Alkoholabhängigkeit

Alkoholabhängigkeit

von: Johannes Lindenmeyer

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2005

ISBN: 9783840919169

Sprache: Deutsch

139 Seiten, Download: 1160 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Alkoholabhängigkeit



3.5 Indikationsstellung (S. 46-49)

Bislang sind keine allgemein akzeptierten und v. a. empirisch abgesicherten Indikationskriterien für eine bestimmte Form der Behandlung von Alkoholabhängigen vorhanden. Die Beantwortung der Indikationsfragen auf der Karte im Anhang des Buches kann somit nur pragmatischer Natur sein:

3.5.1 Indikationskriterien

für eine stationäre Behandlung Stationäre Behandlungen bieten ein umfassenderes und intensiveres Therapieprogramm als ambulante Therapien und ermöglichen gleichzeitig eine stärkere Entlastung von beruflichen und familiären Alltagsproblemen. Sie entlasten auch kurzfristig das soziale Stützsystem des Betroffenen. Eine stationäre Entwöhnungsbehandlung erscheint insbesondere angezeigt bei:

– behandlungsbedürftiger psychiatrischer Störung,
– schwerer kognitiver Beeinträchtigung,
– Therapieabbruch bei früherer ambulanter bzw. stationärer Behandlung,
– wiederholten Rückfällen bei ambulanten Behandlungsversuchen,
– fehlendem sozialen Stützsystem/mangelnder sozialer Integration,
– alkoholgeprägtem Umfeld,
– behandlungsbedürftigen körperlichen Folgeerkrankungen.

3.5.2 Indikationskriterien für eine ambulante/ teilstationäre Behandlung
Der Vorteil einer ambulanten/teilstationären Behandlung liegt in ihrer räumlichen Nähe zum Alltag der Patienten, der leichteren Einbeziehungsmöglichkeit von Bezugspersonen und in den geringeren Behandlungskosten. Eine solche Behandlung erscheint besonders geeignet, wenn

– der Patient über ein stabiles soziales Stützsystem verfügt, dass im Rahmen einer ambulanten Behandlung in die Abstinenzbemühungen miteinbezogen werden kann,

– der Patient sich in einem Arbeitsprozess befindet, der durch die Behandlung nicht unterbrochen werden soll,

– eine längere Abwesenheit des Betroffenen in der Familie nicht möglich ist (z. B. wegen der Versorgung von Kindern oder Angehörigen).

Zu beachten ist hierbei das „Paradoxon der Niederschwelligkeit" (Lindenmeyer, 2002): Die im Vergleich zu stationären Behandlungsangeboten räumliche Niederschwelligkeit ambulanter und teilstationärer Behandlungssettings muss durch hochschwellige Eingangsvoraussetzungen und Therapieregeln kompensiert werden, um eine ausreichende Therapieordnung und -ernsthaftigkeit sicherstellen zu können. Dagegen sind gerade größere stationäre Einrichtungen auf Grund ihrer „hochschwellig" umfangreichen Ausstattung besonders gut in der Lage, flexibel und ohne jede Vorbedingung, d. h. „niederschwellig" auf jeden Patienten zu reagieren.

3.5.3 Zwei-dimensionales Modell der Differenzierung von Suchtproblemen
Bei der Auswahl des Therapiesettings und der Therapieschwerpunkte sollte neben den individuellen Problembereichen eines Patienten immer auch die Veränderungsphase hinsichtlich seiner Bewältigungsbemühungen Berücksichtigung finden, so dass sich insgesamt ein zwei-dimensionales Modell der Therapieindividualisierung ergibt. a. Horizontale Differenzierung nach individuellen Problembereichen. Die Horizontale bestimmt die indizierten inhaltlichen Schwerpunkte der Behandlung und die hierfür erforderliche Ausstattung der Therapieeinrichtung. Von der spezifischen Ausformung der „individuelle Abhängigkeit" eines Patienten und ihrer funktionalen Einbettung in den persönlichen Lebenszusammenhang hängt ab, welche Therapieziele in der Behandlung der Patienten Priorität haben, welche spezifische Therapiemaßnahmen (medizinische Behandlung, Psychotherapie, Sozialtherapie) in welcher Reihenfolge erforderlich sind und welchen zeitlichen Umfang die Gesamtbehandlung haben soll. Entsprechend verfügen die meisten Behandlungseinrichtungen für Alkoholabhängige über variable Therapiezeiten und ein umfangreiches sog. „indikatives" Therapieprogramm mit spezifischen Behandlungsangeboten zu einzelnen körperlichen, psychischen und sozialen Problembereichen. b. Vertikale Differenzierung nach individueller Veränderungsbereitschaft.

Die Senkrechte bestimmt dagegen die hierbei indizierte therapeutische Interaktions- und Behandlungsform in Abhängigkeit von der Veränderungsbereitschaft eines Patienten: – Bei Patienten mit großer Veränderungsambivalenz in der Precontemplationphase (vgl. S. 28) werden durch konfrontatives bzw. direktives Therapeutenverhalten häufig Widerstand und Reaktanz auf Seiten des Patienten erzeugt, bis hin zum Therapieabbruch oder Rückfall. Hier haben sich stattdessen eine dosierte, das Selbstkonzept des Patienten nicht bedrohende Informationsvermittlung (vgl. Kap. 4.4) und die spezifischen Interaktionsstrategien des Motivational Interviewing (vgl. Kap. 4.3) bewährt.

– Bei Patienten in der Phase von Contemplation (vgl. S. 28) ist ein sorgsamer Umgang mit Ambivalenz hinsichtlich einer Veränderung des Alkoholkonsums entscheidend (vgl. Kap. 4.5).

Häufig muss der Therapeut die Ambivalenz des Patienten geradezu von sich aus bewusst machen, anstatt sich mit angepassten Äußerungen des Patienten zufrieden zu geben. Insgesamt sollte der Therapeut die Ambivalenz des Patienten würdigen und fördern, damit bei letzterem der Wunsch nach Eindeutigkeit und einer Entscheidung wächst. Am wirkungsvollsten ist es hierbei, wenn es dem Therapeuten gelingt, von sich aus mögliche Einwände und Härten der einzelnen Behandlungsvorschläge vorwegzunehmen noch bevor der Patient sie ausgesprochen hat.

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