation an ein unbestimmtes Publikum, die unabhängig vom Interaktionspartner stattfindet. Da die Aussage einseitig über technische Verbreitungsmittel kommuniziert wird, wird eine unmittelbare Antwort auf die Aussage nicht erwartet. Auch wenn diverse Formen der Massenkommunikation direkte Reaktionen ermöglichen, ist diese Unabhängigkeit vom Interaktionspartner Voraussetzung für die Entstehung von Massenmedien. Die Ausdifferenzierung der Massenmedien begann mit der Erfindung der Verbreitungstechnologien, die diese Unabhängigkeit ermöglichten. Mit dem Buchdruck und der massenhaften Zugänglichkeit der Schriftkultur im 15. Jahrhundert ist die unmittelbare Anwesenheit der Kommunikationsteilnehmer nicht mehr notwendig. Schriften können vervielfältigt und ohne weitere Interaktionsleistungen einer breiten Masse an Menschen zugänglich gemacht werden. Weil Kommunikation nicht mehr vom Empfänger abhängt, vollzieht sich, was in der Systemtheorie »operative Schließung« heißt: das System bezieht sich auf sich selbst. Die Auswahl der Themen hängt jetzt von der eigenen Informationslage ab. Neuigkeit und Bekanntheit messen sich daran, ob darüber in den Medien kommuniziert wurde. Was medial vermittelt wurde, wird als bekannt vorausgesetzt und verliert den Status der Neuigkeit.

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