Mediengeschichte von 1700 bis ins 3. Jahrtausend
von: Werner Faulstich
Vandenhoeck & Ruprecht, 2006
ISBN: 9783825227401
Sprache: Deutsch
193 Seiten, Download: 2669 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
6 Periode VI: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830–1900) (S. 59-60)
Übersicht
6.1 Von den Druckmedien zu den elektronischen Medien: die dritte Medienrevolution
6.2 Zeitung und Journalismus als System
6.3 Das »Zwischenmedium« Telegraf
6.4 Zeitschrift und Illustration
6.5 Die Fotografie – Medium des Kleinbürgers
6.6 Visualisierungsschübe: Bilderbogen, Blatt, Ansichtskarte, Plakat
6.7 Die neuen Medien Telefon und Schallplatte
6.8 Vom Buch zum Heft: transmediale Expansion
6.9 Die Anfänge des Films als komplexes System
Das 19. Jahrhundert sah einen weiteren fundamentalen Umbruch in der Geschichte der Medien: von der Dominanz der Druckmedien zur Dominanz der elektronischen Medien, die dann das 20. Jahrhundert bestimmen sollten. Er gilt nach den Wechseln vom Matriarchat zum Patriarchat und von den Mensch- zu den Druckmedien als die dritte Medienrevolution. Maßgeblich waren dabei Merkmale, wie sie schon früher aufgetreten sind, insbesondere die Ausdifferenzierung (zum Beispiel bei der Zeitung), die befristete Statthalterfunktion von »Zwischenmedien « (zum Beispiel beim Telegrafen) und der Funktionensynkretismus (zum Beispiel beim Film).
Der gesellschaftliche Wandel in dieser sechsten Periode war durch vier Schlüsselphänomene geprägt, die in engem Zusammenhang miteinander standen und vor denen die medienkulturellen Umwälzungen betrachtet werden müssen.
Dabei handelte es sich erneut um einen Bevölkerungsboom, von 29,3 (1830) auf 56 Millionen Menschen (1900). Nach einem zögerlichen Wachstum, insbesondere auf dem Land, folgte im Kontext der Industrialisierung ein sprunghafter Zuwachs ab 1860, insbesondere in den Städten. Trotz dieser gewaltigen Bevölkerungsverdichtung wurde die anfängliche Massenverarmung und Bevölkerungsmigration (»Pauperismus«) abgelöst durch Wachstum, Steigerung der Erträge, Verbesserung des Lebensstandards, Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung.
Das war nur möglich durch den Technikboom der Zeit. Das 19. Jahrhundert gilt als das »Jahrhundert der Erfindungen«. Die Entdeckungen der Naturwissenschaften hatten direkt wie indirekt enorme Bedeutung für die Lebensgestaltung der Menschen. Das neue Weltbild der Menschen wurde abstrakt, mathematisch, verwissenschaftlicht. Die Zahl prägender technischer Erfindungen reicht von der Dampflokomotive über den Elektromotor bis zur Sicherheitsnadel, vom Fahrrad über den Kühlschrank bis zur Glühlampe, vom Stahl über die Schreibmaschine bis zum Auto. Es war das »technische Zeitalter«.
Natürlich handelte es sich dabei um ein Merkmal der industriellen Revolution: den Wandel von der einfachen zur kapitalistischen Warenproduktion, vom Handelskapital zum Industriekapital, von der agrarischen zur industriellen Herstellung, vom Handwerker zum Lohnarbeiter in den Fabriken. Einem ersten Abschnitt der Mechanisierung oder Maschinisierung folgte die Generation der Gründer und Unternehmer und in einem dritten Abschnitt die Ausbildung von monopolistischen Konzernen und Kartellen und damit auch von Großbanken und Aktiengesellschaften.
Das führte auch im sozialen Bereich zu strukturellen Veränderungen. Das alte Modell der bürgerlichen Öffentlichkeit, aufgebaut nach den traditionellen Ständen (Adel, Bürgertum, Bauernschaft, »Vierter Stand«) zerbrach und war am Ende des Jahrhunderts in einer kapitalistischen Massengesellschaft durch ein neues Modell sozialer Schichten abgelöst.