Depression - 100 Fragen 100 Antworten
von: Pierre Dinner
Hogrefe AG, 2005
ISBN: 9783456942476
Sprache: Deutsch
208 Seiten, Download: 5886 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
5. Was ist keine Depression? (S. 20-21)
Der Begriff Depression hat in der Alltagssprache eine gewisse Ausweitung erfahren, so dass man zum Beispiel sagen hört, «gestern hatte ich eine recht starke Depression». Es ist nun durchaus möglich, dass ein Tag oder auch ein ganzes Wochenende von Niedergeschlagenheit, Sorgen, Enttäuschungsgefühlen, Hilflosigkeitsempfindungen, schlechter Laune oder anderen Formen des Verstimmtseins geprägt ist und sich zur Beschreibung dieses Zustandes in der Umgangssprache der Begriff «depressiv» anbietet.
Ist diese Verstimmung jedoch am nächsten Tag wieder verschwunden oder wäre sie durch einen Kinobesuch oder einen angenehmen Telefonanruf gleich wieder aufgelöst worden, so handelt es sich nicht um eine Depression im medizinischen Sinn, nicht um ein Krankheitsgeschehen. Weiterhin müssen auch Trauer und Depression voneinander abgegrenzt werden. Trauer, Niedergeschlagenheit und Bedrücktheit sind normale Empfindungen und dienen der seelischen Verarbeitung namentlich von Abschieds- beziehungsweise Verlusterfahrungen (Tod einer geliebten Person, Trennung aus einer nahen Beziehung, Verlust von Besitz, Misslingen einer wichtigen Prüfung, Erkrankung als Verlust der Gesundheit, Beendigung eines Lebensabschnitts wie zum Beispiel bei der Pensionierung u. ä. m.).
Die Gefühle lassen sich einteilen in lustvolle und unangenehme. Wir alle kennen Traurigkeit, Zerknirschung, Resignation, Schuldgefühle, Angst, Ärger, Wut, Enttäuschung, Einsamkeitsempfindungen, Verlorenheitsgefühle, Hoffnungslosigkeit und viele andere belastende Gefühle. Alle Gefühle, auch die unangenehmen, gehören zum normalen Erleben eines jeden Menschen. Die Fähigkeit, das ganze Spektrum von Gefühlen spüren zu können und in diesem Sinne über eine emotionale Grundausstattung zu verfügen, stellt eine Grundvoraussetzung dar, um seelisches und körperliches Befinden wahrnehmen und bewerten zu können. Alle Gefühle sind wichtig, und sie stellen auch dann, wenn sie auf unsere Stimmungslage drücken, keine Erkrankung dar. Bleibt die Fähigkeit zu Gefühlsempfindungen eingeschränkt, so ist dies häufig ein Anzeichen für eine seelische Störung, beispielsweise für eine Depression.
Kennzeichen einer normal gedrückten Stimmungslage ist, dass sie auch wieder anderen Stimmungen weicht, man kann sich wieder an etwas freuen, lachen und heiter sein. In der Depression dagegen verharrt man in Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, alles ist grau, man kann sich nicht mehr freuen und auch nicht richtig trauern. Man befindet sich in einem Zustand anhaltend dumpfer Gedrücktheit und kann sich zu nichts aufraffen.