Studienziel Persönlichkeit

Studienziel Persönlichkeit

von: Sascha Spoun, Werner Wunderlich (Hrsg.)

Campus Verlag, 2005

ISBN: 9783593378527

Sprache: Deutsch

465 Seiten, Download: 4224 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Studienziel Persönlichkeit



Zur Einführung (S. 87-88)

1. Ein Blick zurück

Am Vorabend des Nikolaustages, am 5. Dezember 1443, schrieb ein im Vorjahr gekrönter poeta laureatus dem minderjährigen Prinzen Sigismund von Austria aus Graz einen Brief. Darin nahm der Verfasser, der Humanist Aeneas Silvio Piccolomini, bekannt als nachmaliger Papst Pius II, zu den Studien des hoffnungsvollen jungen Adligen detailliert Stellung. Er ließ ihn u. a. wissen, dass er später einmal, als regierender Fürst, aus seiner Studienzeit mancherlei Vorteile würde mitbringen können. »Du wirst Dich mit einem Ungarn, einem Italiener, einem Franzosen gut verständigen können, weil du Latein sprichst, und du wirst das schon als junger Mann können, während ältere Männer stumm und dumm daneben stehen.«

Nicht mehr als eine Stunde Studienzeit pro Tag genüge bereits, das gewünschte Niveau zu erreichen, meint der Humanist. »Und wenn du dann das Mannesalter erreicht hast, wirst du sehen, dass deine Studien Dir Ehren und Vorteile bringen, dass Deine Kenntnisse Dich über die anderen hinausheben, dass man im Rat Deinen Worten gespannt folgt. Niemand wird Dich täuschen können; Deine Bildung wird es Dir ermöglichen, mit voller Überzeugungskraft zu Deinen Untertanen zu sprechen.«

Piccolomini lässt dann eine Aufzählung der antiken Autoren und Texte folgen mit Hinweisen auf den jeweiligen Nutzen: für analytische Formulierungen von Lob und Tadel, von Zustimmung und Kritik geben Cicero und Quintilian das Rüstzeug; für die Kriegsführung Theoretiker und Historiker wie Vegetius und Livius; politische Führungsqualitäten vermittelt Aristoteles, ethisches Bewusstsein Cicero, moralische Einsichten Seneca. Es folgen weiterhin Bereiche wie Kindererziehung und Ehestandsregeln, Todesfurcht und Freundschaftspflege, aber auch Astronomie und Agrikultur, Menschenkenntnis und Standesbewusstsein. Alles Sprach- und Literaturstudium führt, so der Autor, unmittelbar ins öffentliche Leben: »Was man im Studium lernt, wirkt ein auf die Leitung des Staates.«

Es ist denkbar leicht, die Hinweise des Humanisten aus der Zeit vor fünfeinhalb Jahrhunderten ins Heutige zu übersetzen, auch ohne dass man deswegen wie einst Lateinisch sprechen muss: ebenso wie einst jener junge Prinz der Feudalgesellschaft, so wird auch der mündige Manager der Moderne leichter mit Ungarn, Franzosen und Italienern, mit Ausländern insgesamt auf dem internationalen Parkett verkehren können, wenn er die kulturellen Codes beherrscht; er wird leichter besondere Führungsqualitäten entwickeln können, wenn er im Besitze einer umfassenden Bildung seine Aufgaben angeht.

Freilich: Soll, was vor mehr als einem halben Jahrtausend galt, auch heutzutage gelten dürfen? Sind wir doch um so vieles weiter als zu jener Zeit, sind in Medizin und Psychologie, in Astronomie und Agrikultur, in Kommunikation, Transport und Technik insgesamt erheblich, ja erstaunlich fortgeschritten. Andererseits: Ethische Fragen stellen sich so wie einst; politische Probleme sind nach wie vor zu erkennen wichtig und zu lösen nötig; grundsätzliche gesellschaftliche Verhaltensmuster müssen ständig erarbeitet werden wie eh und je; moralische Entscheidungen werden nach wie vor eingefordert, für sie muss sich jeder von uns rüsten.

Was also ist in der Gegenwart zum Thema der Bildung zu sagen? Was zu ihren Inhalten und Methoden? Sind die Hinweise des Piccolomini überholt? Oder weiterhin gültig? Oder grundsätzlich gültig, aber im Detail zu modifizieren? Viele Fragen. Ob wir nach dem Blick zurück auch einen Blick voraus wagen dürfen?

Von den folgenden fünf Vorträgen verhandeln vier, laut ihrem jeweiligen Titel, den Standort von »klassischer Bildung« im Bildungsbetrieb der Gegenwart. Einer dieser Titel spricht hingegen von »humanistischen Traditionen« und erweitert so den Definitionsbedarf: Mögen uns ja lateinisch grundierte Ausdrücke aus dem Bildungsjargon, wie »Aktualität« und »Traditionen«, im Allgemeinen leichter zugänglich sein, so sind doch die drei Begriffe »Klassik«, »Bildung« und »Humanismus« durchaus umstritten und also jeweils besonders zu befragen.

2. Perspektiven

Vorab ein Blick auf die Perspektiven der einzelnen Beiträge: Im Mittelpunkt der Gruppe stehen die Ausführungen zum pädagogischen Programm der Universität St. Gallen (Spoun undWunderlich). Hier werden in gründlicher Überschau alle die Gesichtspunkte durchmustert, die dem neu gestalteten Lehrplan in der Spannung zwischen Theorie und Praxis zugrunde liegen. Gefolgt wird dieses Kernstück von einer Fallstudie: Andreas Thier diskutiert die »Beziehung zwischen rechtswissenschaftlichem Studium und klassischer Bildung «.

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