Gewaltprävention und Schulentwicklung - Analysen und Handlungskonzepte

Gewaltprävention und Schulentwicklung - Analysen und Handlungskonzepte

von: Wolfgang Melzer, Wilfried Schubarth, Frank Ehninger

Verlag Julius Klinkhardt, 2004

ISBN: 9783781513228

Sprache: Deutsch

315 Seiten, Download: 17175 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Gewaltprävention und Schulentwicklung - Analysen und Handlungskonzepte



3 Ergebnisse eigener Studien und ihre Bedeutung für die Gewaltprävention (S. 97-98)

Das Kapitel enthält eine Bilanz zehnjähriger Forschung zur Gewalt in der Schule. Die Untersuchungsergebnisse werden dargestellt und die Bedeutung der Befunde für die Gewaltprävention herausgearbeitet. Dabei geht es neben Formen abweichenden Verhaltens, wie Unterrichtsstörungen, Mogeln und Schwänzen, auch um Formen härterer Gewalt, die in der Schule aber seltener vorkommen. Von besonderer Bedeutung für die Diagnostik der Lehrer in der Schulklasse ist die vorgestellte Täter-Opfer-Typologie. Die Studien haben ergeben, dass die Rollen von Tätern und Opfern nicht klar abgrenzbar sind und sich im Verlaufe der Entwicklung der Schüler z. T. schnell verändern können. Daher verbieten sich Etikettierungen: die Aussage „Einmal Täter – immer Täter" ist mit Gewissheit falsch!

Weiterhin werden, einem Modell zur Entstehung von Gewalt folgend, Ergebnisse zu den Einflussfaktoren Familie, Medien, Gleichaltrigengruppe und Schule präsentiert; daraus ergeben sich Hinweise für die Prävention. Schließlich wird empirisch belegt, dass fachliche Leistungen, soziale Kompetenzen und die Persönlichkeit des Schüler eine Einheit sind und sich wechselseitig bedingen. Daraus folgt, dass schulische Maßnahmen, die der Verbesserung des Sozialverhaltens und der Steigerung der Lebenskompetenzen der Schüler dienen, bei bestimmten Schülergruppen auch zu einer Steigerung der fachlichen Leistungen führen.

3.1 Das Gesamtmodell zur Erklärung von Gewalt

In Kapitel 2.2 hatten wir verschiedene theoretische Sichtweisen der Gewaltproblematik aus psychologischer bzw. sozialwissenschaftlicher Tradition vorgestellt und gesehen, dass diese Ansätze jeweils einen Ausschnitt aus der Gesamtproblematik beleuchten und entsprechende Antworten, d. h. spezifische Maßnahmen der Prävention und Intervention, nach sich ziehen. In der modernen Sozialisationsforschung ist man im Anschluss an den sozialökologischen Ansatz von Uri Bronfenbrenner (vgl. 2.2) noch einen Schritt weiter gegangen und hat diese auf verschiedenen Ebenen gelagerten Theorien unterschiedlicher Reichweite in ein Gesamt-Modell integriert. Solche Ansätze bezeichnet man als „Drei- Ebenen-Modelle" (vgl. Geulen/Hurrelmann 1980), weil sie erstens auf das Individuum bezogen sind (Mikro-Ebene), zweitens die Institution und die Interaktion betreffen (Meso-Ebene) sowie drittens die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse mit reflektieren (Makro-Ebene).

Bei der Ermittlung der Ursachen von Gewalt folgen wir derartigen integrativen, Mehr-Ebenen-Modellen. Neben den bio-physischen und personalen Voraussetzungen steht die Sozialisation und Entwicklung im Fokus der Analysen. Reflektiert und empirisch geprüft wird vor allem die primäre Sozialisation in Bezug auf die Emotionalität und Funktionalität der Familie, die sekundäre Sozialisation mit dem Einfluss schulischer Prägungen, Erfahrungen und Interaktionen sowie die insbesondere in der Jugendphase relevante Peer-Sozialisation mit ihren vergleichsweise höheren Freiheitsgraden und damit auch einem höheren Gefährdungspotential für die „Ökologie menschlicher Entwicklung" (Bronfenbrenner 1989). Dementsprechend sind im Hinblick auf die Erklärung des Gewaltverhaltens mögliche Ursachen im Bereich der Familie, insbesondere des familialen Erziehungsstils und des Familienklimas, der strukturellen Bedingungen der Schule sowie der Lern-, Erziehungs- und Kommunikationskultur in dieser Institution und schließlich der Verkehrsformen der Peers einschließlich des Medienund Freizeitverhaltens der Jugendlichen zu erwarten.

Aus diesen Ausführungen ergeben sich die Konturen eines Gesamtmodells mit den drei großen Einflusssphären Familie – Schule – Peers. Auch das „Selbst" kann als ein solcher zentraler Einflussfaktor bezeichnet werden, weil z. B. über das Junge- bzw. Mädchen-Sein oder über ein entwickelteres bzw. weniger entwickeltes Selbstvertrauen bestimmte individuelle Voraussetzungen mitgebracht werden, die Gewaltverhalten begünstigen bzw. einen gewissen Schutz davor darstellen. Das Individuum bringt diese Merkmale aber nicht zwingend von Natur aus mit und ist genetischen Prädispositionen auch nicht zwangsläufig ausgeliefert (vgl. Kap. 1). Als „produktiv realitätsverarbeitendes Subjekt" besitzt es bestimmte Handlungs- und Entscheidungsspielräume, kann sein Verhalten in die eine oder andere Richtung steuern. Bei ähnlich kritischen familiären, schulischen und personalen Rahmenbedingungen wird ein Schüler zum Täter, ein anderer nicht. Es kann das Gewissen sein, also die Internalisierung von Werten und Verhaltensmaßstäben als „gut" bzw. „schlecht", die einen Schüler von einer Tat abhält, aber auch die Furcht vor Strafe. Daher haben wir unser Modell um eine erste Ebene der Steuerung durch Selbstregulation erweitert.

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